Charlottesville.

Wenn Orrin Hatch dem Präsidenten öffentlich vors Schienbein tritt, dann muss es wirklich ernst stehen. „Wir müssen das Übel beim Namen nennen“, polterte der für seinen unerschütterlichen Gleichmut bekannte republikanische Senator aus Utah am Sonnabend, „mein Bruder hat nicht sein Leben im Kampf gegen Hitler gegeben, damit hier zu Hause Gedankengut der Nazis ohne Widerstand akzeptiert wird“.

Was Hatch nach dem tödlich geendeten Aufmarsch Hunderter gewalttätiger Rechtsextremisten in der beschaulichen Universitätsstadt Charlottesville im Bundesstaat Virginia parteiübergreifend mit anderen Polit-Prominenten von Hillary Clinton bis Ted Cruz vom Stapel ließ, war eine direkte Replik auf Donald Trump.

Anstatt die blutigen Ausschreitungen vor einer geplanten Demonstration an einem Denkmal aus der Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges und die Amokfahrt eines 20-jährigen Ultranationalisten zu verurteilen, der mit seinem Auto mit Absicht in eine Gruppe von Gegendemonstranten raste und dabei eine 32-Jährige tötete, beklagte Trump unscharf einen „Ausbruch von Hass, Fanatismus und Gewalt auf vielen Seiten“. Irrtum, konterte der republikanische Senator Cory Gardner: „Das war einheimischer Terrorismus.“

Ex-Chef des Ku-Klux-Klans: Das ist der erste Schritt

Trumps nachsichtige Wortwahl wurde umgehend als Absolution interpretiert. David Duke, einst Führer des durch Lynchmorde berüchtigt gewordenen Ku-Klux-Klans, sagte im Beisein dieser Zeitung: „Das hier heute ist der erste Schritt zu dem, was Donald Trump versprochen hat – wir holen uns Amerika zurück.“ Rassismusexperten, demokratische Abgeordnete, aber auch viele Konservative warfen Trump vor, nicht genügend unternommen zu haben, um den Nährboden für Rechtsextremisten auszutrocknen.

Mary Sullivan hatte die Katastrophe kommen sehen. Eine Katastrophe, der bei einem Hubschrauber-Absturz im Zusammenhang mit der Demonstration auch zwei Polizisten zum Opfer fielen. Die Kinderkrankenschwester war bereits vor Ort, als die Kapuzenträger vom Ku-Klux-Klan im Juli an der Reiterstatue von Südstaaten-General Robert E. Lee im „Emancipation“-Park aufbegehrten. Der Rat der 50.000 Einwohner zählenden Stadt hatte zuvor entschieden, dass die Symbolfigur der im Bürgerkrieg unterlegenen Konföderierten abmontiert und verkauft wird. Die Konföderierten hatten in dem von 1861 bis 1865 dauernden Krieg für die Beibehaltung der Sklaverei gekämpft. Die Statue ist eines von rund 1000 Denkmälern dieser Art im ganzen Land. Dagegen klagten die Ultrarechten.

„Den Leuten ging es gar nicht um General Lee“, sagt Sullivan, „sie suchten nur einen Vorwand, um ihr spalterisches Gedankengut vorzuführen.“ Wie Sullivan ist auch Raymond Malloy in die beschauliche Innenstadt gekommen, wo bereits am Vorabend Neonazis mit Fackeln den Campus der örtlichen Universität überrannt und Parolen wie „Juden werden uns nicht ersetzen“ skandiert hatten. „Ich nehme nicht einfach hin, dass Leute von auswärts meine Stadt terrorisieren“, gibt der pensionierte Lehrer zu Protokoll.

Was Malloy dann aus einiger Entfernung mit ansehen musste, machte Beobachter, die an Auseinandersetzungen zwischen rechts und links in Deutschland gewöhnt sind, sprachlos. Wie bei einem Stillhalteabkommen sahen Nationalgardisten, lokale Cops und Vertreter der Bundesstaatspolizei weitgehend passiv zu, wie sich mit Helmen, Schutzschildern, Latten, Tränengas-Granaten und Pfefferspray-Dosen bewaffnete Gewalttäter auf offener Straße blindwütig attackierten. Dazwischen ging vereinzelt nur eine 30-köpfige rechte Miliz, die in Tarnkleidung und schwer bewaffnet aus New York angereist war. Die absolut enthemmte Brutalität machte auch vor am Boden liegenden Menschen nicht halt. „Ein Wunder, dass hier keiner gestorben ist“, sagte eine dem Getümmel entkommende Fotografin der britischen Zeitung „Daily Mail“, das Gesicht rot und geschwollen vom Tränengas. „Warum hat die Polizei die verfeindeten Lager nicht vorher getrennt?“ Wenige Minuten später spitzte sich der Tumult zu. Die Polizei blies die gerichtlich genehmigte Demonstration ab und drängte die vor Wut kochenden Rechtsextremen zum Verlassen des Schauplatzes. Was folgte, war reinstes Spießrutenlaufen. Ein junger Ultrarechter, dem das Blut das Gesicht herunterlief: „Die Polizei hat uns reingelegt. Sie hat uns um das Recht der freien Rede gebracht. Aber macht euch auf was gefasst: Wir kommen wieder.“ Richard Spencer, der Posterboy der ethnisch-nationalistischen Alt-Right-Bewegung, der in Charlottesville studiert hatte und die Stadtoberen „widerliche Kriecher“ und „Dreckskerle“ nannte, bestätigte später: „Wir geben niemals auf. Wir machen diese Stadt zum Zentrum des Universums.“

Seit zwei Jahren werden die 900 Hass-Gruppen aktiver

Wir, das sind neben waschechten Hakenkreuz-Nazis und obskuren Staatsverächtern auch Leute wie Shane Gadbury. Der 38-jährige Inhaber eines Geschäfts, das sich auf die Beseitigung von Ungeziefer spezialisiert hat, hat 15 Stunden Autofahrt aus Iowa auf sich genommen, um in Charlottesville dabei zu sein. Die Statue von Lee ist ihm schnurz. „Ich bin es leid, immerzu auf die Rechte von Schwarzen und anderen Minderheiten achten zu müssen. Wir Weißen werden in unserem eigenen Land diskriminiert und schikaniert. Darum bin ich hier.“

Woher er das hat? „Donald Trump hat ein Ventil geöffnet. Er steht für uns ein. Seine ‚America First‘-Politik ist genau nach meinem Geschmack.“ Was Gadbury darunter versteht? „Das jüdische Dreieck aus Politik, Hochfinanz und Medien muss durchbrochen werden.“

Für die Experten des Southern Poverty Law Center in Alabama ist klar: Seit Trump vor mehr als zwei Jahren seine Präsidentschaftskandidatur angemeldet hat, haben die über 900 Hass-Gruppen mehr Aktivität entwickelt. Shane Gadbury passt da ins Schema. „Das sind Menschen, die um ihre Identität fürchten, die den Multikulturalismus ablehnen, die die schwarze Bürgerrechtsbewegung Black Lives Matter als Affront empfinden, latent antisemitisch eingestellt sind und einen ethnisch sauberen Staat wollen, der als Bollwerk gegen die Globalisierung dient“, sagte der landesweit bekannte Rechtsextremismus-Fachmann Marc Potok schon vor Monaten dieser Zeitung. Das Problem: Weder vor noch nach seiner Wahl habe Donald Trump dem Sammelbecken auf der politischen Rechtsaußenbahn unmissverständlich Grenzen aufgezeigt.

Jackie Webber, eine Psychologin, die seit 35 Jahren in Charlottesville praktiziert, sieht den Präsidenten darum in der Pflicht. „Er muss umgehend eine Brandmauer ziehen zwischen sich und diesen Rückwärtsgewandten.“ Terry McAuliffe, Virginias Gouverneur, habe es doch vorgemacht. „Geht nach Hause. Nehmt euren Hass und eure Vorurteile mit. Es gibt hier keinen Platz für euch und es gibt keinen Platz für euch in Amerika“, rief der Demokrat den Neonazis zu.

„Warum in Himmels Namen“, sagt Jackie Webber, „fällt unserem Präsidenten so etwas nicht ein?“