Washington. Donald Trumps neuer Stabschef John Kelly steht vor einer kaum lösbaren Aufgabe. Er soll das Chaos im Weißen Haus beenden

Bevor Donald Trump ihn gestern früh in sein neues Amt einführte, hatte John Kelly die Wahl: An welcher Rettungsboje soll er sich künftig gedanklich festhalten? Corey Lewandowski, einst Trumps treuester Zuschläger und später trotzdem gefeuert, riet dem an die Stelle von Reince Priebus gerückten neuen Stabschef im Weißen Haus zu dieser simplen Leitlinie: „Lass Trump Trump sein.“ Am anderen Ende des Spektrums der Handreichungen für ein Überleben auf dem gefährlichsten Schleudersitz Washingtons steht ein Kommentar im ansonsten Trump-freundlichen „Wall Street Journal“. „Das Stühlerücken beim Personal wird nichts bringen, wenn Trump nicht akzeptiert, dass nicht Mr. Priebus das Problem des Weißen Hauses ist. Er selbst ist es.“

Welche Lesart sich der 67-jährige ehemalige Vier-Sterne-General zu eigen macht, wird mitentscheidend dafür sein, ob die nach Leistungsbilanz und Wählerzufriedenheit stark kränkelnde Regierung die Trendwende schafft oder vor den wichtigen Zwischenwahlen im Kongress 2018 weiter absackt. Kellys Ausgangsposition zum Start ist ungünstig, auch wenn Trump ihn seinen „großen Star“ im Kabinett nennt.

Das Weiße Haus mit seinen konkurrierenden Machtzentren, die von Trump bewusst installiert wurden, hat sich als „Schlangengrube“ erwiesen, schreibt das Magazin „Politico“. Die Zahl der Einflüsterer drastisch zu senken, die Trump bei jedwedem Thema morgens A) und abends B) vorschlagen, werde darum Kellys wichtigste Aufgabe sein. So soll sein Einstellungszweck erfüllt werden: Regierungspolitik effektiv zu bündeln und gemeinsam mit dem republikanisch dominierten Kongress unfallfrei umzusetzen. „Die Mega-Pleite bei der Gesundheitsreform darf sich nicht wiederholen“, sagen konservative Abgeordnete, „sonst verlieren wir alles.“

Wie Kelly, der 1970 bei der Elite-Einheit Marines anfing, später im Irak-Krieg Truppen befehligte, und vor seinem Wechsel an die Spitze des Heimatschutzministeriums hohe Kommando-Posten an der Südflanke Amerikas ausfüllte, das Misstrauen zwischen Weißem Haus und republikanischer Partei überwinden will, ist US-Beobachtern schleierhaft.

Der auf militärische Befehlsketten geeichte Sohn einer Arbeiterfamilie aus Boston hat keinen politischen Stallgeruch und keine Netzwerke im Kongress. Auch durch souveränes Querschnittswissen außerhalb von Trumps Leib-und-Magen-Themen der nationalen Sicherheit (islamistischer Terrorismus, Banden-Kriminalität made in Lateinamerika, Grenzsicherung) ist der Vater eines in Afghanistan gefallenen Soldaten noch nicht aufgefallen.

Was bleibt, ist die ihm nachgesagte Fähigkeit, „auch unter hohem Druck vereinbarte Ergebnisse zu produzieren“, wie es in der Denkfabrik Cato heißt. Unsicherheitsfaktor: In einem politischen Erdbebengebiet wie dem Weißen Haus mit Trump als Epizentrum sind Stabilisierungsversuche kompliziert und oft nur von kurzer Dauer.

Historiker, Politik-Wissenschaftler und Analysten listeten zuletzt auf, was Kelly gelingen müsste: Trumps unstillbare Bereitschaft einzudämmen, ständig die Ellenbogen auszufahren, auf Twitter wie im echten Leben faktenfrei vom Leder zu ziehen und Kritiker mit Häme zu überschütten. Kelly müsste Leute wie Trumps neuen Kommunikationschef Anthony Scaramucci kaltstellen, bevor sie erneut mit vulgären Ausrastern die gesamte Regierung in Mitleidenschaft ziehen. Der hat einem Reporter gesagt, Kellys Vorgänger Priebus sei ein „fucking paranoider Schizophrener, ein Paranoiac.“ Trump hatte Scaramucci gewähren lassen, quittierte Fragen dazu mit einem Grinsen.

Kelly müsste vor allem Manns genug sein, seinem Chef Trump ins Gesicht zu sagen, dass sein zerstörerischer Zickzack-Kurs die Präsidentschaft gefährdet und Amerika abträglich ist. Kann John Kelly das?