Berlin.

Hans-Georg Maaßen sorgt für ein kurzes Schmunzeln. Wäre sein Amt eine Firma und er der Manager, würde er sich jetzt freuen, scherzt er. Seine Branche boomt, Extremisten haben Hochkonjunktur, der Stapel mit Arbeitsaufträgen wächst, Geld für neue Mitarbeiter fließt. Aber Maaßen ist kein Unternehmer, er ist Chef des Verfassungsschutzes. Und als er am Dienstag den Bericht seines Amtes vorstellt, sagt er: Die Lage ist besorgniserregend. Aus Sicht des Geheimdienstes vor allem durch die weiterhin hohe Anschlagsgefahr durch Dschihadisten, aber auch aufgrund der wachsenden Gewalt bei Rechtsextremen und Linksautonomen. Doch nicht nur dort sehen die Sicherheitsbehörden Deutschland mit Risiken konfrontiert: Im Jahr der Bundestagswahl warnt der Verfassungsschutz vor Hackerangriffen und Spionage ausländischer Netzwerke oder Staaten. Aber Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sagt auch: Trotz der Terrorgefahr und politischer Gewalt sei „der Kern der Demokratie“ in Deutschland nicht gefährdet.

Dschihadismus

Religiös begründete Gewalt durch sogenannte Salafisten ist laut Verfassungsschutz die größte Gefahr für die Sicherheit in Deutschland. „Wir müssen davon ausgehen, dass mit weiteren Anschlägen durch Einzeltäter oder durch Terrorkommandos auch in Deutschland gerechnet werden muss“, sagte Maaßen. Eine Analyse des Internationalen Zentrums gegen Terrorismus in Den Haag zeigt: Seit Ausrufung des „Kalifats“ des selbst ernannten „Islamischen Staates“ gab es in Europa und den USA mehr als 50 Terroranschläge. Manchmal agieren die Täter in Gruppen, planen zeitgleich Anschläge an mehreren Orten, so wie 2015 in Paris und 2016 in Brüssel. In den meisten Fällen agieren die Täter jedoch allein. Allerdings sind sie radikalisiert durch Propaganda des IS, oder stehen in Fällen wie dem Berliner Attentäter Anis Amri auch in Kontakt zu Dschihadisten in Syrien oder Irak. Die Zahl der sogenannten „Gefährder“, Personen, denen die Behörden eine schwere Gewalttat wie einen Anschlag zutrauen, liegt mittlerweile bei 680. Zum einen radikalisieren sich junge Menschen stärker in Deutschland, zum anderen deckt die Polizei etwa durch Razzien und Festnahmen auch immer mehr Mitglieder der Szene auf. Maaßen zählt aktuell 10.100 Salafisten in Deutschland – eine kleine, aber fundamentalistische Gruppe unter den fast fünf Millionen Muslimen in der Bundesrepublik.

Rechtsextremismus

Vor allem Neonazis werden in Deutschland in den vergangenen Jahren immer gewalttätiger. Im Jahr 2016 wurden 1600 rassistisch motivierte Angriffe unter anderem auf Asylbewerberunterkünfte gezählt. Das waren fast 14 Prozent mehr als 2015 (1408 Gewalttaten). Die Anhängerschaft der rechten Szene wuchs 2016 auf mehr als 23.000 an. Mehr als die Hälfte der Personen galten als gewaltbereit. Dass die Zahl der Rechtsextremisten zunimmt, war bereits im vergangenen Jahr die besorgte Botschaft der Verfassungsschützer. Nach ihrem aktuellen Bericht hat sich das Problem weiter verschärft. Erstmals im Verfassungsschutzbericht erwähnt sind die sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter, die die Existenz der Bundesrepublik negieren. Seit vergangenem Jahr werden sie beobachtet. Der Verfassungsschutz geht von 12.800 Anhängern aus. Davon seien 800 bekannte Neonazis. Zudem zeigen die Reichsbürger eine hohe Affinität zu Waffen. Den Angaben zufolge verfügen 700 Reichsbürger über eine Erlaubnis für den Besitz von Waffen. Bis Anfang Juni ist laut Innenministerium 100 Reichsbürgern diese Erlaubnis entzogen worden. Auch die sogenannte „Identitäre Bewegung“ (IB) ist auf dem Schirm der Sicherheitsbehörden. In einigen Fällen laufen frühere NPD-Mitglieder in die neurechte Gruppe über. Vor einigen Jahren war die IB vor allem im Internet aktiv, mittlerweile trägt sie ihre Propaganda stärker auf die Straße. „Nach einer Zeit der Repression nach dem NSU-Schock fühlen sich Rechtsextreme wieder im Aufwind“, sagt Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, die sich gegen Neonazis engagiert. Durch die Stimmungsmache gegen Flüchtlinge vor allem im Internet seien rechtsextreme Täter zu Gewalt ermutigt worden, so Reinfrank. Im laufenden Jahr zeigt sich allerdings auch ein Rückgang der Angriffe auf Geflüchtete. Für die erste Jahreshälfte habe das Bundeskriminalamt bislang 137 Attacken erfasst, berichtet die „Neue Osnabrücker Zeitung“. Das entspreche einem Fünftel der Zahl vom ersten Halbjahr 2016.

Linksextremismus

Laut Verfassungsschutz steigt auch die Zahl radikaler Linker in Deutschland. 28.500 Menschen wurden 2016 der Szene zugerechnet, knapp 2000 mehr als 2015. Der Geheimdienst traut 8500 von ihnen auch Gewaltaktionen zu. Die Zahl der Übergriffe hat im Jahr 2016 dem Bericht zufolge aber abgenommen: Im vergangenen Jahr wurden 1201 Gewalttaten gezählt, 2015 waren es noch 1608, darunter vor allem Sachbeschädigungen und Angriffe auf Polizeibeamte. Für den jetzt anstehenden G20-Gipfel erwarten die Sicherheitsbehörden allerdings schwere Ausschreitungen zwischen Polizisten und militanten Autonomen. Der Verfassungsschutz schätzt, dass bis zu 8000 Personen aus dem In- und Ausland anreisen könnten, denen der Dienst Übergriffe zutraut. Im Vorfeld des Gipfels gab es mehr als 80 Delikte, die links motiviert waren, darunter vor allem Sachbeschädigungen.

Hackerangriffe

Nicht nur Gewalt radikalisierter Menschen bereitet dem Geheimdienst Sorgen – auch die anstehende Bundestagswahl. Der Verfassungsschutz befürchtet gezielte Cyberattacken vor allem aus Russland. „Russland und China wurden mehrfach als Angreifer erkannt“, heißt es in dem Bericht. Die Vehemenz und Zielauswahl der zuletzt entdeckten Angriffe zeige „deutlich den Versuch, Politik und Bundesverwaltung strategisch auszuspionieren“. Besonders im Visier stehen das Auswärtige Amt, die deutschen Botschaften, das Bundesfinanz- und das Wirtschaftsministerium. Aber auch Kanzleramt und Bundeswehr seien zunehmend „im Fokus der Angreifer“. Bereits 2015 waren mutmaßlich russische Hacker erfolgreich, als sie sich auf den Server des Bundestags einschleusen konnten und Daten abfischten. Im Internet sind bereits Seiten gebucht, die BTleaks.com oder BTLeaks.net heißen – Plattformen, auf denen bald möglicherweise die gehackten Daten veröffentlicht werden.