Ankara .

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu lächelt, begrüßt Sigmar Gabriel (SPD) als „meinen Freund“. Er betrachte es als „große Freude“, seinen deutschen Amtskollegen zu einem „historischen Besuch“ zu empfangen. Deutschland und die Türkei seien „Verbündete“ und für Europa wichtige Staaten. Gabriel steht daneben und nickt. Wer hätte das gedacht, der Pressesaal des türkischen Außenministeriums wird an diesem Montagmittag zur großen Bühne für den Austausch von Nettigkeiten. Gabriel dankt dem „lieben Mevlüt“ für den „freundlichen Empfang“. Er preist die „alten deutsch-türkischen Beziehungen“, lobt den Gastgeber für die Aufnahme von Flüchtlingen während der Nazi-Diktatur.

Wenn man die beiden reden hört, mit ruhigem Ton, ohne polemische Spitzen, dann fällt es schwer, sich vorzustellen, dass das deutsch-türkische Verhältnis gerade durch schwere Turbulenzen geht. Die Liste der Kontroversen ist lang. Das Hickhack um den Bundeswehreinsatz in Incirlik ist nur einer von vielen Streitpunkten. Die Türkei hatte Verteidigungsexperten des Bundestages einen Besuch an dem Luftwaffenstützpunkt in Südostanatolien untersagt, weil Deutschland türkischen Soldaten Asyl gewährt hat. Ankara wirft den Offizieren eine Beteiligung an dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 vor.

Zudem hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) „Nazi-Methoden“ vorgeworfen. Grund: Einige deutsche Städte hatten vor dem türkischen Verfassungsreferendum am 16. April gegen Politiker vom Bosporus Auftrittsverbote verhängt. In Deutschland wiederum hatte die Inhaftierung des deutschtürkischen „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel für große Empörung gesorgt. Der Journalist sei ein „Terrorist“ und ein „Agent“, hatte Erdogan gepoltert.

Die handfesten Unterschiede werden noch lange bleiben

Von dieser Schärfe ist am Montagmittag nichts zu spüren. Die Atmosphäre ist freundlich. Aber in der Sache bleiben die Positionen knallhart. Ein letzter Einigungsversuch um das Besuchsrecht von Bundestagsabgeordneten in Incirlik scheitert nämlich. Deutsche Parlamentarier könnten die Bundeswehr-Soldaten auf dem Nato-Stützpunkt im türkischen Konya besuchen, nicht aber die in Incirlik, sagt Cavusoglu. „Im Moment sind die Bedingungen für einen Besuch in Incirlik nicht gegeben.“ Damit steht der Abzug der Bun­deswehr von dem Luftwaffenstützpunkt unmittelbar bevor. Rund 260 Soldaten sowie sechs Aufklärungs-Tornados und ein Tankflugzeug sind dort stationiert. Das deutsche Kontingent ist Teil der internationalen Koalition, die in Syrien und im Irak Luftangriffe gegen die ­Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) fliegt.

Gabriel betont, eine formale Abzugsentscheidung zu Incirlik gebe es noch nicht. Der Minister macht aber deutlich, dass es zu einem Abzug jetzt keine Alternative mehr gebe. Damit ist wahrscheinlich, dass die Bundeswehr nach Jordanien umzieht. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat einen Standort bereits prüfen lassen. Nun ist der Bundestag am Zug.

Doch nicht nur Incirlik bleibt ein Streitpunkt. Cavusoglu beklagt, dass es in Deutschland rund 4500 Verfahren gegen Anhänger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK gebe, aber bislang nur 90 Verurteilungen zustande gekommen seien. Zudem hätten mehr als 400 Beamte und Militärs, alle angeblich Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen und Mitbeteiligte des Putschversuchs, Asyl in Deutschland beantragt.

Gabriel beugt sich zu Cavusoglu hinüber, mit ernster Miene. Er räumt ein, dass die PKK in Deutschland wegen Schutzgelderpressung, Drogen- und Waffenhandel verfolgt werde. Aber es sei richtig, dass man bei der Trockenlegung der Finanzströme mehr tun müsse. Es klingt wie ein Teilzugeständnis, um in Ankara gut Wetter zu machen. Der Außenminister bemüht sich um Schadensbegrenzung. Bereits im Vorfeld hatte er die Erwartungen heruntergedimmt. Man wolle „neue Anknüpfungspunkte“ im deutsch-türkischen Verhältnis und zu „vernünftigen Gesprächsformaten“ kommen. Europa müsse unter allen Umständen verhindern, dass der Nato-Partner Türkei Richtung Russland oder China abdriftet.

Am Schluss gibt Gabriel eine kleine Lehrstunde in Sachen Rechtsstaat. Über das Asylrecht werde in Deutschland von unabhängigen Gerichten entschieden, doziert er. Eine Auslieferung von verurteilten Straftätern in die Türkei sei nur möglich, wenn das Strafmaß dort nicht höher sei als in Deutschland. Um an deutschen Gerichten eine Anklage und eine Verurteilung zu erreichen, seien „gerichtsverwertbare Beweise“ nötig. Gabriel blickt zu seinem Amtskollegen nach links. Der zuckt ganz kurz mit den Mundwinkeln.

Am Nachmittag steht Gabriel im Garten der Residenz des deutschen Botschafters in Ankara. Er hat gerade ein „sehr langes Gespräch“ mit Erdogan hinter sich. Der Präsident habe unter anderem beklagt, warum Deutschland Terrorverdächtige nicht schnell an die Türkei ausliefere. „Es ist deutlich geworden, dass wir völlig andere Vorstellungen von Demokratie und Rechtsstaat haben“, meint er. Er wird wohl eine Erkenntnis mit nach Berlin nehmen: Trotz der neuen deutsch-türkischen Klimaaufhellung werden diese handfesten Unterschiede noch lange bleiben.