Berlin/Istanbul.

Vor Beginn der Verhandlung versammelten sich Hunderte Menschen vor dem Gerichtsgebäude. Sie ließen Luftballons in die Luft steigen, sie protestierten friedlich und entschlossen – und skandierten: „Journalismus ist kein Verbrechen.“ Der Abgeordnete der prokurdischen, oppositionellen Partei HDP, Filiz Kerestecioglu, erklärte: „Der Regierung zufolge ist jeder Oppositionelle ein Terrorist, die einzigen Nichtterroristen sind demnach sie selber.“

Christian Mihr, der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen hat den Auftakt der Gerichtsverhandlung gegen 17 Mitarbeiter der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“ am Montag in Istanbul beobachtet. Der Andrang der Medien sei groß gewesen, die Beobachter wurden erst nach und nach ins Gerichtsgebäude gelassen. Mihr sagte dieser Redaktion: „Die Vorwürfe an die Journalisten sind hanebüchen. In dem Prozess geht es nicht um Vorwürfe gegen einzelne Journalisten, die allesamt in der Redaktion eine sehr gute Arbeit machen.“ Es gehe vielmehr darum, die Pressefreiheit in der Türkei als Ganzes einzuschränken, „Druck auf Journalisten auszuüben und Kritiker der Erdogan-Regierung zum Schweigen zu bringen“.

Der Prozess werde in Bild und Ton aufgenommen, sagte Mihr. Zum anderen habe der Richter am ersten Prozesstag „fast so etwas wie Verständnis für die widrigen Haftbedingungen der Angeklagten gezeigt“. Mihr mache das ein „ganz klein wenig Mut, dass es am Ende auch zu einzelnen Freisprüchen kommen kann“.

Laut EU-Abgeordneten Arne Lietz (SPD) hätten zudem nicht alle Anwälte Zutritt zu ihren Mandanten gehabt. „Die Presse wurde auch nur punktuell zugelassen“, sagte er. Die Atmosphäre während der Verhandlung empfand Lietz als aufgeheizt. „Das war ein Schlagabtausch.“ Ein Angeklagter habe zum Beispiel erklärt, die Gesellschaft vor den infrage stehenden Organisationen in seinen Artikeln sogar gewarnt zu haben. Der Prozess soll in den folgenden Tagen fortgesetzt werden. Für Freitag erwarten Prozessbeobachter eine Entscheidung.

Liste mit terrorverdächtigen Firmen zurückgezogen

Den 17 Mitarbeitern von „Cumhuriyet“ werden Verbindungen zu verschiedenen terroristischen oder von der Türkei als terroristisch eingestuften Gruppen vorgeworfen. Laut Reporter ohne Grenzen drohen ihnen bis zu 43 Jahre Haft. Ein Teil der Angeklagten befindet sich nicht in der Türkei. Elf der 17 Mitarbeiter sind laut Reporter ohne Grenzen schon seit sieben bis neun Monaten in Untersuchungshaft.

Nicht nur Journalisten sind Ziel der Verfolgung durch staatliche Behörden. Das Auswärtige Amt bemüht sich um einen Kontakt zu dem in der Türkei inhaftierten deutschen Menschenrechtler Peter Steudtner. „Wir haben Hinweise darauf, dass in naher Zukunft ein erneuter konsularischer Besuch möglich werden soll“, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes. Es gebe Andeutungen in diese Richtung. Vor rund einer Woche war Steudtner zusammen mit fünf weiteren Menschenrechtsaktivisten in Untersuchungshaft genommen worden. Die türkischen Behörden werfen ihnen die Unterstützung terroristischer Organisationen vor. Der Fall verschlechterte die deutsch-türkischen Beziehungen weiter. Die Bundesregierung hatte daraufhin die Sicherheitshinweise für Reisen in das Land verschärft. Zudem überprüft sie ihre wirtschaftlichen Beziehungen zur Türkei.

Auch der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel sowie die Journalistin Mesale Tolu sind weiterhin in Haft. Seit dem Putsch vor gut einem Jahr sind 22 Deutsche verhaftet worden. Neun sind noch in Haft. Vier haben die deutsche und die türkische Staatsbürgerschaft.

Leichte Fortschritte scheint es dennoch in den angespannten Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei zu geben. Ankara hat die umstrittene Liste mit knapp 700 terrorverdächtigen deutschen Unternehmen wieder zurückgezogen. Das teilte ein Sprecher von Bundesinnen­minister Thomas de Maizière (CDU) in Berlin mit. Der türkische Innenminister habe in einem Telefonat mit de Maizière von einem „Kommunikationsproblem“ gesprochen.

Er habe versichert, dass weder türkische Behörden in der Türkei noch in Deutschland gegen Unternehmen ermittelten, die auf einer Liste aufgeführt worden seien. Die Interpol-Stelle in Ankara habe am vergangenen Wochenende die ursprüngliche Bitte an das BKA „förmlich zurückgezogen“, zu diesen Unternehmen verschiedene Informationen zuzuliefern. „Das nehmen wir als Klarstellung zur Kenntnis“, sagte de Maizières Sprecher. Es sei auch zu begrüßen, dass das Unterstützungsersuchen zurückgezogen worden sei.

Die Liste der Unternehmen hatte für Unruhe auch in der deutschen Wirtschaft gesorgt. Laut Bundesregierung hatte die Türkei im Mai über den Interpol-Weg an Deutschland eine Liste mit knapp 700 Unternehmen übermittelt, die nach der ursprünglichen Mitteilung aus Ankara aufgrund ihrer Geschäftsbeziehungen zu türkischen Firmen aufgefallen seien und gegen die türkische Behörden wegen Terrorfinanzierung ermittelten.