London.

Die Schlagzeile im „Sunday Telegraph“ fasste es schön zusammen. Die Titelseite der Zeitung, die der Konservativen Partei traditionell treu ergeben ist, beschrieb am Sonntag die Situation von Theresa May: „Im Amt, aber nicht an der Macht.“ Die britische Premierministerin mag in den vorgezogenen Neuwahlen zum Unterhaus die meisten Stimmen und Sitze für ihre Konservative Partei errungen haben, aber sie ist dennoch entscheidend geschwächt. Denn ihre absolute Mehrheit hatte sie verloren. Um weiterregieren zu können, muss sie jetzt um die Stimmen der erzkonservativen nordirischen Regionalpartei „Democratic Unionist Party“ (DUP) buhlen.

Innerhalb ihrer eigenen Partei rumort es gewaltig. Eine Blitzumfrage unter Konservativen ergab, dass fast 60 Prozent ihren Rücktritt wünschen. In der Tory-Fraktion in Westminster werden Pläne geschmiedet, wie Theresa May gestürzt werden könnte. Die „Sunday Times“ und die „Mail on Sunday“ meldeten, dass fünf Kabinettsmitglieder Außenminister Boris Johnson aufgefordert hätten, den Parteivorsitz zu übernehmen. Johnson stellte sich allerdings demonstrativ hinter die Premierministerin und dementiert. „‚Mail on Sunday‘ Mist – ich stehe hinter Theresa May. Machen wir uns wieder an die Arbeit“, schrieb Johnson auf Twitter.

In der Fraktionssitzung am Dienstagabend muss May ums politische Überleben fürchten: Zu groß ist die Wut unter Tory-Abgeordneten darüber, dass die Premierministerin einen mehr als 20-prozentigen Vorsprung der Konservativen vor Labour durch einen miserablen Wahlkampf auf 2,4 Prozent hat schrumpfen lassen. Nur 48 konservative Abgeordnete sind nötig, um einen Kampf um den Parteivorsitz auszulösen. Auch wenn May sich kurzfristig halten sollte, so wird doch mit einem Personalwechsel an der Spitze bis zum Parteitag der Konservativen im Herbst gerechnet.

Noch vor der Fraktionssitzung wird sich May mit der DUP-Vorsitzenden Arlene Foster in der Downing Street treffen. Die beiden Frauen werden sich an einer Vereinbarung versuchen, mit der eine Unterstützung der Minderheitsregierung von May durch die DUP möglich würde. Statt einer formellen Koalition wird ein sogenannter Confidence-and-Supply-Deal angestrebt, nach der die DUP der Regierung bei Misstrauensabstimmungen und beim Votum über den Haushalt beisteht. Ministerposten will die DUP nicht übernehmen. Stattdessen werden die Unionisten großzügige Finanzhilfen für Nordirland bei Infrastrukturprojekten fordern.

Vielen konservativen Abgeordneten ist ein Zusammengehen mit der DUP zutiefst suspekt. Die größte protestantische Partei Nordirlands hatte lange Zeit enge Verbindungen mit paramilitärischen loyalistischen Organisationen. Die DUP ist gegen Abtreibung und die gleichgeschlechtliche Ehe, skeptisch beim Klimaschutz, und ihre Abgeordneten haben sich auch schon mal für eine Wiedereinführung der Todesstrafe ausgesprochen. Am Wochenende kam es zu Demonstrationen vor dem Londoner Parlament gegen die DUP, die auf Plakaten als „rassistisch, sexistisch und homophob“ bezeichnet wurde.

Der britische Oppositionsführer Jeremy Corbyn rechnet schon bald mit erneuten Wahlen. „Es ist gut möglich, dass es noch eine Wahl im Jahresverlauf oder Anfang nächsten Jahres geben wird“, sagte der Chef der Labour-Partei der BBC. Dies könne positiv sein, weil Großbritannien sonst eine Phase der Instabilität drohe.