Mogadischu.

Es ist eine Stadt der unfassbaren Kontraste: Am Strand von Mogadischu sitzen elegant gekleidete Menschen unter Sonnenschirmen und nippen an ihrem Cappuccino; viele von ihnen Heimkehrer aus allen Teilen der Welt, die ihrem verheerten Land und sich selbst eine neue Zukunft schaffen wollen. Am alten Hafen spielen Kinder zwischen alten Prachtbauten Fußball, die heute wie verrottete Zahnstümpfe aus dem Boden ragen. Und zwischen den weiß getünchten Villen der einst als „Perle des Indischen Ozeans“ bekannten Hauptstadt von Somalia steigt die Zahl der aus Zweigen und Plastikplanen gebauten afrikanischen Flüchtlings-Iglos wieder dramatisch an.

Barwako Aden Berda sitzt in einem dieser Lager an Mogadischus Stadtrand mit ihren vier Kindern im Sand. Die gut 30-jährige Frau ist vor wenigen Tagen in dem auf 6000 Bewohner angeschwollenen Flüchtlingscamp angekommen. Nach einem dreitägigen Gewaltmarsch aus der von der Sonne verbrannten Provinz, den ihre fünf Monate alten Zwillinge sowie ihre acht und zehnjährige Töchter gerade noch überlebten. Barwako hatte gehofft, in der Hauptstadt etwas zum Essen zu finden, doch ihre Hoffnung erwies sich als trügerisch.

„Wir sind restlos überfordert“, sagt Zari Ali Mahamud, der 28-jährige Manager des Camps: „Wir haben keine Unterkünfte, wir haben kein Brennholz, wir haben nicht genug Nahrungsmittel.“ Zara rechnet damit, dass in den kommenden Wochen noch Tausende weiterer ausgemergelter Flüchtlinge hier ankommen: „Wir brauchen Hilfe, und wenn diese Hilfe nicht eintrifft, werden unzählige Menschen sterben.“

Jeder zweite Somalier ist auf Lebensmittelhilfe angewiesen

Zum dritten Mal seit 25 Jahren wird Somalia derzeit von einer verheerenden Hungersnot heimgesucht: 1992 forderte eine Dürre 300.000 Opfer, vor sechs Jahren verhungerten hier mehr als 250.000 Menschen. Schon seit drei Jahren fallen die Regenzeiten am Horn von Afrika kümmerlich oder sogar ganz aus: Nach UN-Angaben ist die Hälfte der 13 Millionen Somalier auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Im Südwesten sollen nach Angaben des somalischen Regierungschefs Hassan Ali Kaire jüngst innerhalb von zwei Tagen 110 Menschen verhungert sein.

Im gesamten Horn von Afrika spitzt sich die Lage zu: Auch in Kenia, Äthiopien, Dschibuti und Eritrea sind bereits mehrere Regenzeiten ausgefallen. Die gesamte Region stehe vor einer Katastrophe, warnen UN-Experten. Mehr als 16 Millionen Ostafrikaner sollen inzwischen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sein. Im Südsudan, wo seit dreieinhalb Jahren ein Bürgerkrieg tobt, wurden bereits mehrere Regionen zu Desastergebieten erklärt: Wegen der anhaltenden Kämpfe sind dort viele der Hungernden von Hilfe abgeschnitten. Zählt man auch Nigeria und den Jemen hinzu, sind in der Region weit mehr als 20 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht.

Somalier wissen seit Hunderten von Jahren mit Trockenperioden umzugehen – solange ihre Heimat wenigstens politisch stabil ist. Doch schon seit drei Jahrzehnten wird ihr einst von einem Diktator beherrschtes Land von nicht enden zu wollenden Unruhen heimgesucht. Erst hetzten Clanführer und Warlords die Bevölkerung gegeneinander auf. Dann übernahmen Islamisten die Macht, denen alsbald vom Westen unterstützte Truppen aus Somalias Nachbarländern den Krieg erklärten. Seit einigen Jahren herrscht in der zerfallenen Nation eine Art Machtbalance: Die vom Westen unterstützte Regierung kontrolliert die Städte, die Islamisten das Land. Und auf dem Land tobt die Dürre besonders verheerend.

Rebey, mehr als hundert Kilometer westlich von Mogadischu gelegen, ist eines von wenigen Dörfern, das von ausländischen Hilfsorganisationen überhaupt erreicht wird. Die Hälfte der 80 Familien des Dorfs ist bereits in die Städte geflohen, die Kamele und Ziegen sind entweder tot oder dabei zu sterben.

Bürgermeister Mohamed Ibrahim Hasan fürchtet nur eines mehr als das Ausbleiben des Regens: Dass die Kämpfer der islamistischen Al-Schabab-Miliz wieder ins Dorf kommen. „Sobald sie anrücken, werden sich die Hilfsorganisationen zurückziehen – und ohne Nahrungsmittelhilfe werden wir sterben.“

Islamistische Milizen greifen die Hilfskonvois an

Schon vor sechs Jahren starben die meisten Menschen in den von al-Schabab kontrollierten Territorien. Die Islamisten ließen partout keine Nahrungsmittelhilfe des verhassten Westens, der „Ungläubigen“ und „Kreuzfahrer“, auf ihr Gebiet. Regelmäßig greifen sie die Konvois an: Im April zerstörte eine am Straßenrand deponierte Bombe einen Lastwagen des Welternährungsprogrammes WFP, einen Monat zuvor waren vier türkische und acht somalische Hilfswerker bei einem Extremistenangriff auf ihren Konvoi gestorben. Allein im April entführten Al-Schabab-Milizionäre 13 Mitglieder von Hilfsorganisationen: Manche werden nach Lösegeldzahlung freigelassen, andere getötet.

Anfang des Jahres baten die UN die internationale Gemeinschaft um ein Notbudget von 1,5 Milliarden Dollar für Somalia – gewährt wurde davon bislang ein Drittel. Jetzt sieht sich das Welternährungsprogramm (WFP) gezwungen, seine Rationen zu verringern: „Das bedeutet ganz einfach“, meint Andrea Tamburini von der Hilfsorganisation Action contre la faim, „dass immer mehr Menschen, vor allem Kinder, hungern und schließlich sterben werden.“