Washington.

Das Martyrium, der Nation täglich einen in jeder Hinsicht unberechenbaren Chef zu erklären, ihn in Schutz zu nehmen und einen positiv-staatsmännischen Spin für jede auch noch so erratische Äußerung zu finden, begann für Sean Spicer direkt nach der Amtseinführung von Donald Trump. Der Präsident hatte sich Besucherzahlen für die Vereidigungsfeier zusammengelogen, die selbst Kabarettisten sprachlos machten. Ganz Fernseh-Amerika sah, dass es anders war.

Spicer, ein kleiner, rundlicher, im Grunde gemütlicher Mann, hielt bei einer seiner ersten Regierungspressekonferenzen im Weißen Haus tapfer dagegen. Bis zur Selbstverleugnung deckte der 45-jährige Familienvater aus Rhode Island seinen Boss, bürstete die irritierten Korrespondenten barsch ab, denen er zuvor versprach: „Unsere Absicht ist niemals, Sie zu belügen“, und redete sich um Kopf und Kragen. „Das war die größte Zuschauerzahl, die jemals einer Amtseinführung beigewohnt hat. Punkt.“ Autoritärer Pjöngjang-Stil in Washington.

Gestern Vormittag hat Sean Spicer sein Leiden beendet. Weil Trump den dubios beleumundeten Wall Street-Finanzier Anthony Scaramucci zum neuen Kommunikationsdirektor des Weißen Hauses ernannt hat, für Spicer laut „New York Times“ ein „großer Fehler“, nahm der Regierungssprecher verärgert den Hut. Ab September werde seine bisherige Stellvertreterin Sarah Huckabee Sanders den Posten als Sprecherin übernehmen, teilte Scaramucci gestern in Washington mit.

Von seinem verkorksten Auftakt im Januar konnte sich Spicer nicht erholen. Was folgte, war eine Serie von Pannen und Ungeheuerlichkeiten, die teils selbst verschuldet, meist aber Trump-getrieben waren. Spicers Rücktritt ist symptomatisch für die Zerrüttung im engsten Kreis um Trump. Überraschend kommt er nicht. Der sich und andere vor allem an Telegenität messende Präsident war mit der Performance des Neuengländers von Beginn an unzufrieden.

Schon nach vier Wochen lud Trump zu einer eigenen Pressekonferenz ein, um sein Image zu polieren. „Ich schalte den Fernseher an, ich schlage die Zeitungen auf, und ich sehe Geschichten über Chaos“, beschwerte er sich vor den Journalisten indirekt über Spicers Leistungen. „Was für ein Chaos? Diese Regierung läuft wie eine fein abgestimmte Maschine.“ Spicer soll der Kinnladen heruntergefallen sein. Trotzdem blieb er loyal.

Dabei kam der frühere Sprecher der republikanischen Partei oft wie ein bissiger Pitbull herüber, wenn er nickelige Fragen von Reportern zu beantworten hatte. Wo andere Sprecher ein Zahnpasta-Lächeln einsetzen, war bei Spicer meist nur ein dünner, blutleerer Strich zu sehen. Dass Spicer oft mit Worthülsen agierte, lag aber nicht an ihm. Sondern an den Top-Zirkeln im Oval Office, die ihn regelmäßig verhungern ließen anstatt den ersten Öffentlichkeitsarbeiter des Staates mit ordentlichen Informationen zu füttern.

Die Fehler häuften sich, Spicer geriet zur Lachnummer

Mit der Zeit wurde Sean Spicer immer rauflustiger und unleidlicher. Und dabei unfreiwillig komisch. So komisch, dass die führende TV-Comedy-Show „Saturday Night Live“ sich seiner annahm. Was die Hollywood-Schauspielerin Melissa McCarthy in ihrer großartigen Persiflage aus „Spicy“ machte, sorgte für Lachtränen beim Publikum. Trump dagegen hat bis heute nicht verwunden, dass ausgerechnet eine Frau seinen Sprecher verhohnepipelt.

Dem Marineoffizier der Reserve unterliefen immer mehr Fehler, die in seinem Metier tödlich sind. Etwa der Vergleich des syrischen Präsidenten Assad mit Adolf Hitler. Nicht einmal „ein Mann von der Verachtenswertigkeit eines Adolf Hitler ist dazu herabgesunken, chemische Waffen einzusetzen“, sagte er. Zusatz: Schon gar nicht gegen das eigene Volk – wie Assad. Spicer verschlimmbesserte seine historisch kontaminierten Äußerungen mehrfach und sprach am Ende von Menschen, die Hitler in „Holocaust-Zentren“ umbringen ließ – gemeint waren Konzentrationslager. Den Makel des überforderten Dampfplauderers wurde er nicht mehr los.

Zuletzt machte sich Sean Spicer immer rarer und ließ der nicht weniger rabiaten Vize-Sprecherin Sarah Huckabee Sanders notgedrungen den Vortritt. Aber auch das ließ sein Ansehen beim herrisch-mürrischen Commander-in-Chief nicht mehr steigen. Als Trump bei Papst Franziskus im Mai zur Privataudienz empfangen wurde, durfte sogar Trumps Leibwächter Keith Schiller mit in den Vatikan. Der Katholik Spicer musste draußen bleiben. Was für eine Demütigung.

Trotzdem verabschiedete sich Spicer gestern mit Pathos: „Es war eine Ehre, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, Donald Trump, sowie diesem wunderbaren Land zu dienen.“

Mit Spicers Abgang könnte nun eine Reihe von Neubesetzungen beginnen, mit denen Trump die Kehrtwende in seiner verkorksten Präsidentschaft versuchen will. Nächstes potenzielles Opfer: Stabschef Reince Priebus. Für den soll der neue Kommunikationsdirektor Scaramucci bereits einen abfälligen Spitznamen haben, der auf ein zerrüttetes Verhältnis hindeutet.