Berlin. Vor 50 Jahren starb in Berlin der Student Benno Ohnesorg. Die folgende Protestbewegung prägte Deutschland auf Jahrzehnte hinaus

Es ist ein sonnenüberfluteter Frühsommertag – Kaiserwetter zum Kaiserbesuch. Doch dieser Freitag endet furchtbar. Keiner ahnt, dass dieser 2. Juni 1967 die noch junge Bundesrepublik radikal verändern wird. 50 Jahre später gedenkt Berlin des Studenten Benno Ohnesorg, der damals ums Leben kam, und an den Beginn der außerparlamentarischen Opposition in Deutschland.

„Der Tod von Ohnesorg ist auch nach 50 Jahren eine Wunde, die schmerzt und nicht verheilt ist“, erklärte am Donnerstag Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD). Der Polizist Karl-Heinz Kurras hatte bei einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs von Persien (Iran), Mohammad Reza Pahlavi und seiner Frau Farah Diba auf Ohnesorg geschossen. Der Student wurde tödlich verletzt.

Die Studenten interessieren sich zuerst nicht für den Schah

Die noch in ihren Anfängen steckende Studentenbewegung an der Freien Universität (FU) in West-Berlin kümmert die Visite des kaiserlichen Diktators zunächst kaum. Ihre Demonstrationen und Sit-ins richten sich gegen den Vietnamkrieg und die geplanten Notstandsgesetze. Sie fordern Hochschulreformen („Unter den Talaren, der Muff von tausend Jahren“). Das ändert sich, als am Vorabend des 2. Juni der 30 Jahre alte Exil-Iraner Bahman Nirumand sein Buch im Audimax der FU vorstellt, Titel: „Persien, Modell eines Entwicklungslandes oder: Die Diktatur der Freien Welt“. Der Saal ist proppevoll, die Empörung schlägt hoch.

In der sich aufputschenden Atmosphäre wird am Ende dazu aufgerufen, am nächsten Tag vormittags vor dem Schöneberger Rathaus und abends vor der Deutschen Oper an der Bismarckstraße gegen den Schah und dessen Regime zu demonstrieren. Dorthin hatte Bundespräsident Heinrich Lübke das kaiserliche Paar zu einem Besuch der „Zauberflöte“ eingeladen.

Am nächsten Morgen, dem 2. Juni, nimmt das Unheil dann vor dem Rathaus Schöneberg seinen Lauf. Als die Studenten ihren Protest bis hin zu „Mörder, Mörder“-Rufen herausschreien, prügeln plötzlich rund 70 „Jubel-Perser“, ganz offensichtlich Geheimdienstmänner des Schahs, mit Latten auf die Demonstranten ein. Deren Wut und Empörung wird noch dadurch gesteigert, dass die West-Berliner Polizisten, zu Fuß wie beritten, nicht eingreifen, um die Geprügelten zu schützen. Das heizt die Stimmung am Abend vor der Deutschen Oper weiter an. Die Demonstranten werden jenseits der Bismarckstraße auf dem Bürgersteig zwischen Absperrgittern und einem Bauzaun auf Distanz gehalten. Es gibt Protestrufe und Sprechchöre, dann werden Papierknäuel, Tomaten und Eier, zum Schluss wohl auch Steine gegen die vorfahrenden Honoratioren geschleudert.

Der Todesschütze Kurras wird nie verurteilt

Als drinnen die ersten Takte von Mozarts „Zauberflöte“ erklingen, fällt draußen um 20.07 Uhr der Räumungsbefehl – Order: „Knüppel frei“. Der Beginn einer „blutigen Straßenschlacht“, wie der Reporter der „Berliner Morgenpost“ noch am Abend schreibt. Am Ende gibt es einen Toten: den von einem Polizisten erschossenen Germanistikstudenten Benno Ohnesorg. Den Befehl, nach Beginn der Opernvorstellung den gegenüberliegenden Gehweg mit einem „massierten Polizeieinsatz und Schlagstockgebrauch“ zu räumen, gibt Polizeipräsident Erich Duensing.

„Die haben reingehauen, ich hab die Knüppel gesehen, die da hochflogen, auf die Leute, die nicht weggehen wollten. Die konnten gar nicht nach vorne weg“, erinnert sich ein bei der Räumung eingesetzter Polizeischüler im „Tagesspiegel“. Nach hinten ist der Fluchtweg durch den Bauzaun versperrt. Rettung verheißen nur die Nebenstraßen. Benno Ohnesorg, kein Aktivist, mehr ein mit den Ungerechtigkeiten der Welt hadernder Schöngeist, der Gedichte schreibt, flüchtet sich in die Krumme Straße. Doch da baut sich vor ihm und anderen, die einen Ausweg suchen, eine Kette von 30 Schutzpolizisten auf.

In Panik flüchtet sich Ohnesorg in den Innenhof des Hauses Krumme Straße 66/67. Er ist frisch verheiratet, seine Frau ist schwanger. Sie wartet zu Hause auf ihn. Andere Demonstranten, Fotografen und auch Polizisten rennen wie Ohnesorg in den Hof. Wieder wird geprügelt. Dann fällt plötzlich ein Schuss. Es ist kurz nach 20.30 Uhr. „Bist Du wahnsinnig, hier zu schießen?“ brüllt ein Kollege den Todesschützen an, den Kriminalbeamten Karl-Heinz Kurras. Ohnesorg wird tödlich im Kopf getroffen. Verurteilt wird Kurras dafür nie, weil die wahren Umstände aus falscher Kameraderie vertuscht werden. Selbst als Kurras 2009 als Stasi-Spitzel enttarnt wird, reicht es wieder nicht zu einer Verurteilung. Auch deshalb, weil er inzwischen an Demenz leidet. 2014 stirbt Kurras. Nichts spricht dafür, dass er im Auftrag der Stasi einen Studenten erschießen sollte.

Der Tod Benno Ohnesorgs wird zum Fanal, zum entscheidenden Wendepunkt in der studentischen Protestbewegung; von der Apo, der außerparlamentarischen Opposition bis hin zum Terror der RAF mit dem grausigen Höhepunkt der Entführung und Ermordung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer im Herbst 1977 – zehn Jahre nach dem Mord an Benno Ohnesorg. Es ist dieser 2. Juni 1967, der die Studenten nicht nur in Berlin fassungslos macht und viele mit der Nachkriegsrepublik brechen lässt. Mit der Folge, dass sich ihr Protest, ihr Aufbegehren gegen verkrustete gesellschaftliche Strukturen zu einer Massenbewegung entwickelt, die die Republik verändert.