Schweinfurt/Berlin.

Fast klingt es so, als habe es den Dämpfer für Martin Schulz und seine SPD gar nicht gegeben. Der Kanzlerkandidat wird mit minutenlangen „Martin, Martin“-Rufen und stehendem Applaus empfangen, viele der Genossen beim Landesparteitag der bayerischen SPD in Schweinfurt schwenken rote SPD-Fahnen zur Begrüßung. Es ist der erste große Auftritt des Parteichefs nach der verlorenen NRW-Wahl. Schulz zeigte sich in den vergangen Tagen tief getroffen, aber jetzt ist von Depression keine Spur.

Der Kanzlerkandidat steigt gleich auf die Rednertribüne, keine drei Minuten später donnert er seinen Anspruch in den Saal, die SPD solle bei der Bundestagswahl „stärkste Partei“ werden. Und er selbst, klar, trete an, um Bundeskanzler zu werden. Stürmischer Beifall der Delegierten.

Dabei blendet Schulz die Niederlagen gar nicht aus. Er weicht nicht zurück, aber er redet an diesem Tag, an dem er seine Offensive für den Bundestagswahlkampf beginnt, den Rückschlag gar nicht schön: Von einer Durststrecke und harten Tagen spricht er mit Blick auf die drei verlorenen Landtagswahlen und prophezeit einen „langen, steinigen Weg“. Was der Kanzlerkandidat dann in einer 90-minütigen Rede vorlegt, klingt stellenweise wie ein Neustart seiner Kampagne: Gerechtigkeit bleibt zwar das Kernthema. Aber die Kritik an vermeintlich ungerechten Zuständen im Land rückt Schulz deutlich in den Hintergrund – das hatte den Nerv vieler Wähler nicht getroffen, ihm aber den Vorwurf eingetragen, das Land schlechtzureden. Schulz schaltet um. Sein Motto heißt jetzt: „Wenn es morgen noch gerecht zugehen soll, dann müssen wir heute in die Zukunft investieren.“ Deutschland sei ein „tolles Land“, die Menschen könnten stolz sein, sagt der Kandidat im neuen, positiven Schulz-Sound. Er wolle das Land gerechter machen, wo man es gerechter machen könne: Kitaplätze, Pflege, Krankenversicherung, gleicher Lohn für Frauen und Männer, mehr Weiterbildung sind einige Stichworte. Aber viel mehr noch spricht Schulz von Zukunft – er fordert Investitionen in Bildung,
Infrastruktur, Forschung oder den ländlichen Raum. Nicht die Inhalte sind neu, aber der Ton.

Schulz will bei den Inhalten jetzt zügig nachlegen

Bei der Steuerpolitik bleibt er weiter vage. Familien und normale Arbeitnehmer wolle die SPD entlasten, aber nicht mit der Gießkanne Steuern senken für jene, die es nicht nötig hätten. Einzelheiten nennt Schulz nicht. Auch im Programmentwurf, den der Parteivorstand an diesem Montag beschließen soll, sind alle kniffligen Details zu Steuer oder Rente ausgespart – die will Schulz bis zum Parteitag am 25. Juni nachliefern. Streit ist programmiert.

Umso ausführlicher kritisiert er die Steuersenkungspläne der Union. Deren Versprechen plus die Ankündigung höherer Verteidigungsausgaben würden sich auf 55 Milliarden Euro summieren, was gar nicht finanzierbar sei. Ähnlich wie der französische Präsident Emmanuel Macron macht Schulz jetzt offensiv einen proeuropäischen Wahlkampf. Statt mit erhobenem Zeigefinger als Spar- und Zuchtmeister durch Europa zu laufen, solle Deutschland seine Investitionen erhöhen – das führe auch zu mehr Importen aus anderen EU-Staaten. „Investitionsvorrang in Deutschland ist Europapolitik pur“, ruft er. Als Kanzler werde er eine deutsch-französische Initiative für ein „sozial gerechtes Wachstumseuropa“ ergreifen. Die Phase, in der sich Schulz vor allem innenpolitisch profiliert und Außenminister Sigmar Gabriel das internationale Feld überlässt, ist offenbar vorbei. Klar wendet sich der Kanzlerkandidat gegen eine neue „Aufrüstungsspirale“ und eine drastische Erhöhung der Verteidigungsausgaben, wirbt vielmehr für eine neue Abrüstungsstrategie in Europa.

Schulz sieht es offen als Fehler, dass er sich in den letzten Wochen aus Rücksicht auf die Landtagswahlen mit bundespolitischen Initiativen zurückgehalten hat. Jetzt will er zügig nachlegen. Mitte Juni wird sein Buch „Was mir wichtig ist“ erscheinen, in dem er in elf Kapiteln seine Überzeugungen und Pläne schildern will. Als Kurzfassung wird Schulz parallel einen persönlichen „Zukunftsplan für Deutschland“ vorlegen.

Doch so kämpferisch sich der Kandidat gibt, er weiß, dass es schwer wird, die Stimmung zu drehen. In Umfragen baut die Union ihren Vorsprung aus. In einer neuen Emnid-Erhebung für „Bild am Sonntag“ legen CDU und CSU im Vergleich zur Vorwoche einen Punkt auf 38 Prozent zu, die SPD liegt nur noch bei 26 Prozent. Nur 15 Prozent der Befragten glauben, dass Schulz Kanzler wird. Aber der Kandidat verweist in seiner Rede selbstbewusst darauf, dass die SPD bei seiner Nominierung im Januar in Umfragen bei nur 20 oder 21 Prozent gelegen habe. Der Anspruch auf das Kanzleramt sei damals „deutlich schwieriger“ gewesen als heute.