Berlin.

Den Ort des Gesprächs hat die Bewerberin gewählt: das „Café am Neuen See“ im Berliner Tiergarten. Ka­trin Göring-Eckardt unternimmt den zweiten Versuch, die Grünen als Spitzenkandidatin zur Regierungspartei zu machen. Beim ersten Mal scheiterte sie mit dem Parteilinken Jürgen Trittin, jetzt steht ihr der Parteirechte Cem Özdemir zur Seite.

Die größte Sorge der Deutschen, das hat eine Umfrage für diese Zeitung ergeben, ist der Klimawandel – ein urgrünes Thema. Trotzdem können die Grünen nicht ganz sicher sein, dass sie wieder in den Bundestag einziehen. Was läuft bei Ihnen schief, Frau Göring-Eckardt?

Katrin Göring-Eckardt: Moment mal, wir sind in den Umfragen derzeit bei acht Prozent. Das reicht uns nicht. Der Klimaschutz treibt viele Leute um, und die Grünen sind die einzige Partei, die dafür ernsthaft eintritt. Ich bin überzeugt, das wird sich auch in unserem Wahlergebnis zeigen.

Das erklärt noch nicht das Formtief der Grünen.

Wir sind noch nicht wieder da, wo wir hingehören, stimmt. Aber ich bin zuversichtlich: Unsere Themen liegen auf der Straße, unsere Angebote sind auf der Höhe der Zeit, wir sind so geschlossen wie noch nie, und wir sind bereit, Verantwortung für Deutschland zu übernehmen. Es geht darum, wer dritte Kraft wird: Grüne oder FDP.

Vielleicht sehen sich Grüne und FDP ja am Kabinettstisch wieder . . .

Ein Jamaika-Bündnis halte ich für unwahrscheinlich. Wir stehen für gegensätzliche Richtungen: Die Grünen sind die ökologischen Antreiber der Indus­trie, während die FDP vor allem eigene Imagepflege betreibt und sich als Dienstleister der Konzerne sieht, dem Menschenrechte und Klimaschutz egal sind. Deutschland hat am 24. September die Wahl, ob Grüne oder FDP in die nächste Regierung eintreten. Das Rennen ist völlig offen.

Haben Sie von Horst Seehofer und seiner CSU eine höhere Meinung als von der FDP?

Ich kenne Horst Seehofer eine ganze Weile, wir haben beide schon Gesundheitspolitik gemacht. Sein Politikstil ist mir zutiefst fremd: herrisch, populistisch, bisweilen rechtspopulistisch und im permanenten Zickzack. Warum sonst setzt er alles auf eine Maut, die mehr kostet, als sie einbringt? Oder warum verbietet er Stromtrassen für sauberen Strom, obwohl das die Verbraucher mehr kostet? Wir haben harte Auseinandersetzungen, gerade auch was die Obergrenze für Flüchtlinge oder ein Einwanderungsgesetz angeht. Man muss sich nur anhören, was für Töne der CSU-Spitzenkandidat Joachim Herrmann von sich gibt. Dabei wird in den bayerischen Kommunen und Landkreisen eine super Arbeit gemacht. So viel gute Flüchtlings- und Integrationspolitik wie in Bayern an der Basis findet man wahrlich nicht überall in der Republik.

Wie verlässlich sind die Grünen als Koalitionspartner?

Sehr verlässlich.

In Niedersachsen ist eine Grünen-Abgeordnete zur CDU übergetreten und hat die rot-grüne Landesregierung zum Einsturz gebracht. Ein Betriebsunfall?

Ich kenne die Abgeordnete nicht näher. Dass jemand unzufrieden ist, kommt in allen Parteien vor. Aber das darf nicht zu solchen Reaktionen führen. Dafür habe ich kein Verständnis. Und was knappe Mehrheiten angeht: Ich bin ja schon Fraktionsvorsitzende gewesen, als Rot-Grün im Bund regierte.

Damals hatten Sie Joschka Fischer, der einen Parteitag drehen konnte.

Stimmt, das machen heute wir.

Finden die Grünen noch ein Gewinnerthema für den 24. September?

Machen Sie Witze? Die großen Verbraucherthemen treiben viele Menschen um. Und da hat die große Koalition komplett versagt. Wir haben die Abgasmanipulationen in der Autoindustrie, wir haben den Eierskandal, und wir haben drastisch steigende Wasserpreise wegen Nitrat im Grundwasser. Diese Themen sind das Stiefkind der Bundesregierung.

Was folgt daraus?

Wir werden diese Umwelt- und Verbraucherthemen in den Mittelpunkt stellen. Da geht es um Gesundheit, um Lebensqualität. Wir brauchen ein Superministerium für Verbraucherschutz, das auch für Umwelt- und Klimaschutz, Landwirtschaft, Energie und Digitalisierung zuständig ist . . .

. . . und das die Grünen für sich reklamieren?

Natürlich. Ein Superministerium für Verbraucher- und Umweltschutz gehört zu den Grünen. Was Umweltministerin Hendricks sagt, mag gut gemeint sein. Aber die SPD-Kollegin hat doch so gut wie nichts durchgesetzt. Wann hat Frau Hendricks bis zum Schluss für ihre Positionen gekämpft? Nicht einmal für die Einhaltung des Klimavertrags von Paris. Noch nie hatte eine Umweltministerin so wenig zu sagen wie in dieser großen Koalition.

Soll dieser Superminister auch ein Gesetz zum Verbot von Verbrennungsmotoren erarbeiten?

Das neue Ministerium soll auch dafür sorgen, dass die Transformation der Autoindustrie gelingt. Und zwar gemeinsam mit dem Verkehrsministerium und nicht im Streit. Das Kartell der Autobauer braucht klare politische Vorgaben. Sonst betrügen sie die Verbraucher und halten an überholten Technologien fest. Mit dem fossilen Verbrennungsmotor muss Schluss sein, spätestens 2030. Dabei geht es nicht nur um Luftreinhaltung und Gesundheit, sondern auch um die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland. Andere Länder sind bei der emissionsfreien Mobilität viel weiter. Man muss ein klares Datum für das Ende des fossilen Verbrennungsmotors setzen, damit sich alle darauf einstellen können.

Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann nennt das „Schwachsinnstermine“ . . .

Als Ministerpräsident im Autoland ­Baden-Württemberg hat Winfried ­Kretschmann natürlich eine besondere Rolle. Er weiß, dass es nicht reicht, allein auf Freiwilligkeit der Autobauer zu setzen. Beim Katalysator oder bei der Gurtpflicht haben auch erst politische Vorgaben den Durchbruch gebracht.

Elektroautos, die sich aus Kohlestrom speisen und Sondermüll produzieren, sind kaum umweltfreundlicher als abgasarme Dieselfahrzeuge . . .

Wir haben großen Nachholbedarf bei der Batterietechnik. Da wird in Deutschland viel zu wenig geforscht. Und wir müssen die Ladeinfrastruktur ausbauen. Aber niemand sollte so tun, als bräuchten wir zig neue Tankstellen. Steckdosen für Elektroautos kann man überall anbringen – auch am Parkplatz vor der eigenen Haustür. Ein größerer, aber notwendiger Schritt wird der Ausstieg aus der Kohleenergie sein. Deutschland ist immer noch Weltmeister im Verbrennen von Braunkohle. Die erneuerbaren Energien werden ausgebremst. Das ist ein Armutszeugnis.

Die Ergebnisse des Diesel-Gipfels von Politik und Autoindustrie sind von den Grünen besonders scharf kritisiert worden. Unterstützen Sie jetzt Fahrverbote in deutschen Städten?

Nein, ich bin nicht für Fahrverbote, aber die Gesundheit der Menschen hat Vorrang. Fahrverbote können nur das letzte Mittel sein. Viele Menschen sind auf ein Auto angewiesen. Wir brauchen deshalb eine wirksame Regelung zur Abgasreduzierung, um Fahrverbote zu verhindern. Die Autobauer sollten schleunigst ihre Überheblichkeit ablegen – und als Sofortmaßnahme die Dieselmotoren umrüsten. Allein die Software zu verändern, ist völlig unzureichend.

Zu den großen Sorgen der Deutschen zählen neben dem Klimawandel auch Terroranschläge und Kriminalität. Warum sollten Menschen, die davor Angst haben, die Grünen wählen?

Weil wir gute und verlässliche Antworten haben und für reine Symbolpolitik nicht zu haben sind. Die Einbruchskriminalität ist ein großes Problem – und die Bundesregierung tut viel zu wenig dagegen. Mit einer Verschärfung des Strafmaßes kann ich bandenmäßige Einbruchskriminalität doch nicht zurückdrängen. Viel wichtiger ist, die Häuser besser zu sichern. Solche Baumaßnahmen muss der Staat viel stärker fördern als bisher.

Sind die Grünen eine Partei der Sicherheit, die auch den Bundesinnenminister stellen könnte?

Natürlich. Es wäre an der Zeit. Das muss ja nicht immer ein Hardliner sein.

Wie würden die Grünen den Kampf gegen den Terror führen?

Wir brauchen mehr Polizei mit besserer Ausrüstung. Ich halte nichts davon, überall wahllos Kameras aufzuhängen. Aber eine gezielte Videoüberwachung an zentralen Plätzen unterstütze ich. Bei alledem muss klar sein: Vollständige Sicherheit kann es nicht geben, und wir dürfen unsere Freiheit nicht opfern, um vermeintliche Sicherheit zu bekommen. Sonst verlieren wir beides.

Die Attentäter von Berlin und Hamburg waren ausreisepflichtige Asylbewerber, die der Verfassungsschutz im Visier hatte. Wie können solche Sicherheitslücken geschlossen werden?

Die Sicherheitsbehörden müssen ihre Arbeit machen. Wenn Personen tatsächlich als gefährlich erkannt sind, muss man sie beobachten. Und wenn sie kein Aufenthaltsrecht haben, müssen sie ausreisen oder in Gewahrsam genommen werden.

In der dritten Folge erscheint am kommenden Sonnabend ein Interview mit AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland