Warschau/Brüssel.

Polens Präsident Andrzej Duda muss eines der härtesten Wochenenden seines Lebens hinter sich haben. Seine Unterschrift sollte über das Schicksal des Landes entscheiden: Auf Dudas Schreibtisch lagen drei Gesetze, die bereits von beiden Parlamentskammern verabschiedet waren und nur noch auf seinen Segen warteten. Drei Gesetze, die der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und deren Parteichef Jaroslaw Kaczynski so viel Macht gegeben hätten, dass eine unabhängige Justiz in Polen Geschichte gewesen wäre.

Liberale Medien sahen in der Reform sogar den Grundstein für eine Diktatur. Während Duda über seiner Entscheidung brütete, marschierten Zehntausende Demonstranten durch Polens Städte und forderten vom Präsidenten lautstark: „Dreimal Veto!“

Dann, am Montagmorgen, verkündete er für viele völlig überraschend, dass er gegen zwei von drei Gesetzen ein Veto einlegen werde: gegen das Gesetz über den Obersten Gerichtshof und gegen das Gesetz über den Landesjustizrat. Bislang galt Polens Präsident vielen als Marionette der Regierung.

EVP-Chef Weber warnt vor kosmetischen Korrekturen

In seiner Ansprache im polnischen Fernsehen kündigte Duda an, dass er die beiden Gesetze innerhalb von zwei Monaten überarbeiten und an den Sejm, die erste Kammer des Parlaments, zurückgeben wolle. Er stimme zwar der PiS zu, dass das Justizsystem eine gründliche Reform brauche. Doch dies dürfe nicht auf eine Weise erfolgen, die „den Staat und die Gesellschaft spaltet“.

Seine Äußerungen wirkten so, als hätten die Proteste der letzten Tage Eindruck auf ihn gemacht. Und das, obwohl die Propaganda des staatlichen Fernsehsenders TVP alles getan hatte, um die Demonstranten zu diskreditieren: Sie seien „Putschisten“, „Anti-Demokraten“, „Verteidiger von Pädophilen“, „Kommunisten“ und „ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit“.

Duda kritisierte die beiden Gesetze. Der Justizminister, der gleichzeitig Generalstaatsanwalt ist, erhalte dadurch zu viel Macht über die Gerichte. Er bedauere, dass er bei der Ausarbeitung des Gesetzes nicht konsultiert worden sei, so Duda. Die polnische Opposition und die Protest-Organisationen nahmen die Entscheidung überwiegend positiv auf und sahen darin ihr Verdienst. Ryszard Petru, der Chef der liberalen Partei Nowoczesna, erklärte: „Die Vetos verdanken wir Hunderttausenden Polen, die auf die Straße gegangen sind, um ihre Rechte zu verteidigen.“

Das erste Gesetz, das Andrzej Duda abgelehnt hat, betrifft den Obersten Gerichtshof: Es sah unter anderem vor, dass alle bisherigen Richter in den Ruhestand versetzt werden und das Gericht vom Landesgerichtsrat (KRS) neu besetzt wird. Zurzeit ist der KRS eine von der Politik fast unabhängige Kammer, die die Richter ernennt. Das zweite Gesetz sollte diese Kammer der Politik unterordnen. Somit hätte die PiS die Gerichte des Landes inklusive des Obersten Gerichtshofes mit ihren Leuten besetzen können.

Die Abhängigkeit des Obersten Gerichtshofes von der Politik hätte zahlreiche Gefahren mit sich gebracht: So entscheidet dieser etwa über die Rechtmäßigkeit von Wahlen. Außerdem kann er als höchste Instanz Urteile anderer Gerichte, etwa in Strafverfahren, kassieren. Diese Kontroll- und Schutzfunktion für den Bürger wäre dann nicht mehr garantiert.

Auf Dudas Schreibtisch liegt aber noch ein drittes Gesetz, das er unterschreiben will. Und auch dieses Gesetz gibt dem Justizminister mehr Macht über die Justiz, als in einem Rechtsstaat üblich ist: Es erlaubt ihm, die Gerichtspräsidenten der ordentlichen Gerichte auszutauschen. Diese wiederum haben Einfluss auf die Personalpolitik an ihren Gerichten.

Jaroslaw Kaczynski, der Parteichef der PiS, hätte nach der Justizreform eine Machtfülle gehabt, die in keiner Demokratie möglich wäre: Er hätte nicht nur die Kontrolle über das Verfassungsgericht, die öffentlichen Medien, die Geheimdienste sowie die absolute Mehrheit in den beiden Parlamentskammern Sejm und Senat, sondern auch die Kontrolle über das Oberste Gericht und die ordentlichen Gerichte gehabt. Kaczynski soll vor Zorn kochen, berichten Medien. Aber eine Stellungnahme gab es bislang nicht. Er hatte Duda zum Präsidentschaftskandidaten gemacht und von ihm Folgsamkeit erwartet. Damit ist es nun anscheinend vorbei.

Bei der EU in Brüssel reagiert man zurückhaltend. Dieser Schritt sei ein „Etappensieg“, aber „kein Grund zur Entwarnung“, sagte der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europa-Parlament, Manfred Weber, dieser Zeitung. Die Änderungen an den Justizgesetzen dürften nicht nur kosmetischer Natur sein. „Sie müssen das Prinzip der Unabhängigkeit der Justiz umfänglich gewährleisten“, forderte Weber. „Es ist zu früh, den Druck von der polnischen Regierung zu nehmen.“

An diesem Mittwoch will die EU- Kommission erneut über den Problemfall Polen beraten. Dabei geht es auch darum, ob sie zur ganz großen, bislang nie eingesetzten Keule greift: der Einleitung eines Abmahn- und Ahndungsverfahrens gegen Warschau, das bis zum Entzug von Stimmrechten im Ministerrat führen kann. Brüssel hält sich zunächst bedeckt.

Die Kommission spielt auf Zeit. Man verfolge genau, was sich in Warschau tue, verkündete der Sprecher von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. „Alle Entwicklungen, die sich derzeit abspielen und alle damit verbundenen Vorgänge, werden in der Gesamtschau vom Kollegium (der Kommissare) am Mittwoch behandelt.“ Schon entschieden hat sich hingegen Elmar Brok, Veteran der EU-Außenpolitik und Haudegen der CDU-Gruppe im Europa-Parlament: Kein Sanktionsbeschluss jetzt, sagte Brok dieser Zeitung. „Wir verlangen von den Polen Rechtsstaatlichkeit – dann müssen wir auch selbst rechtsstaatlich vorgehen.“ Es gehe zum jetzigen Zeitpunkt nicht um eine politische, sondern um eine juristische Frage, die entsprechend korrekt zu behandeln sei.

Erschwerend kommt hinzu, dass nicht die polnische Regierung selbst die Gesetze zur Justizreform eingebracht hat, sondern die PiS-Fraktion. Brüssel sollte nach Broks Ansicht von Regierung und Fraktion weitere Erläuterungen verlangen. „Die nächste Stufe kann man aber nur zünden, wenn es beschlossen worden ist – idiotische Vorschläge sind nicht ausreichend!“ Außerdem sei Duda „offensichtlich jemand, der sein Amt ernst nimmt, und womöglich dabei ist, sich von (PiS-Chef) Kaczynski freizuschwimmen“. Vielleicht wird der Präsident gar noch zum Hoffnungsträger für Brüssel.