Duisburg.

Vor zwei Monaten schien alles aussichtslos. Ende April war die Schülerin Bivsi Rana ohne Vorwarnung aus dem Unterricht gerissen und mit ihrer Familie nach Nepal abgeschoben worden – in die Heimat ihrer Eltern und damit in ein Land, das sie noch nie zuvor betreten hatte und dessen Sprache sie nicht beherrscht. Doch ihre Freunde, ihre Lehrer und viele Duisburger trommelten und kämpften, sammelten Unterschriften, musizierten und demonstrierten, wehrten sich gegen die rechtlich korrekte Abschiebung, bis Politik, Petitionsausschuss und Ausländerbehörden ein Einsehen hatten: Bivsi, die 15-Jährige Gymnasiastin, im Sauerland geboren, in Duisburg aufgewachsen, darf wieder zurück nach Deutschland. Zurück in ihre Klasse 9d, die nach den Ferien eine 10d sein wird.

Als sie an diesem Mittwoch auf dem Flughafen in Düsseldorf über den schmalen Gang aus dem Zollbereich wie über einen Laufsteg kommt, schlägt sie die Hand vor Mund und Augen und vergräbt das tränennasse Gesicht an der Schulter ihres Bruders, bevor sie im Jubel der Klassenkameraden landet und im Kreis der Kameras. Und aus der plötzlichen Stille vor Ausgang 1 des Düsseldorfer Flughafens dringt nur noch ein Laut: Bivsis Schluchzen. Sie ist wieder da! Sie haben es wirklich geschafft, Schüler, Eltern, Duisburger.

Der Tag der Abschiebung sei sehr „erschütternd“ gewesen, sagt Sarah Habibi, Schülersprecherin am Steinbart-Gymnasium, das Bivsi nun weiter besuchend darf. „Wir hatten uns vorher in der Schule sicher gefühlt, das ist doch ein Schutzraum.“ Ein Mädchen musste plötzlich fort, das als „gut integriert“ gilt, wobei Schulleiter Ralf Buchthal das Wort „falsch“ findet: „Sie war nicht ,integriert‘, sie gehörte von Anfang an dazu.“ Buchthal ist am Flughafen einer der ersten, dem Bivsi weinend an die Brust fliegt. Dem Direx! Er nennt sie „ein supernettes Mädchen“.

Das ein bisschen berühmt geworden ist in Deutschland, die schmalen Augen, die Zahnspange, das Lächeln. Mit wippendem Pferdeschwanz kommt Bivsi am frühen Mittwochmorgen an, nach elf Stunden Flug. Es warten Fernseh-, Foto- und Handykameras, es wartet Scheinwerferlicht, es wartet eine stolze, erleichterte, vor Aufregung zitternde 9d: mit Herzchenballons, einem riesigen Willkommenstransparent, mit einer selbstgebastelten Kette aus Pralinen. Es wartet Biswash, der Bruder, der als Student in Deutschland bleiben durfte. „Ich hab’ dich so vermisst“, flüstert Bivsi unter Tränen.

Ohne Bivsi sei es „leer“ gewesen, sagt Sarah, die Klassenkameradin. Dass sie nicht da war, spürten sie jeden Tag. „Wir hatten“, sagt Eric, „beim Austeilen der Arbeitsblätter am Ende immer eins zuviel.“ Am Flughafen tragen alle, die gerade nicht in den Ferien sind, den Klassenpulli: Auf dem Rücken stehen die Namen, der von Bivsi ganz rechts.

Als sie endlich da ist, sagen sie alle erst mal – nichts. Sie weinen, halten sich in den Armen, wollen einander nicht mehr loslassen. Die Eltern, Bimh und Maya Rana, stehen stumm im Hintergrund, auch Mutter Maya weint. Sie waren 1998 aus dem Bürgerkriegsland Nepal nach Deutschland geflüchtet. Aus Angst vor Verfolgung hatte der Vater wohl einen falschen Namen angegeben, weshalb auch die Härtefallkommission den Asylantrag ablehnte. Nun dürfen sie ihre Tochter, die offiziell eine Austauschschülerin ist, bis zum Abitur begleiten. Was danach ist, ob und wo sie nun Arbeit finden, ist offen, Bimhs Stelle als Koch wurde inzwischen neu besetzt. Die Mutter eines Klassenkameraden fährt die Familie Rana nach Hause. Bivsis Freundin Katharina bleibt zurück. „Ich bin so glücklich, dass ich sie wieder umarmen kann. Ich dachte, vielleicht sehe ich sie nie wieder.“