Athen. Bewaffnete und maskierte Männer sollen Schutzsuchende über die Grenze gebracht haben

206 Kilometer misst die Grenze zur Türkei im Nordosten Griechenlands. Größtenteils folgt sie dem Lauf des Flusses Evros, den die Türken Meric nennen. Jetzt, im Sommer, führt er wenig Wasser. Man kann den Fluss relativ gefahrlos mit einem Kahn oder einem Schlauchboot überqueren. Nicht nur Kriegsflüchtlinge aus Syrien und Armutsmigranten aus Pakistan versuchen so, in die EU zu gelangen. Immer häufiger kommen in den vergangenen Monaten auch türkische Regimekritiker über den Evros. Sie fliehen vor den „Säuberungen“ des Staatschefs Recep Tayyip Erdogan und wollen in Griechenland Asyl beantragen.

Aber jetzt stehen schwere Vorwürfe im Raum: Mehrfach sollen bewaffnete und maskierte Männer schutzsuchende Türken, darunter ganze Familien, auf der griechischen Seite der Evros-Grenze abgefangen und gewaltsam in die Türkei zurückgebracht haben. Die griechische Menschenrechtsvereinigung Eleda hat mehrere Fälle dokumentiert. Einer soll sich am 2. Juni zugetragen haben. Griechische Polizisten stellten demzufolge an der Grenze eine türkische Familie mit vier Kindern und drei weitere Männer, die Asyl beantragen wollten. Die Polizisten versprachen den Schutzsuchenden, sie zu einem Büro der Uno-Flüchtlingsagentur UNHCR zu bringen. Stattdessen übergaben sie die Menschen aber einem Kommando maskierter Männer. Sie lieferten sie auf der anderen Seite den türkischen Behörden aus. Es soll Dutzende solcher Vorgänge geben. Dokumentiert ist auch der Fall des türkischen Journalisten Murat Capan, der am 24. Mai in Griechenland Asyl suchte, aber gewaltsam in die Türkei zurückgebracht wurde. Dort sitzt er seither in Haft.

Ungeklärt ist vor allem die Identität der maskierten, bewaffneten Männer: Handelt es sich um griechische Polizeibeamte? Oder duldet die Regierung etwa Operationen türkischer Kommandos auf griechischem Territorium? Guy Verhofstadt von den Liberalen im Europaparlament verlangt Aufklärung.

Die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras steht von zwei Seiten unter Druck. Der türkische Premier Binali Yildirim forderte in dieser Woche die Auslieferung von acht türkischen Offizieren, die nach dem Putschversuch vom Juli 2016 in Griechenland Asyl beantragten. Ein Gericht untersagte dies.

Griechenland ist an guten Beziehungen mit der Türkei interessiert. Das gilt vor allem für den Flüchtlingspakt. Bisher hält sich die Türkei an ihn und verhindert, dass massenhaft Flüchtlinge auf griechische Inseln gelangen. Ist Athen dadurch so erpressbar geworden, dass die griechische Regierung jetzt bei der Jagd auf Erdogan-Kritiker mit den türkischen Behörden kooperiert? Premier Tsipras hält sich bisher mit Kritik an Erdogan auffallend zurück.

Sollten sich die Vorwürfe gegen Griechenland bestätigen, wäre das ein klarer Verstoß gegen europäisches Recht. Der griechische Migrationsminister Giannis Mouzalas kündigte nun immerhin eine Untersuchung an.