Warschau/Brüssel. Polnische Regierung will das Oberste Gericht auflösen. Kritiker befürchten das Ende der Gewaltenteilung. Doch Präsident Duda knüpft seine Zustimmung an Bedingungen

Vor dem Sejm, dem polnischen Parlament, herrscht am Dienstag mal wieder Ausnahmestimmung. Barrikaden werden errichtet, Hunderte Polizisten sichern das Gebäude. Wasserwerfer stehen bereit. Die Zeitungen schreiben von der „Festung Sejm“. Auf einem Stück Rasen vor dieser Parlamentsfestung haben Protestierende ihre Zelte aufgeschlagen. Am Sonntag gab es hier bereits eine Kundgebung und für Dienstagabend war wieder eine geplant. Auf den Transparenten der Demonstranten steht: „Dreiteilung der Macht“, darunter sieht man dreimal das Gesicht von Jaroslaw Kaczynski.

Genau so, fürchten Kritiker, wird die neue Realität in Polen aussehen, wenn Kaczynski nicht gestoppt wird. Denn der Chef der nationalkonservativen PiS und seine Partei sind drauf und dran, ein neues Gesetz zu erlassen, das nach Meinung von Kritikern das Ende der Gewaltenteilung bedeuten würde. Es sieht vor, dass das Oberste Gericht in seiner derzeitigen Form aufgelöst wird und die Richter in den Ruhestand gehen. Damit fiele eine wichtige Kontrollinstanz weg. Das Oberste Gericht entscheidet etwa darüber, ob eine Wahl rechtmäßig durchgeführt worden ist oder nicht. Bleiben sollen nur diejenigen Richter, die der Landesgerichtsrat bestimmt.

Der Justizminister bestimmt die Gerichtspräsidenten

Dieser war bis vor Kurzem ein unabhängiges Gremium, das die Richter weitestgehend ohne den Einfluss der Politik bestimmte. Bereits in der vergangenen Woche hatte die PiS allerdings ein Gesetz durch das Parlament gebracht, das zur Folge hat, dass die bisherigen Mitglieder des Rates abgesetzt werden. Ihre Nachfolger sollen nun vom Parlament, also von der PiS, bestimmt werden, die mehr als die Hälfte der Abgeordneten stellt. Ein zweites Gesetz, das am vergangenen Mittwoch erlassen wurde, erlaubt es dem Justizminister, die Posten der Präsidenten an den Gerichten direkt zu besetzen. Das bedeutet schlimmstenfalls: Wer der PiS treu ergeben ist, darf bleiben, wer hingegen unbequeme Urteile fällt, muss gehen. Beide Gesetze warten noch auf eine Unterschrift des Staatspräsidenten Andrzej Duda, bevor sie in Kraft treten.

Die drei Neuerungen geben dem Justizminister – wenn sie in Kraft treten – eine Machtfülle, die vielen im Land Sorgen bereitet. Bereits 2016 hatte die Regierung das Amt des Generalstaatsanwalts mit dem des Justizministers zusammengelegt. Ein Vertreter der Regierung kann somit Anklage erheben und könnte indirekt – über die Ernennung von Richtern – Einfluss auf den Ausgang von Gerichtsverfahren ausüben.

Doch ausgerechnet Duda, der gewöhnlich die PiS-Politik unterstützt, sträubt sich. Der Präsident drohte am Dienstag mit seinem Veto gegen die Justizreform. Er werde die Gesetze in dieser Form nicht unterzeichnen. Erst müsse die erforderliche Mehrheit im Parlament zur Ernennung des Landesgerichtsrates auf eine Drei-Fünftel-Mehrheit angehoben werden. Er habe einen eigenen Entwurf zur Reform des Gerichtsrates im Parlament eingebracht, teilte Duda mit. Dieser solle jenen der PiS ersetzen.

Nach Auffassung fast aller Experten verstoßen alle drei von der PiS eingebrachten Gesetze gegen die Verfassung. Doch darum müsste sich Jaroslaw Kaczynski keine Sorgen machen. Denn das Verfassungsgericht hat er vor einigen Monaten mit ihm treu ergebenen Leuten besetzt, von denen kein Urteil gegen den Willen der Regierung zu erwarten ist. Sein größeres Problem ist jetzt Duda.

Ein weiterer Baustein von Kaczynskis Macht sind die öffentlich-rechtlichen Medien, die die PiS ebenfalls völlig unter ihre Kontrolle gebracht hat. Welche Auswirkungen dies hat, konnte man im aktuellen Konflikt gut erkennen: Während der Berichte über die Demonstrationen gegen die Regierung am Sonntag blendete der Fernsehsender TVP ein: „Die Opposition versucht, einen Putsch gegen die demokratisch gewählten Machthaber zu organisieren.“ Möglicherweise war auch dies ein Grund dafür, dass der ganz große Protest bisher ausblieb. Rund 15.000 Menschen demonstrierten am Sonntagabend vor dem Obersten Gerichtshof in Warschau.

Der EU bleibt nur der Finanzhebel als Druckmittel

In Brüssel ist die Empörung über die Pläne der polnischen Regierung groß. Doch die EU hat nicht viel Handlungsspielraum. Es fehlt an wirksamen Sanktionen. Vielmehr droht die Gefahr, dass Warschau die Kritik aus Brüssel nutzen könnte, um antieuropäische Stimmung zu schüren. Der zuständige Mann in der Brüsseler Kommission, Vizepräsident Frans Timmermans, steht unter starkem Druck, zu handeln. An diesem Mittwoch will er den Kollegen der EU-Exekutive erläutern, wie er die Entwicklung einschätzt und was getan werden könnte.

Entscheidungen seien noch nicht zu erwarten, erklärt der Sprecher von Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Grundsätzlich verfüge die Kommission „über eine Palette von Instrumenten, um dieser neuen Lage zu begegnen.“ In Wahrheit sind die Werkzeuge ziemlich stumpf.

Da wäre zunächst das „Rechtsstaatsverfahren“, das die Kommission vor anderthalb Jahren als Reaktion auf den antiliberalen Schwenk des PiS-Vorsitzenden Kaczynski in Gang setzte. Die Prozedur versteht sich als Vorlauf zur Aussetzung von Stimmrechten, die der EU-Vertrag bei „schwerwiegender und anhaltender Verletzung“ der gemeinsamen Grundwerte vorsieht: Aus der Hoffnung, Polen möge in der Vorschaltphase einlenken, ist bislang nichts geworden. Und vor der Drohung mit Stimmentzug muss Warschau nicht viel Angst haben: Nötig wäre dazu ein einstimmiger Beschluss der Staats- und Regierungschefs aller EU-Partner. Mit Ungarn, von Kaczynskis Gesinnungsfreund Viktor Orbán regiert, ist das derzeit nicht zu machen.

Das zweite Instrument wären Vertragsverletzungsverfahren, wie sie die Kommission gegen Ungarn bereits eingeleitet hat. Das sind freilich nur punktuelle Beanstandungen und angesichts einer fortdauernden Missachtung der Grundwerte kaum angemessen. Blieben finanzielle Sanktionen. Die Polen sind größter Netto-Empfänger von EU-Fördergeldern, die für immerhin 2,3 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung sorgen. Doch die Zuwendungen kann man nicht so einfach von politischem Wohlverhalten abhängig machen. Bis 2020 sind sie im gegenwärtigen Finanzplan festgelegt. Für den folgenden gilt wiederum das Prinzip Einstimmigkeit.

Umgekehrt kann freilich niemand die Netto-Zahler – Deutschland an der Spitze – zwingen, Geld in der bisherigen Größenordnung für die EU-Kasse bereitzustellen. So ist Polen letztlich auf das Wohlwollen der anderen angewiesen. Fragt sich nur, wieweit sich die Partner trauen, dies Druckmittel einzusetzen. Das muss sich im Laufe der nächsten anderthalb Jahre zeigen.