Berlin/Hannover.

Stephan Weil bemüht sich, so gelassen und freundlich aufzutreten, wie man ihn sonst kennt. Es ist am Sonntag das zweite Mal binnen weniger Tage, dass der Ministerpräsident von Niedersachsen gezwungen ist, vor Fernsehkameras eine Erklärung abzugeben. Dieses Mal gelingt es Weil sogar, zu lächeln. Vielleicht liegt das daran, dass er sich nur gegen den Vorwurf wehren muss, eng mit VW zusammengearbeitet zu haben. Das ist nichts im Vergleich zu dem Tiefschlag, den der SPD-Politiker am Freitag verkraften musste, als eine Grünen-Abgeordnete ihren Übertritt zur CDU erklärte. Weils rot-grüne Koalition hat keine Mehrheit mehr. Ein Ministerpräsident aber, dem die eigenen Leute die Macht nehmen, kann nichts mehr schocken. Das ist die Lage, als Weil am Sonntag auf die Stufen der Staatskanzlei in Hannover tritt.

Weil versucht erst gar nicht, den Bericht der „Bild am Sonntag“ zu dementieren, der ihn zu dieser Erklärung zwingt. Er bestätigt, dass er eine Rede, die er am 13. Oktober 2015 im niedersächsischen Landtag gehalten hat, zuvor an VW schicken ließ. Er habe den Entwurf „selbst gefertigt“ und ihn „VW zuleiten lassen mit der Bitte, rechtliche oder tatsächliche Bedenken mitzuteilen“, sagt Weil. Die „Hinweise“, die dann aus der Wolfsburger Konzernzentrale eingingen, habe er „teilweise“ berücksichtigt. „Im Kern ist der Redetext völlig unverändert geblieben“, versichert der Ministerpräsident. Seine in der Rede geäußerte Kritik an VW und den Abgasmanipulationen sei unverändert stark gewesen. Die Rede sei nicht sprachlich geschönt worden.

Weil wehrt sich gegen „bodenlose“ Vorwürfe

Weil ist überzeugt, nicht nur „richtig“, sondern auch „verantwortungsvoll“ gehandelt zu haben. VW habe sich damals, unmittelbar nach Bekanntwerden des Abgas-Skandals, in einer möglicherweise existenzbedrohenden Situation befunden. Er habe sich um die 100.000 Mitarbeiter des Unternehmens Sorgen gemacht. „Die Unterstellung, die niedersächsische Landesregierung habe sich in wichtiger Angelegenheit die Feder führen lassen, ist bodenlos“, sagt Weil. Das alles sei dem Wahlkampf geschuldet. Der dürfte nach dem Vorfall vom Freitag kurz und heftig ausfallen. Die Vorwürfe und die Empörung über Weils Verhalten sind möglich, weil das Land Niedersachsen 11,8 Prozent der VW-Aktien hält und 20 Prozent der Stimmrechte. Der jeweilige Ministerpräsident und sein Wirtschaftsminister sitzen traditionell im Aufsichtsrat von VW.

Der Vorwurf, der Konzern habe eine Rede Weils verändert, ist nicht neu. Die FDP, die in Hannover in der Opposition sitzt, äußerte 2015 unmittelbar nach Weils Rede den Verdacht, es gebe „eine eng abgestimmte Kommunikation zwischen der Landesregierung und der Volkswagen AG in der VW-Krise“. So steht es in einer Parlaments-Anfrage vom 15. Oktober 2015. Die FDP wollte wissen, ob und wie VW an der Erstellung von Weils Rede beteiligt war. Die Antwort der Staatskanzlei kam nach mehr als einem Monat und fiel sparsam aus. Die meisten Fragen beantworteten Weils Beamte nicht. Aber sie machten eine „Vorbemerkung“. Darin steht nicht nur, dass sich der Ministerpräsident und sein Wirtschaftsminister als Landesregierung und als VW-Aufsichtsräte an unterschiedliche – und sich teilweise widersprechende – Rechtsnormen halten müssen. Dort steht auch, dass öffentliche Äußerungen von Weil und seinem Wirtschaftsminister juristisch heikel sind, wenn ein Zusammenhang mit Gerichtsverfahren besteht, wie etwa beim Abgas-Skandal. „In diesen Fällen werden Aussagen vorab VW zur Kenntnis gegeben, zugleich wird die Gelegenheit zu Hinweisen gegeben.“ Ob „etwaige Anregungen“ seitens des Konzerns berücksichtigt würden, „steht im Ermessen der Landesregierung.“

Eine Sprecherin der Landesregierung bestätigte am Sonntag, dass nicht nur diese eine Rede auf den Schreibtischen in Wolfsburg landete. Während der Verhandlungen von VW mit den USA habe man viele öffentliche Äußerungen von Ministerpräsident Weil zum Abgas-Skandal zuvor den Juristen von VW zur Kenntnis gegeben. Dabei habe es sich um Reden, aber auch um Interviews zu dem Thema gehandelt. Andere Äußerungen seien nicht abgestimmt worden.

Das Bestreben von Weils Leuten war es gestern, den Vorgang als allseits bekannt darzustellen. Nicht nur das Landesparlament habe von dieser Praxis gewusst, sondern auch Journalisten. Die Landesregierung habe zwar eigenen juristischen Rat gehabt, aber die Abstimmung mit VW sei wegen der komplizierten Rechtslage trotzdem nötig gewesen. Gerade für die Amerikaner sei ein Aufsichtsratsmitglied wie Weil ein Unternehmensvertreter wie jeder andere auch. Seine Aussagen würden als Aussagen von VW gewertet. Man habe vorsichtig sein müssen. Die Vorgängerregierung unter Ministerpräsident David McAllister (CDU) habe sich noch mehr Äußerungen von VW absegnen lassen.

Politiker anderer Parteien reagieren am Sonntag empört über Weils Verhalten. FDP-Chef Christian Lindner nennt es eine „Grenzüberschreitung“, wenn der Ministerpräsident eine Regierungserklärung dem Unternehmen zur Korrektur vorlege. Grünen-Chef Cem Özdemir sieht sogar „das Fundament unserer Marktwirtschaft bedroht.“ Grünen-Politiker Jürgen Trittin, selbst früher Minister in Niedersachsen, fordert Weil auf, beide Redefassungen zu veröffentlichen. Die CDU verhält sich auffallend still, sowohl in Niedersachsen wie im Bund.

Die eigentliche Baustelle, an der der SPD-Politiker Weil nun arbeiten will, ist seine Wiederwahl. Eigentlich war die Landtagswahl für Januar terminiert. Wegen der verloren gegangenen Mehrheit favorisieren alle Parteien in Hannover nun Neuwahlen. SPD, CDU und FDP wollen sie mit der Bundestagswahl am 24. September stattfinden lassen, die Grünen bevorzugen den 22. Oktober, damit die Abstimmung nicht bundespolitisch überschattet werde. Am heutigen Montag will man sich einigen.

Auch die ehemalige Grünen-Abgeordnete Elke Twesten, die die Regierungskrise ausgelöst hat, kämpft am Sonntag um ihre Reputation und wehrt sich gegen Kritik. Die Aufmerksamkeit, die Weil hat, bekommt sie dabei nicht.