Washington.

Lange vor dem traditionellen Feuerwerk am amerikanischen Unabhängigkeitstag wurde Donald Trump gestern von einem Geschoss der besonderen Art geweckt. Gegen alle UN-Verbote und Strafandrohungen Washingtons hat Nordkorea nach eigenen Angaben zum ersten Mal erfolgreich eine ballistische Rakete gezündet, die nach Einschätzung von US-Wissenschaftlern mit einer Reichweite von mehr als 6000 Kilometern Ziele in den Vereinigten Staaten erreichen könnte.

Im jahrelangen Streit mit dem kommunistischen Regime in Pjöngjang ist damit ungeachtet der noch nicht definitiv geklärten Frage, ob es sich um eine optimierte Mittelstreckenrakete oder eine Interkontinentalrakete (ICBM) handelte, eine neue Eskalationsstufe erreicht, die den US-Präsidenten zum Handeln zwingt.

Peking will sich nicht die Agenda diktieren lassen

Trump hatte vor und nach Amtsantritt die Politik der „strategischen Geduld“ seines Vorgängers Obama gegenüber Nordkorea mehrfach als gescheitert bezeichnet und eine härtere Gangart angekündigt, notfalls auch im militärischen Alleingang, sollte Diktator Kim Jong-un das Atomwaffen- und Raketenprogramm nicht einstellen. Der New Yorker Unternehmer hatte Kim als „gefährlichen Psychopathen“ bezeichnet, der den Weltfrieden gefährde. Noch vor wenigen Tagen sagte Trump beim Besuch des südkoreanischen Präsidenten in Washington, dass seine Geduld mit Pjöngjang aufgebraucht sei.

Dagegen äußerte sich Präsident Trump kurz vor seiner Abreise an diesem Mittwoch nach Polen und zum G20-Gipfel in Hamburg vergleichsweise zurückhaltend. „Hat dieser Typ mit seinem Leben nichts Besseres anzufangen?“, schrieb er auf Twitter mit Blick auf Kim. Unter Verzicht auf seine sonst üblichen Pauschaldrohungen, die auch eine militärische Komponente beinhalten, oder eigene Lösungsvorschläge lenkte Trump erneut die Aufmerksamkeit auf Peking. „Vielleicht wird China erhebliche Maßnahmen gegen Nordkorea ergreifen und diesen Unsinn ein für alle Mal beenden“, twitterte er. Schließlich könne er sich nicht vorstellen, dass Südkorea und Japan Nordkoreas Gebaren „noch länger hinnehmen“ werden.

Nordkoreas Schutzmacht und wichtigster Wirtschaftspartner will sich jedoch von Trump nicht die Agenda diktieren lassen. Man sei „unnachgiebig“ an einer friedlichen Lösung des Konflikts auf der koreanischen Halbinsel interessiert, kabelte das chinesische Außenministerium. Aus dem Umfeld von Präsident Xi, der sich am Dienstag in Moskau mit Russlands Präsident Wladimir Putin für den G20-Gipfel abstimmte, verlautete der bekannte Appell nach „allseitiger Zurückhaltung“, um eine Eskalation der Lage zu vermeiden.

Nach Erklärung der Regierung in Pjöngjang überwachte Diktator Kim Jong-un persönlich den Abschuss einer ballistischen Interkontinentalrakete vom Typ Hwasong-14. Der Flugkörper habe eine Höhe von 2800 Kilometern erreicht und sei nach rund 940 Kilometer Flugstrecke planmäßig vor der japanischen Küste niedergegangen.

Aus den bekannt gewordenen Daten errechneten US-Wissenschaftler, dass Raketen dieses Typs den US-Bundesstaat Alaska (circa 6000 Kilometer von Pjöngjang entfernt) erreichen könnten. Experten betonten im US-Fernsehen, dass der erfolgreiche Flug einer Trägerrakete an sich noch keine unmittelbare Gefahr darstelle, da Nordkorea derzeit nicht in der Lage sei, das Geschoss mit einem nuklearen Sprengkopf zu bestücken. Gleichwohl sei der Fortschritt, den Nordkorea mache, ein Zeichen dafür, dass sich Kim von den Drohungen Trumps nicht beeindrucken lasse. Der US-Präsident hatte bereits vor Amtsantritt verkündet, er werde niemals zulassen, dass Nordkorea in die Lage gerät, eine atomar aufrüstbare Interkontinentalrakete einsatzfähig zu machen: „Das wird nicht passieren!“

Nach dem jüngsten Test ist die Besorgnis vor allem in Südkorea und Japan gestiegen. Japans Ministerpräsident Shinzo Abe forderte mit Blick auf den G20-Gipfel in Hamburg ein solidarisches Vorgehen der Staatengemeinschaft. Die ständigen Verstöße Nordkoreas gegen einschlägige UN-Resolutionen dürften nicht länger toleriert werden. Vor allem von China und Russland erwarten sich die Nachbarländer einen wirkungsvolleren Beitrag zur Entschärfung der Krise.

Die Regierung in Washington hat sich in den vergangenen Monaten unzufrieden mit der Rolle Chinas gezeigt. Dort wähnt Trump den Schlüssel zur Lösung. Er erwartet, dass Präsident Xi durch ökonomischen Druck – Nordkorea ist in nahezu allen Belangen auf Lieferungen aus China angewiesen – Kim Jong-un zur Räson bringt. Peking zeigte sich hier bis zuletzt zurückhaltend und setzt auf eine Wiederaufnahme der vor knapp zehn Jahren aufgegebenen diplomatischen Verhandlungen, die im Kern dieses Ziel verfolgten: Nordkorea friert sein Atomprogramm ein und erhält dazu im Gegenzug humanitäre Hilfe und schrittweise normale Beziehungen zu seinen Nachbarn und den USA.

Dahinter steht die Überzeugung der Führung in Peking, dass ein US-Luftschlag gegen Nordkorea die atomaren Kapazitäten nicht ausschalten, aber sehr wohl eine Kettenreaktion von Gegenschlägen auslösen kann, durch die die gesamte Region – Japan, China, Taiwan – in Krieg und Chaos versinkt.