Berlin.

Bei den Grünen gibt es an diesem Freitagmorgen schon um 9.15 Uhr ein, zwei Gläschen Sekt. Und dann wird auch noch eine große Torte angeschnitten, garniert mit den Regenbogenfarben der Lesben- und Schwulenbewegung. Claudia Roth und Parteichefin Simone Peter sind ganz aus dem Häuschen. Volker Beck umarmt Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, hebt sie sogar kurz hoch. Sie sagt: „Ich freu mich einfach wahnsinnig.“ Ausgelassene Stimmung vor dem Fraktionssaal der Öko-Partei im Bundestag. Es ist ein bisschen wie Karneval.

Es gibt was zu feiern: Im Bundestag wird an diesem Morgen die „Ehe für alle“ beschlossen – mit den Stimmen von SPD, Grünen, Linken sowie etwa einem Viertel der Abgeordneten der Unionsfraktion. Als Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) das deutliche Ergebnis verkündet, werden in den Reihen der Grünen Konfettikanonen gezündet. Bunte Schnipsel rieseln auf die Abgeordneten nieder. Lammert spricht von einer unangemessenen Reaktion auf die Debatte und vom „Verdacht der Albernheit“. Doch das ist den in den vergangenen Jahren so brav gewordenen Grünen an diesem Tag einfach nur egal. Sie lassen sich ihre gute Laune nicht vermiesen.

Und sie blicken alle auf einen Mann: Volker Beck wird nach vielen Jahren als Abgeordneter nicht mehr für den Bundestag kandidieren. Es ist seine letzte Rede im Parlament. Und sein größter Sieg. Der Politiker aus Köln hat sich 29 Jahre für die Rechte der Homosexuellen engagiert. Beim Tortenanschnitt sagt er, „dass wir Menschen mit gleicher Würde und gleichen Rechten sind“. Dann kommen ihm ein paar Tränen. „An einem solchen Tag denkt man einfach auch an seinen verstorbenen Lebensgefährten“, sagt Beck. Jacques Teyssier starb vor ein paar Jahren an Krebs.

Es herrscht eine ungewöhnlich emotionale, aufgekratzte Stimmung an diesem frühen Morgen im Bundestag. Es ist nicht irgendein Gesetz, über das hier ab acht Uhr debattiert wird. Das kann man auch daran erkennen, dass 623 von 630 Abgeordneten anwesend und die Ministerbänke voll besetzt sind. Das Gesetz hat einen hohen symbolischen Wert: Die Abstimmung über die „Ehe für alle“ wird in vielen Reden als historische Entscheidung gewertet. Über Jahrhunderte wurden Lesben und Schwule diskriminiert. Nun ist die letzte rechtliche Gleichstellung vollzogen.

Was steht im Gesetz –
und was bedeutet das?

In Paragraf 1353 des Bürgerlichen Gesetzbuches heißt es in Zukunft: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen.“ Der ursprüngliche Satz wurde um sieben Wörter ergänzt: „von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts“. Seit 2001 können gleichgeschlechtliche Paare eine Lebenspartnerschaft eintragen lassen. Zunächst gab es viele Unterschiede zur traditionellen Ehe. Viele wurden auf Druck des Bundesverfassungsgerichts beseitigt, etwa im Erb- oder Steuerrecht. Nun dürfen Homosexuelle heiraten – wie in vielen anderen Ländern Europas.

Was ändert sich konkret
für Homosexuelle?

Praktisch ändert sich mit der „Ehe für alle“ in erster Linie, dass ein homosexuelles Paar das Recht haben wird, Kinder zu adoptieren. Das wurde ihnen bisher nicht erlaubt. Aus eingetragenen Lebenspartnern werden jetzt aber nicht automatisch Eheleute. Für die Heirat müssen die Partner gemeinsam zum Standesamt gehen. Dort können sie erklären, eine Ehe führen zu wollen. Neue Lebenspartnerschaften können künftig nicht mehr eingetragen werden. Das Gesetz tritt allerdings nicht sofort in Kraft, sondern erst drei Monate nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt – also im Herbst. Hinzu kommt: Das Gesetz ist verfassungsrechtlich umstritten. Verschiedene Unionspolitiker spielen mit dem Gedanken, vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe zu klagen.

Wie hat die Kanzlerin abgestimmt?

Angela Merkel hat eine rote Karte in die Urne gesteckt – sie hat also mit Nein gestimmt. Die Kanzlerin begründet das so: „Für mich ist die Ehe im Grundgesetz die Ehe von Mann und Frau.“ Allerdings sprach sie sich dafür aus, dass Homosexuelle Kinder adoptieren können. Mit Nein stimmten auch andere prominente Christdemokraten: Fraktionschef Volker Kauder, Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) – und auch CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt. Für die „Ehe für alle“ entschieden sich Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Kanzleramtsminister Peter Altmaier (beide CDU).

Wie haben die Hamburger

Abgeordneten abgestimmt?

Von den 13 Parlamentariern stimmte lediglich Dirk Fischer gegen den Gesetzentwurf. Er war jahrelang CDU-Landesvorsitzender und gilt als einer der dienstältesten Abgeordneten. Er vertritt die CDU im Bundestag seit 36 Jahren. Im Gegensatz zu ihm votierten die CDU-Abgeordneten Herlind Gundelach, Marcus Weinberg, Rüdiger Kruse und Jürgen Klimke – wie ihre Kollegen von der SPD, den Grünen und der Linken - für die neue „Ehe für alle“.

Was bedeutet die Abstimmung
für die große Koalition?

Der letzte reguläre Sitzungstag dieser Legislaturperiode ist auch so etwas wie der schwarz-rote Scheidungstag. Die große Koalition ist de facto am Ende. Ab jetzt ist Wahlkampf, auch wenn sich bis zum 24. September die Kanzlerin und ihre Minister noch jeden Mittwoch an den Kabinettstisch setzen werden.

Die SPD hat die Union mit Hilfe von Grünen und Linken überrumpelt. Eigentlich hätte Merkel die SPD-Minister nach der Ankündigung von SPD-Chef Martin Schulz, die „Ehe für alle“ im Bundestag zur Abstimmung zu stellen, entlassen können. Doch was dann? Die Kanzlerin hätte ohne Koalitionspartner dagestanden – und per konstruktivem Misstrauensvotum von SPD, Grünen und Linken gestürzt werden können. „So irre ist Merkel nicht“, sagte ein grüner Spitzenpolitiker.

Der schlechte Zustand der Koalition wird auch in den Reden der Sozialdemokraten deutlich. So sagt Fraktionschef Thomas Oppermann, die Neuregelung sei „vielleicht nicht gut für die Koalition, aber gut für die Menschen“. Das klingt noch nüchtern, pragmatisch.

Ganz anders ist Johannes Kahrs drauf, Chef des Seeheimer Kreises, dem bürgerlich-wirtschaftlichen Flügel der SPD. Der homosexuelle Abgeordnete aus Hamburg trägt eine pink-gemusterte Krawatte zum Anzug – und attackiert die Kanzlerin mit einer Härte, die so selten im Parlament zu sehen ist: „Frau Merkel, ich kann es Ihnen nicht ersparen, es war erbärmlich, es war peinlich, seit 2005 haben Sie die Diskriminierung von Lesben und Schwulen hier unterstützt und haben nichts dafür getan, dass es zu einer Gleichstellung kommt.“ Merkel habe keine „große strategische Glanzleistung“ abgeliefert, als sie die Abstimmung über die „Ehe für alle“ zur Gewissensentscheidung erklärte. „Sie haben sich hier verstolpert, das war Ihr Schabowski-Moment.“ Eine Anspielung auf die überraschend-versehentliche Öffnung der DDR-Grenzen durch den SED-Politiker Günter Schabowski am 9. November 1989.

Kahrs Schärfe irritiert viele Abgeordnete. Bisher war die Debatte mit Ausnahme der Rede der früheren CDU-Abgeordneten Erika Steinbach emotional, aber sachlich. Doch Kahrs wird laut: „Dieses ganze Verschwurbeln, es steht mir bis hier.“ Er schließt mit Worten, die nicht in seinem Manuskript gestanden haben dürften: „Und ehrlicherweise, Frau Merkel, vielen Dank für nichts.“ Die Kanzlerin blickt nur geradeaus.