Brüssel.

Seit diesem Mittwoch unterstützt die Europäische Union nicht mehr nur Landwirte, Studenten oder strukturschwache Regionen. Sie hilft auch bei der Entwicklung von militärischem Gerät. Geld aus EU-Töpfen für die Rüstung soll, wie die EU-Verantwortlichen stolz feststellen, ein „Game-Changer“ sein – eine Weichenstellung für den Alten Kontinent auf dem Gebiet der Verteidigung.

In den nächsten zweieinhalb Jahren will die EU-Kommission dafür insgesamt 590 Millionen Euro lockermachen. Aufgestockt mit nationalen Mitteln, sollen danach jedes Jahr sogar 5,5 Milliarden Euro fließen. „In ganz Europa machen sich die Menschen Sorgen über ihre Sicherheit und die ihrer Kinder“, erläuterte der zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, Jyrki Katainen. „Wir müssen in diesem Bereich mehr tun und besser werden.“

Waffenproduktion ist in der EU bislang eine strikt nationale Angelegenheit. Wie sich die Mitgliedstaaten mit Kriegsgerät ausstatten, das geht grundsätzlich nur sie selbst und die Nato etwas an – falls sie dem Bündnis angehören. Doch Russlands Großmachtansprüche, der fragwürdig gewordene Schutz durch die USA unter Präsident Trump, die Bedrohung durch Terrorismus sowie schließlich die Aussicht auf den Verlust des Partners Großbritannien verwischen die Grenzen. Die EU will nun im Waffengeschäft mitmischen.

Mit zwei am Mittwoch veröffentlichten Ausschreibungen lädt die EU-Kommission Rüstungsfirmen dazu ein, sich um Subventionen für unbemannte Systeme im Bereich Schifffahrt und bei Kommunikationstechnik zu bewerben. Damit tritt der im letzten Herbst beschlossene Europäische Verteidigungsfonds (EDF) in Aktion, der aus dem laufenden EU-Budget befüllt wird. Bis Ende 2019 stehen insgesamt 90 Millionen Euro für Forschung zur Verfügung. Es geht um Elektronik, „Meta-Materialien“ für Tarnkappentechnik, Verschlüsselungssoftware, Robotik. Ab 2020 möchte die Kommission dann einen eigenen Forschungshaushalt für Verteidigung einrichten, der jährlich 500 Millionen ausschütten kann. Der finnische Kommissionsvize Katainen ist zufrieden: „Zum ersten Mal wird Rüstungsforschung europäisch gefördert.“

Erheblich größere Beträge sind im zweiten EDF-Bereich („Fähigkeiten-Fenster“) vorgesehen. Das bezieht sich auf die nächste Stufe nach dem Forschungsstadium, also um die Entwicklung konkreter Produkte, etwa Drohnen, Satelliten oder Hubschrauber.

In der EU hat fast jedes Land sein Waffensystem

Brüssel will mit den Zuschüssen dafür sorgen, dass sich die Mitgliedstaaten mit Blick auf solche „Fähigkeiten“ zusammentun und damit die Kosten senken. Die sind derzeit wegen der nationalen Aufsplitterung unverhältnismäßig hoch. So leisten sich die EU-Länder 178 verschiedene Waffensysteme, die USA nur 30. Die US-Armee hat einen Kampfpanzer, in der EU gibt es 17 verschiedene Typen. Nach Schätzungen der Kommission lassen sich durch mehr Rüstungskooperation jährlich bis zu 100 Milliarden Euro sparen.

2019/20 sollen einschlägige Projekte mit 500 Millionen Euro aus der EU-Kasse gefördert werden, anschließend will die Kommission jährlich eine Milliarde aufwenden, besonders um die Finanzierung der riskanten Anfangsphase zu sichern. Die Mitgliedstaaten sollen ihrerseits den vierfachen Betrag drauflegen, sodass ab 2020 insgesamt fünf Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung stünden. Voraussetzung für einen EU-Zuschuss ist, dass ein Projekt grenzüberschreitend ist und sich mindestens drei Unternehmen beteiligen.

„Die Mitgliedstaaten behalten die Kontrolle, bekommen aber für ihr Geld einen höheren Gegenwert“, sagt Katainen. Zunächst aber müssen der Ministerrat als Vertretung der Regierungen und das EU-Parlament den Vorschlägen der Kommission zustimmen.

Für den weiteren Weg hat die Kommission drei Szenarien skizziert, abgestuft nach dem Grad des Zusammenwirkens in Sicherheitsfragen. Im ersten Szenario würde es sich auf punktuelle, „relativ kleine militärische Missionen und Operationen“ beschränken. Option zwei sieht dauerhafte Zusammenlegungen vor. „Im Ergebnis würde die EU ihre Fähigkeit ausbauen, militärisch nach außen zu agieren“ und auf neue („hybride“) Bedrohungen zu reagieren. Szenario drei wäre eine integrierte Sicherheits- und Verteidigungsunion. Sie würde in Ergänzung zur Nato „Europas Widerstandskraft stärken, Schutz gegen verschiedene Formen der Aggression liefern und für die Sicherheit sorgen, die unsere Bürger erwarten“.

Eine EU-Armee steht nicht zur Debatte – obwohl Kommissionschef Jean-Claude Juncker die Idee in die Diskussion gebracht hat. Auch gehe es nicht darum, Kernleistungen der Nato – Beistandsverpflichtung und Territorialverteidigung – zu verdoppeln, sagt die EU-Außenamtschefin Federica Mogherini. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen begrüßte die „ambitionierten“ Brüsseler Vorschläge. Kritisch äußerten sich die Europa-Grünen. Parteichef Reinhard Bütikofer kritisierte, es sei ein Irrweg, „der Rüstungslobbys den Zugriff auf zahlreiche Gelder des EU-Haushalts anzudienen.“