Paris. Sylvie Goulard zieht Konsequenzen aus laufenden Vorermittlungen. Sind auch andere Ressortchefs wegen möglicher Affären gefährdet?

Unmittelbar nach der gewonnenen Parlamentswahl ist das Lager des sozialliberalen Präsidenten Emmanuel Macron in Turbulenzen geraten. Die bisherige Verteidigungsministerin Sylvie Goulard kündigte am Dienstag überraschend an, sie wolle nicht mehr der Regierung von Premier Édouard Philippe angehören.

Die 52-jährige Deutschlandkennerin begründete dies mit laufenden Vorermittlungen im Zusammenhang mit Beschäftigungsverhältnissen bei der MoDem-Partei. Für diese war sie ins Europaparlament gezogen. Falls die Anstellung ihrer Assistenten in der europäischen Volksvertretung überprüft werde, wolle sie in der Lage sein, „frei meine Redlichkeit zu beweisen“.

Medien berichteten, Macron habe den Schritt Goulards akzeptiert. Élyséekreise äußerten sich nicht dazu. Goulard schrieb, Macron wolle das Vertrauen in die Politik zurückbringen, Frankreich reformieren und Europa wieder in Schwung bringen. „Dieses Vorhaben des Wiederaufbaus muss über jeglicher persönlicher Überlegung stehen.“

Die seit Mitte Mai amtierende Philippe-Regierung war nach der Parlamentswahl vom Wochenende traditionsgemäß zurückgetreten. Der konservative Philippe wurde umgehend von Macron wiederernannt und will bis Mittwoch eine neue Mannschaft vorstellen.

Ursprünglich hatte es geheißen, es solle nur kleinere Anpassungen geben – dieses Szenario ist mit dem Abgang Goulards überholt. Nach Medienberichten wird auch der wegen einer Immobilienaffäre in die Schlagzeilen geratene Wohnungsbauminister Richard Ferrand der neuen Regierung nicht mehr angehören. Er soll stattdessen Fraktionschef der Macron-Partei La République en Marche (LREM) werden. Medien zufolge soll Ferrand als Chef einer Krankenversicherung Büroräume von seiner Partnerin angemietet haben. Er weist ein Fehlverhalten zurück. Macron habe signalisiert, dass er ihm weiter vertraue, sagte Ferrand. Er sprach von einem strategischen Wechsel, da er sich sehr gut mit den Parlamentsverfahren auskenne.

Die Vorermittlungen der Pariser Staatsanwaltschaft hatten auch Justizminister François Bayrou unter Druck gebracht, der Vorsitzender der Zentrumspartei MoDem ist. Die Justiz prüft Vorwürfe, wonach Mitarbeiter der Partei für einen Teil ihrer Arbeitszeit als parlamentarische Assistenten von EU-Abgeordneten bezahlt wurden, ohne wirklich für sie zu arbeiten. Die Partei weist den Verdacht zurück. Laut Tageszeitung „Le Parisien“ und anderen Medien wurde die frühere MoDem-Europaabgeordnete Corinne Lepage am Dienstag von Ermittlern als Zeugin befragt.

Bayrou sagte, er respektiere die „persönliche Entscheidung“ Goulards. Sie werde ins Europaparlament zurückkehren. Eine weitere MoDem-Politikerin in der bisherigen Philippe-Regierung ist Europaministerin Marielle de Sarnez.

La République en Marche und MoDem hatten bei der Parlamentswahl 350 der zusammen 577 Sitze gewonnen. Auf die Macron-Partei entfallen 308 Plätze, auf MoDem 42. Sehr viele Abgeordnete der LREM sind neu in der Politik und mit der Parlamentsarbeit nicht vertraut. Macron hatte nach seinem Sieg bei der Präsidentenwahl Politiker aus unterschiedlichen Parteien in die Regierung geholt. Der überwältigende Sieg Macrons in der Präsidentschaftswahl und seiner Partei LREM bei den Parlamentswahlen ist auch auf die Verärgerung der Bürger über die vielen Affären von Politikern der bisher regierenden Parteien zurückzuführen.