Cincinnati/pjöngjang.

Am 29. Dezember 2015 steigt Otto Warmbier am Flughafen von Peking in eine Maschine, die ihn nach Nordkorea bringen soll. Der amerikanische Student hat eine Fünf-Tage-Tour in das abgeschottete Land gebucht, als Teil einer kleinen Reisegruppe. Anschließend will Warmbier zurück nach China reisen, um in Hongkong sein Wirtschaftsstudium fortzusetzen. Doch es kommt anders. Was als Abenteuertrip begann, endet als Tragödie. Warmbier wird verhaftet, kommt viele Monate später als Koma-Patient zurück in die USA und stirbt an den Folgen der Tortur. Das Schicksal des 22-Jährigen wirft ein Schlaglicht auf die Praktiken des kommunistischen Regimes – und verschärft das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen den USA und Nordkorea.

US-Präsident Donald Trump sprach am Montag den Angehörigen sein Beileid aus und verurteilte die „Brutalität“ der Regierung des Diktators Kim Jong-un. Trump erklärte, der Fall stärke die Entschlossenheit seiner Regierung, zu verhindern, dass „unschuldige Menschen derartige Tragödien durch das Werk von Regimen erleiden, die weder Rechtstaatlichkeit noch grundlegenden menschlichen Anstand respektieren“. US-Außenminister Rex Tillerson kündigte eine harte Gangart an. „Wir werden Nordkorea zur Rechenschaft ziehen für Otto Warmbiers ungerechtfertigte Gefangennahme“, sagte Tillerson.

Der konservative Senator John McCain warf dem Regime vor, Warmbier ermordet zu haben. Auch dessen Eltern wiesen die Schuld am Tod ihres Sohnes direkt Nordkorea zu. „Leider ließen die furchtbaren, qualvollen Misshandlungen unseres Sohnes durch die Nordkoreaner keinen anderen Ausgang zu als den traurigen, der sich heute ereignet hat“, erklärten sie. Nach wie vor unklar ist aber, was genau in Warmbiers letzten Lebensmonaten passiert ist.

Mitreisender schildert die Festnahme am Flughafen

Als der Student am Morgen des 2. Januar am Flughafen von Pjöngjang abfliegen will, kommen zwei Beamte auf ihn zu, tippen ihm auf die Schulter und führen ihn ab. Danny Gratton, ein britischer Mitreisender, der das Zimmer mit Warmbier geteilt hatte, erinnert sich genau an den Moment: „Ich sagte etwas nervös: ‚Nun, jetzt sehen wir dich wohl zum letzten Mal‘ – was für eine Ironie.“ Warmbier dagegen reagiert gelassen. Er habe sich nicht gewehrt, er habe nicht einmal erschrocken geguckt, erzählt Gratton der „Washington Post“. Möglich, dass er an einen Routinecheck glaubte, an harmlose Schikanen.

Doch die nordkoreanischen Behörden nehmen Warmbier fest, sie beschuldigten ihn, ein patriotisches Propagandabanner von einer Wand gerissen zu haben, zwei Monate später wird der Student in einem Schauprozess wegen eines „staatsfeindlichen Aktes“ zu 15 Jahren Arbeitslager verurteilt.

Die Gerichtsverhandlung im März 2016 ist das letzte Mal, dass Warmbier öffentlich auftritt. Es gibt ein Video aus diesen Wochen, von einer Pressekonferenz. Zwei nordkoreanische Beamte in khakifarbenen Uniformen führen den jungen Mann vor die Kameras, sein Haupt ist gesenkt. Unter Tränen gesteht er die Tat. Es ist unklar, ob er dazu gezwungen wurde. Er bittet verzweifelt um Vergebung. Er sagt, er habe den schlimmsten Fehler seines Lebens begangen. „Bitte rettet mein Leben“, fleht er mit tränenerstickter Stimme. Und: „Denkt an meine Familie.“

Vergangene Woche lässt das Regime Warmbier überraschend ausfliegen. Erst jetzt erfahren seine Eltern, dass ihr Sohn seit Langem im Koma liegt. Die Ärzte in seiner Heimatstadt Cincinnati stellen fest, dass der Student großflächige Schäden am Hirngewebe erlitten hat. Er habe mit den Augen blinzeln können. Anzeichen dafür, dass er verbale Signale verstand, gab es jedoch nicht. Wie Warmbier in diesen Zustand kommen konnte, darüber wollen die Ärzte nicht spekulieren. Sie nennen am Montag auch nicht die Todesursache.

Ein hochrangiger amerikanischer Beamter hatte zuvor die Vermutung geäußert, dass Warmbier während der Haft misshandelt worden sei. Man habe seinen Körper untersucht und keine Frakturen festgestellt, die ein Beweis für Schläge sein könnten, sagt hingegen sein Arzt Daniel Kanter. Die Verletzungen in seinem Gehirn wiesen darauf hin, dass die Sauerstoffzufuhr durch einen Atemstillstand unterbrochen worden sei. Der Grund dafür sei aber unklar.

Nordkoreanische Regierungsvertreter stellten den Fall so dar, dass ihr Häftling kurz nach seiner Verurteilung im März 2016 an einer Nahrungsmittelvergiftung erkrankte. Wärter hätten ihm daraufhin eine Schlaftablette gegeben, woraufhin er das Bewusstsein verloren habe und nicht mehr erwacht sei.

Experten in China halten die Version der nordkoreanischen Behörden durchaus für denkbar, glauben aber, dass sie nicht mit der ganzen Wahrheit herausrücken. Sie vermuten, dass der junge Warmbier an Botulismus erkrankt war, im Volksmund auch bekannt als Fleisch- oder Wurstvergiftung. Meist wird diese lebensbedrohliche Vergiftung durch ein bestimmtes Bakterium in verdorbenem Fleisch oder vergammeltem Gemüse hervorgerufen. Schon geringe Mengen Botulinumtoxin können beim Menschen die Muskulatur lähmen – was wiederum zu Atemstillstand führen kann.

Wird bei einem Menschen Botulismus diagnostiziert, hilft kein Antibiotikum, sondern nur ein spezielles Gegengift. Sollte sich herausstellen, dass Warmbier vor einem Jahr wirklich an diesem schweren Gift erkrankt war, hätten die nordkoreanischen Behörden ihm also auf keinen Fall ein Schlafmitttel geben dürfen. Die US-Ärzte allerdings hatten keine Hinweise auf eine Vergiftung gefunden.

Der Vater des 22-Jährigen hält die Darstellung des nordkoreanischen Regimes für wenig glaubwürdig. Er bedankte sich bei Präsident Trump für seine diplomatischen Bemühungen, erhebt aber schwere Vorwürfe gegen Vorgänger Barack Obama. Dessen Regierung habe seine Familie zur Zurückhaltung aufgerufen.

Der Freilassung Warmbiers Anfang der Woche waren offenbar geheime Gespräche zwischen nordkoreanischen und amerikanischen Regierungsvertretern vorangegangen. Die „New York Times“ berichtet, dass der US-Sonderbeauftragte für Nordkorea, Joseph Yun, im Mai nach Oslo gereist war, um mit nordkoreanischen Vertretern über die Freilassung von mehreren US-Bürgern zu verhandeln. Drei von ihnen sind auch weiterhin in nordkoreanischer Haft. Über ihre Lage würden mit der Regierung in Pjöngjang Gespräche geführt, hatte US-Außenminister Tillerson bei der Freilassung Warmbiers erklärt.

Amnesty: Rund 200.000 Häftlinge in Arbeitslagern

Nordkorea ist für seine furchtbaren Haftbedingungen bekannt. Die Menschenrechtsgruppe Amnesty International schätzt, dass derzeit 200.000 Menschen in den Arbeitslagern des Landes schuften. Berüchtigt ist vor allem Lager Nummer 16, das angeblich 20.000 Insassen zählt. Die Häftlinge seien unterernährt und würden gefoltert.

Von Reisen in das abgeschottete Land rät die US-Regierung mittlerweile dringend ab. Auch die chinesische Reiseagentur, mit der Warmbier gefahren war, hat ihre Nordkorea-Touren für US-Amerikaner ausgesetzt. „Das Risiko eines Besuchs Nordkoreas ist für Amerikaner zu groß geworden“, begründete das Unternehmen Young Pioneer Tours seine Entscheidung am Dienstag. Auf der Firmenwebseite bezeichnet sie Nordkorea jedoch weiterhin als „eines der sichersten Länder der Welt“.