Washington.

Europäische Diplomaten, die in Washington um eine Vorschau auf das Auftreten Donald Trumps beim G20-Gipfel Ende dieser Woche in Hamburg gebeten wurden, nahmen Anleihen im Faustkampf: „Angeschlagene Boxer sind gefährlich.“ Übertragen auf den fünfeinhalb Monate nach Amtsantritt tief im Twitter-Krieg mit Medien und Opposition steckenden amerikanischen Präsidenten verheißt das für Gastgeberin Angela Merkel wenig Gutes.

Wird Trump das auf mühsame Konsensbildung angelegte Treffen der Staats- und Regierungschefs der führenden Industrie- und Schwellenländer mit Alleingängen sprengen? „Man muss mit rhetorischen Stinkbomben rechnen“, sagt ein EU-Statthalter. Vor allem bei Klimaschutz, Freihandel und Flüchtlingspolitik werde Trump „die Verständigung erschweren“. Vor allem aus innenpolitischen Gründen.

Nachhaltige Erfolge kann der 71-Jährige zu Hause nach wie vor nicht vorweisen. Dass der Oberste Gerichtshof den Einreisebann für bestimmte Muslime mit starken Einschränkungen versehen vorläufig für rechtens erklärt hat, ist nicht mehr als ein Etappensieg. Die großen Versprechen – Steuerreform, Infrastrukturprogramm und Generalüberholung der Krankenversicherung seines Vorgängers Obama – haben sich im Politikgetriebe Washingtons verkantet. Zu sehr beharken sich Weißes Haus und Kongress.

Trump hat viele Baustellen – das macht ihn unberechenbar

Dass Trump und die mit Mehrheit regierenden Republikaner nicht im Gleichschritt marschieren, dokumentiert die Hängepartie bei der Gesundheitsreform. Schon zum zweiten Mal mussten die Konservativen aus Furcht vor Abtrünnigen in den eigenen Reihen eine Schlüsselabstimmung absagen, für die sie sich seit acht Jahren warmlaufen. Dass ihr Konzept nach Berechnungen unabhängiger Rechnungsprüfer bis zu 26 Millionen Amerikaner aus dem Versicherungsschutz katapultieren würde, trägt zum Missmut auch in jenen ärmeren Bundesstaaten bei, die den New Yorker Milliardär ins Oval Office getragen haben. Auch darum sind Trumps Zustimmungswerte in Umfragen bei durchschnittlich 40 Prozent historisch niedrig.

Um seinen auf 20 Prozent taxierten Kernwählerstamm mit Blick auf die Zwischenwahlen 2018 bei Laune zu halten, verfolgt Trump international eine harte „America First“-Politik, die sich Schritt für Schritt aus global gültigen Vereinbarungen löst. Sei es das Klimaabkommen, der Freihandel oder die Verantwortung für den Weltfrieden. Gerade erst haben die Vereinten Nationen auf Drängen Trumps das Budget für Friedensmissionen um 600 Millionen Dollar beschnitten.

Hatte Trump beim G7-Gipfel in Sizilien im Mai noch formelhafte Bekenntnisse gegen Protektionismus im Abschlussdokument geduldet, deutet sich in Hamburg der Auftakt zu einem Wirtschaftskrieg an. Gegen den Rat großer Teile seines Kabinetts, so berichten US-Medien, werde der Präsident schon bald Strafzölle von 20 Prozent für mehrere Stahlexporteure verhängen. Unter den potenziell Leidtragenden: Deutschland. Erwartete Konsequenz: weiterer Ansehensverlust für Trump und Amerika. Schon heute hat das renommierte Meinungsforschungsinstitut Pew bei der Befragung von 40.000 Menschen in 37 Ländern ermittelt, dass das Vertrauen in den US-Präsidenten auf magere 22 Prozent abgeschmolzen ist. Zumal die Ablehnung an der Heimatfront gegen Trump immer stabiler wird. Am Wochenende gingen in mehreren Städten Tausende auf die Straße, um für ein Amtsenthebungsverfahren zu werben.

Den Ausstieg aus dem Pariser Klimaprotokoll haben mächtige Bundesstaaten wie Kalifornien genutzt, um noch ehrgeizigere Ziele zur Eindämmung der Erderwärmung zu verabschieden. In den Südstaaten Texas und Arizona setzen lokale Bündnisse aus Politik und Wirtschaft Fragezeichen hinter das finanziell noch in den Sternen stehende Mauerbollwerk an der Grenze zu Mexiko, mit dem Trump Drogen und illegale Einwanderung stoppen will. Und über ein Dutzend Bundesstaaten weigert sich, sensible Bürgerdaten an eine Sonderkommission zu übergeben. Damit soll der von Trump behauptete Wahlbetrug im vergangenen November nachgewiesen werden. Experten sprechen von einer „absurden Verschwörungstheorie“.

Bei alledem vergeht kaum ein Tag, an dem Donald Trump sich nicht mittels seines bevorzugten Herrschaftsinstruments – Twitter – einmischt. Etwa mit von „unheimlichem Frauenhass“ („New York Times“) geprägten Attacken gegen eine liberale TV-Moderatorin, die auch nach Ansicht konservativer Amerikaner „weit unter der Würde“ des höchsten Staatsamtes waren. Am Sonntag postete Trump ein Video, auf dem er selbst einen Mann angreift, niederringt und verprügelt, dessen Kopf mit dem CNN-Logo verfremdet ist. Am Ende des knapp 30 Sekunden langen Films wird der Schriftzug „FNN Fraud News Network“ (so viel wie „Sender für gefälschte Nachrichten“) mit einem CNN ähnelnden Logo eingeblendet.

US-Präsident will in Warschaueine „große Rede“ halten

In welchem emotionalen Aggregatzustand Trump am Freitag an der Alster eintrifft, wird das Vorspiel im EU-kritischen Polen zeigen. Kurz nach dem amerikanischen Unabhängigkeitstag am 4. Juli stattet der Präsident der polnischen Hauptstadt Warschau eine Visite ab. Auf dem Krasinski-Platz, auf dem ein großes Denkmal an den Aufstand gegen Nazideutschland erinnert, will Trump eine „große“ Rede halten, heißt es im Weißen Haus.

Ob Trump die Bühne nutzen wird, die Beistandsverpflichtung der von ihm mehrfach kritisierten Nato im Krisenfall zu bekräftigen, ist bisher nicht bekannt. Klar ist jedoch, dass Trump Polen als Plattform für seine aggressive Energiepolitik sieht. Um Defizite im transatlantischen Handel zu verringern, sollen die Europäer Flüssigerdgas (LNG) aus den USA importieren. Ein Projekt mit politischer Sprengkraft, weil damit Russland Marktanteile verloren gehen könnten.

Womit man beim inoffiziellen Highlight des G20-Gipfels angekommen wäre – dem ersten Treffen Trumps mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Die im Wahlkampf zur Schau gestellte Schmeichelei gegenüber dem Kreml ist verflogen. Washington liegt, ob in der Ukraine oder in Syrien, mit Moskau so sehr im Streit, dass Trump die Beziehungen „auf dem Tiefpunkt“ wähnt. Dazu kommen die Untersuchungen eines Sonderermittlers, der Russlands Störmanöver vor der Präsidentschaftswahl zulasten der Demokratin Hillary Clinton beleuchtet – und die Frage, ob Trumps Leute dabei mit Putin-Getreuen unter einer Decke gesteckt haben.