Paris/Den HAAg. Drei Monate nach der Parlamentswahl in den Niederlanden fehlt Wahlsieger Rutte noch immer ein vierter Partner für die Regierungsbildung

Der eine steuert am Sonntag auf eine absolute Mehrheit zu, der andere führt drei Monate nach den Parlamentswahlen noch immer keine neue Regierung: Am Freitag trafen sich der neue französische Präsident Emmanuel Macron und der noch amtierende niederländische Ministerpräsident Mark Rutte zu einem ersten Gespräch in Paris. Es ging um Europa – das drängendere Problem für Rutte aber liegt daheim in Den Haag: Auch nach dem zweiten Anlauf haben sich die Parteien in bald hundert Tagen nicht auf ein Bündnis einigen können.

Der Versuch, eine Koalition ohne den Rechtspopulisten Geert Wilders zu schmieden, der mit seiner Partei für die Freiheit (PVV) im März zweitstärkste Kraft geworden war, ist damit erneut gescheitert. Zum Knackpunkt wurde ausgerechnet dessen wichtigstes Wahlkampfthema: die Flüchtlingspolitik.

13 Parteien hatten es am 15. März in die Zweite Kammer geschafft, die stärkste blieb mit 21,3 Prozent die Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) des bisherigen und wohl auch künftigen Ministerpräsidenten Mark Rutte. Der hat damit zwar sein Wahlziel erreicht, die Rechtspopulisten hinter sich zu lassen – aber er verfügt nur über 33 von 150 Sitzen. Für eine stabile Regierung braucht er mindestens drei Parteien. Und die PVV, die mit 20 Sitzen (13 Prozent) im Parlament vertreten ist, soll nicht dabei sein: Eine Koalition mit Geert Wilders hatten Rutte, aber auch die meisten anderen Parteien im Wahlkampf kategorisch ausgeschlossen.

Zweimal sind die Gespräche mit den Grünen gescheitert

Doch mit Alternativen tut man sich in Den Haag nun schwer. Ein Dreier-Club aus Ruttes liberalkonservativer VVD, der sozialliberalen D66 und der christdemokratischen CDA (beide je 19 Sitze) steht, aber wer wird der Vierte im Bunde? 90 Tage lang hat das Trio es mit GroenLinks versucht. Die Grün-Linken unter Führung des politischen Shooting-Stars Jesse Klaver hatten 14 Sitze erobert, die Zahl damit fast verdreifacht. Der Wähler will also ein bisschen Grün fürs Land; Jan van Zanen, Vorsitzender des Verbandes Niederländischer Gemeinden, nennt ein Bündnis mit Grün-Links „die am meisten logische Regierung“.

Doch der erste „Informator“, in den Niederlanden eine Art Makler, der eine Regierungsbildung offiziell begleitet, gab vor Wochen auf. Von einem zweiten, dem angesehenen Politik-Oldie Tjeenk Willink (75), erhoffte man sich den Durchbruch. Er hatte dem Land seit 1973 schon mehrfach zu einer Regierung verholfen. Doch Willink verabschiedete sich am Montagabend von der GroenLinks-Option: Man habe seine Vorschläge nicht akzeptieren wollen. „Ich bedaure das außerordentlich.“

Gescheitert sind die Gespräche zum zweiten Mal an der Flüchtlingsfrage. Und da an „kleinen Punkten“, klagt Willink. Tatsächlich geht es nicht darum, wie viele Flüchtlinge die Niederlande künftig aufnehmen wollen (2015 hatten gut 43.000 um Asyl gebeten, in den ersten vier Monaten 2017 nur noch knapp über 5000). Es geht um Pläne, den Türkei-Deal der EU auf Nordafrika auszuweiten: Staaten wie etwa Libyen oder Tunesien sollen Flüchtlinge zurücknehmen und sie sicher unterbringen.

Die drei konservativen Parteien unterstützen das, mit Jesse Klaver ist es nicht zu machen. Nicht erst im Wahlkampf hatte Grün-Links gegen den Türkei-Deal gekämpft und die Aufnahme aller Flüchtlinge gefordert. In der Türkei, so die Argumentation, hätten die Menschen keine würdigen Lebensumstände zu erwarten. Für Klaver war mit einer „Blaupause“ des Türkei-Deals für Nordafrika eine „prinzipielle Untergrenze“ erreicht. Die Rechtsexperten aus dem Außenministerium konnten ihn nicht umstimmen.

Regierungsbildungen dauern in den Niederlanden immer lange

Die Konservativen werfen ihm nun ein Hin und Her vor, wörtlich sogar „politisches Unvermögen und politischen Unwillen“. Eigentlich habe Klaver schon im Mai zugestimmt, die Bereitschaft dann aber wieder zurückgezogen. Tatsächlich war der erste Gesprächsanlauf am selben Thema gescheitert. „Absurd“ sei das, zumal das Kabinett in Sachen Migration unbedingt handlungsfähig sein müsse. Klaver bleibt öffentlich ungerührt: Es habe kein Einvernehmen gegeben. „Wir wollen wasserdichte Garantien, dass die Länder, mit denen wir Abkommen schließen, das Recht auf Schutz und Aufnahme tatsächlich gewährleisten.“

Wie auch immer: Die Gespräche sind vorbei, man sei dafür gewesen und nun „schrecklich enttäuscht“, sagt Mark Rutte, aber: Mit Grün-Links wird es nichts mehr in der Regierung Rutte III. Was aber sind die Alternativen?

Die sozialdemokratische Arbeitspartei PvdA steht nicht mehr zur Verfügung. Der ehemalige Koalitionspartner Ruttes sackte bei den Wahlen auf neun (minus 29) Sitze ab, leckt seine Wunden in der Opposition. Mit den Sozialisten der SP, ist zu ahnen, wird in einem konservativen Bündnis wohl wenig gehen. Und mit der protestantischen ChristenUnie will D66 nicht. So oft hat deren Chef Alexander Pechtold das betont, dass die Christen nun beleidigt abwinken.

Und nach wie vor will keiner mit Geert Wilders von der PVV. Der ist derzeit der lachende Vierte, fordert bereits Neuwahlen oder wenigstens endlich ein Gespräch mit seiner Partei. Millionen Menschen, so Wilders, hätten für einen anderen Weg kein Verständnis. Das Bündnis der Drei, in den Niederlanden „Motorblock“ genannt, sei nur noch ein „Dreirad mit platten Reifen“, spottete Wilders .

Möglich ist auch ein Minderheitskabinett. Schon einmal hat Rutte seine Regierung nur dulden lassen – von Wilders’ PVV. Das Konstrukt hielt nur zwei Jahre, dann gab es Neuwahlen. Dass eine Regierungsbildung so lange dauert, ist indes in den Niederlanden nicht ungewöhnlich. Im Schnitt braucht die Politik wegen der zersplitterten Parteienlandschaft 89 Tage für eine Einigung. Negativer Rekordhalter ist bislang die Regierung von Ministerpräsident Dries van Agt 1977: Damals benötigten die Politiker 208 Tage für eine Einigung.