München. Im Prozess gegen den rechtsterroristischen NSU haben am 375. Verhandlungstag die Plädoyers begonnen. Der Hauptangeklagten droht lebenslange Haft

Die Bundesanwaltschaft fordert eine Verurteilung der mutmaßlichen Rechtsterroristin Beate Zschäpe als Mittäterin an allen Morden und Anschlägen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Bundesanwalt Herbert Diemer sagte zum Beginn der Plädoyers am Dienstag im Münchner NSU-Prozess, die Anklagevorwürfe gegen Zschäpe und die vier Mitangeklagten hätten sich in allen wesentlichen Punkten bestätigt. Zugleich betonte Diemer am 375. Verhandlungstag, dass keine Anhaltspunkte für strafrechtliche Verstrickungen staatlicher Behörden bekannt geworden seien.

Zschäpe sei Mitgründerin und Mitglied einer Terroristischen Vereinigung gewesen. Sie habe als Mittäterin zwischen 1999 und 2011 neun Menschen ermordet, war an einem tödlichen Anschlag auf zwei Polizeibeamte beteiligt. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft ist Zschäpe auch Mittäterin bei zwei Bombenanschlägen. Bei der Explosion einer Nagelbombe sollten in Köln 2004 Menschen getötet und verletzt werden. Anette Greger beschreibt ihre Funktion als „Tarnkappe“ für die Terroristische Vereinigung. Zschäpe habe aber nach dem Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auch allein gehandelt, als sie die gemeinsame Wohnung in Zwickau in Brand gesteckt hatte, um Beweise zu vernichten.

Als Motiv der Taten nennen die Prozessvertreter der Bundesanwaltschaft eine rechtsextreme Ideologie. Ziel sei ein ausländerfreies Land gewesen, so Herbert Diemer. Ein friedliches, freundliches Land sollte durch die Morde „in seinen Grundfesten erschüttert werden, um ein Naziregime zu errichten“. Die Opfer der neun fremdenfeindlichen Morde „wurden von Zschäpe und ihren Komplizen hingerichtet, weil sie ausländischer Herkunft waren und in Deutschland aus deren Sicht nichts zu suchen hatten“, so der Bundesanwalt.

Alle neun Opfer seien willkürlich herausgegriffen worden, weil sie Angehörige einer bestimmten Bevölkerungsgruppe waren. Auch die aus Thüringen stammende Polizistin Michèle Kiesewetter musste „als Repräsentantin des von den Extremisten verhassten Staates sterben“. Ihr Kollege überlebte den Mordanschlag im April 2007 in Heilbronn schwer verletzt. Diemer wies andere Erklärungen zu diesem Mord als „haltlose Spekulationen“ und „Irrlichter“ zurück.

Zu Beginn des Verhandlungstages hatte der Staatsschutzsenat die Aufzeichnung des Plädoyers der Bundesanwaltschaft noch einmal abgelehnt. Daraufhin beantragte ein Verteidiger der Angeklagten Zschäpe und Wohlleben eine Unterbrechung der Verhandlung, um einen Befangenheitsantrag prüfen zu können. Nach einer knapp zweistündigen Unterbrechung verzichteten die Anwälte auf weitere Anträge, sodass der Weg für das Plädoyer der Bundesanwaltschaft frei war.

Nach der Mittagspause erklärte ein Verteidiger des Angeklagten Ralf Wohlleben, dass sein Mandant bereits nach der ersten Hälfte des anfänglichen Plädoyers der Bundesanwaltschaft nicht mehr folgen konnte und seine Mitschriften eingestellt habe. Anwalt Wolfram Nahrath kritisierte, dass sein Mandant in der Zelle, in der dieser sich in den Pausen aufhalte, keine Ruhe finde. Es sei laut, Neonlicht leuchte. Der Anwalt spricht von einer „Schlachthausatmosphäre“. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hat daraufhin die Verhandlung unterbrochen, um Wohlleben vom Gerichtsarzt untersuchen zu lassen. Das Plädoyer der Bundesanwaltschaft ist nach dieser weiteren Unterbrechung am Nachmittag fortgesetzt worden.

Sollte das Oberlandesgericht der Argumentation der Ankläger folgen, droht Zschäpe lebenslange Haft wegen Mordes. Das Gerichtsverfahren zählt zu den umfangreichsten der deutschen Nachkriegsgeschichte. Für die Plädoyers wird mit mehreren Verhandlungstagen gerechnet. Das Urteil dürfte erst nach der Sommerpause fallen.