Berlin.

Für die Grünen war es wie im berühmten Silvestersketch „Dinner for one“ – „the same procedure as every ­year“. In den letzten vier Jahren hatten sie im Bundestag immer wieder einen Gesetzentwurf über die „Ehe für alle“ aufgerufen. Und jedes Mal hatten SPD und Union für eine Vertagung votiert, die Sozialdemokraten aus Rücksicht auf den Partner, also aus Koalitionsräson. „30 Mal berührt, 30 Mal ist nichts passiert“, ulkte Renate Künast (Grüne), die Vorsitzende des Rechtsausschusses, eine Anspielung auf ein Lied von Klaus Lage.

Am Mittwoch, beim 31. Mal, hat es Zoom gemacht: Die SPD stimmte im Ausschuss nicht mit der Union, sondern zusammen mit Grünen und Linken. 20 zu 19 hieß es am Ende. Nun steht das Gesetz im Bundestag zur Abstimmung an. Es wurde auf Initiative von Rheinland-Pfalz vom Bundesrat eingebracht und muss auch die Länderkammer erneut passieren, vermutlich schon am 7. Juli.

Wenn alles planmäßig über die Bühne geht, werden die Abgeordneten am Freitag um acht Uhr über das Gesetz diskutieren. Viel Zeit lassen sie sich nicht – 38 Minuten sind angesetzt. Nach jahrelangen Wehen kommt das Gesetz als parlamentarische Sturzgeburt auf die Welt. Das linke Lager verfügt zusammen über 320 der 630 Stimmen im Hohen Haus. Das sollte reichen, um die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der traditionellen Ehe durchzusetzen, zumal auch einige Christdemokraten dafür sind. Es wird damit gerechnet, dass viele Abgeordnete „persönliche Erklärungen“ zu Protokoll geben werden.

Einige Unionsabgeordnete wollen auch mit Ja stimmen

Mit Ja werden nach eigenen Angaben CDU-Generalsekretär Peter Tauber und Staatssekretär Jens Spahn votieren, der auch CDU-Präsidiumsmitglied ist. Als sicher gelten die Stimmen der Abgeordneten Christina Schwarze, Jan-Marco Luczak, Heribert Hirte und Stefan Kaufmann, ein Mitbegründer der Gruppe der Lesben und Schwulen in der Union.

Die SPD wird eine namentliche Abstimmung beantragen. Die Union folgt zwar der Einschätzung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die von einer Gewissensentscheidung spricht. Es wird folglich keine „Fraktionsdisziplin“ geben. Trotzdem wird man in der Partei sorgsam registrieren, wer sich wie verhält. Die Beschlusslage ist eindeutig. CDU wie CSU haben sich auf Parteitagen gegen die „Ehe für alle“ ausgesprochen. Spahn sagte in der ARD, er werde mit Ja stimmen, „weil da Werte gelebt werden“, für die er einmal in die CDU eingetreten sei: „Zwei Menschen sagen vor dem Staat, wir stehen füreinander ein in guten wie in schlechten Zeiten.“

Wer gegen die „Ehe für alle“ ist, der ist nicht gleich homophob. Wer dafür stimmt, soll umgekehrt respektiert und nicht isoliert werden. Die Abstimmung ist ein Test auf die innerparteiliche Toleranz. Die Unruhe ist groß. Noch größer als die Kritik am Gesetz ist indes die Empörung über den Koalitionspartner. „Die taktischen Spielchen“ belegen für CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt nur eines: „Allen Lippenbekenntnissen zum Trotz wird die SPD, wenn es reicht, auf Bundesebene ein rot-rot-grünes Bündnis eingehen.“ Die Christdemokraten fühlen sich überrumpelt. Abgeordnete wie Günther Krings oder Patrick Sensburg haben zugleich Einwände in der Sache. Sie halten das Gesetz für verfassungswidrig. Auf der sicheren Seite wäre man mit einer Änderung des Grundgesetzes. Das lehnt die SPD ab.

In Artikel 6 heißt es:,„Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.“ Man kann davon ausgehen, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes dabei nur an die Ehe zwischen Mann und Frau gedacht haben. „Die Ehe von Frau und Mann steht unter dem besonderen Schutz des Staates. Nur aus dieser Verbindung können auf natürlichem Wege Kinder entstehen. Das kann man nicht relativieren“, sagte Hasselfeldt unserer Zeitung. Sie will gegen eine Öffnung der Ehe stimmen.

Am Freitag wird der Vorwurf der Verfassungswidrigkeit im Raum stehen. Zumindest im Bundespräsidialamt wird man ihn auch ernst nehmen. Das Gesetz tritt erst dann in Kraft, wenn der Bundespräsident es unterzeichnet hat. Frank-Walter Steinmeier hat kein materielles Prüfungsrecht. Er schaut in erster Linie darauf, ob das Gesetz korrekt zustande gekommen ist. Ob es inhaltlich gegen das Grundgesetz verstößt, müsste im Zweifel das Verfassungsgericht klären. Rechtspolitiker Sensburg behält sich einen Gang nach Karlsruhe vor. 2002 hat Bundespräsident Johannes Rau ein Zuwanderungsgesetz mit der Begründung unterzeichnet, wer für eine Überprüfung in Karlsruhe sei, „dem steht der Weg dafür offen“. Unabhängig davon, ob es zu einem juristischen Nachspiel in Karlsruhe kommt, wird die Union nicht so schnell zur Ruhe kommen. Schließlich war es CDU-Chefin Angela Merkel selbst, die der SPD den Anlass oder Vorwand für die Abstimmung lieferte. Offene Kritik wird an der Kanzlerin nicht geübt; in Wahlkampfzeiten verbietet sich das. Und doch regt sich intern Unmut. Die Kanzlerin habe Fakten geschaffen, heißt es, als sie bei einer Talkshow am Montagabend in Berlin die „Ehe für alle“ zur Gewissensentscheidung erklärte und die Abstimmung freigab. Ein Versehen war es wohl nicht. Das Prozedere hatte Merkel am Sonntag schon zweimal erörtert, erst im Kreis der Fraktionschefs der CDU aus Bund und Ländern, dann im Präsidium der Partei und anderntags im Vorstand.

Familienministerin freut sich „wahnsinnig“ über neue Ehe

Die Union berät über ein Wahlprogramm, das am Montag vorgestellt wird. Schon deswegen hat die „Ehe für alle“ Merkel seit Monaten umgetrieben, zumal sie aus Umfragen und den Programmen der anderen Parteien entnehmen konnte, dass die Union isoliert ist. Merkel sinnierte über einen Ausweg. „Ich kenne viele, die sich sehr viele Gedanken machen über dieses Thema“, hatte sie in der Talkrunde bei „Brigitte“ erzählt.

Ein „einschneidendes Erlebnis“ war ein Gespräch in ihrem Wahlkreis mit einer lesbischen Frau, die sich mit ihrer Partnerin um acht Pflegekinder kümmerte. Merkel kam ins Grübeln. Wenn das Jugendamt entscheide, „bei einem solchen Paar“ Kinder zur Pflege zu geben, dann könne man bei schwulen Paaren nicht mehr ganz so einfach mit der Frage des Kindeswohls gegen Adoptionen argumentieren. Letztlich hatte sie vor, das Feld zu räumen, das Thema aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Es bekümmere sie, dass es Gegenstand von Parteitagsbeschlüssen und plakativen Beschlüssen sei, „weil ich glaube, dass es sich hier schon um etwas sehr Individuelles handelt“. Nun bekommt sie genau das, was sie vermeiden wollte: ein Kräftemessen, einen Showdown, bei dem der Sieger schon vorab feststeht, die SPD.