KecskemÉt.

Knapp zwei Jahre nach dem Erstickungstod von 71 Flüchtlingen in einem Kühllaster hat am Mittwoch in Ungarn der Prozess gegen die mutmaßlichen Verantwortlichen dieser Katastrophe begonnen. Vor dem Gericht in Kecskemét in Südungarn sind vier Männer des Mordes angeklagt. Drei der Männer sind Bulgaren, der Kopf der Bande ist ein Afghane namens Samsoor L. Internationale Medien begleiteten den Prozessauftakt mit großem Interesse. Selbst einige Familienmitglieder der Opfer sind angereist. Diejenigen, die identifiziert werden konnten, stammten aus Syrien, aus dem Irak, Iran und Afghanistan.

Das Bild von einem Autobahnparkplatz nahe der österreichischen Gemeinde Parndorf ging damals um die Welt: In dem Laderaum des Lasters mit einem Werbeaufdruck für Hühnchen wurden die Leichen von 59 Männern, acht Frauen und vier Kindern gefunden. Der Fall hatte international große Erschütterung ausgelöst. Keiner der Insassen hatte überlebt. Nur wenige Stunden später waren die vier Männer von der Polizei gefasst. Sie sind jetzt wegen mehrfachen Mordes unter besonders grausamen Umständen angeklagt. Dafür kann in Ungarn eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden, ohne Aussicht auf vorzeitige Freilassung. Die vier Schmuggler hatten zusammen mit sieben weiteren Bulgaren im Jahr 2015 insgesamt rund 1200 Flüchtlinge nach Österreich geschmuggelt. Den anderen Bandenmitgliedern wird gewerbsmäßige Schleuserei vorgeworfen.

In den Wochen vor der Prozesseröffnung wurde bekannt, dass die Schlepperbande telefonisch überwacht wurde. Auch am Tag des Unglücks sind sämtliche Gespräche zwischen den vier Hauptangeklagten aufgezeichnet worden: Einer der Bulgaren fuhr den Laster, während Samsoor L. in einem Kleinwagen nach Polizeistreifen Ausschau hielt. Weil aber die Polizei die fremdsprachigen Dialoge nicht simultan übersetzte, habe sie nicht eingreifen können. Doch die Originalstimmen bezeugen, welches Menschenbild unter Schleusern vorherrscht. Schon zu Beginn der Fahrt spricht ein Mann im Lkw von den Flüchtlingen im Wagen nur als „Abschaum“. Sie äffen ihre Schreie nach, worauf Samsoor L. sich immer mehr aufregt: „Sag ihm, er soll nur weiterfahren. Und falls sie sterben sollten, soll er sie dann in Deutschland im Wald abladen.“ Kurz darauf noch einmal der Fahrer: „Du kannst dir gar nicht vorstellen, was hier los ist, wie sie schreien.“ Schon wegen solcher Aussagen sind die Mitschnitte strafrechtlich relevant. Der Tod der Flüchtlinge wurde doch zumindest in Kauf genommen.

Am Mittwoch gibt sich Samsoor L. im Gerichtssaal kampfeslustig, in den Farben der afghanischen Fahne gekleidet: Die Gerichtsdolmetscherin könne nicht ordentlich Paschtu, seine Muttersprache, behauptet er. Diese, selbst eine gebürtige Afghanin, weist das erbost zurück. Richter Janos Jadi nimmt das alles zur Kenntnis und lässt Staatsanwalt Gabor Schmidt seine Anklage verlesen.

Schmidt braucht dafür fast fünf Stunden, also fast so lang, wie der Laster am 26. August. Er startete am 26. August 2015 um 4.50 Uhr in Ungarn, mit 71 lebenden Menschen an Bord. Auch die Telefonate zitiert Schmidt. Um 9.15 Uhr überquerten sie die Grenze zu Österreich. Alle Insassen waren zu diesem Zeitpunkt tot. Sie hatten wohl versucht, ein Loch in die Decke des Lasters zu drücken. Erfolglos. Beobachter rechnen mit einem langwierigen Prozess.