Berlin.

Wer Gesetze macht, muss mit Kritik rechnen. Doch so viel Gegenwind wie in diesem Fall ist selten: Ein breites Bündnis macht Front gegen Justizminister Heiko Maas (SPD) und sein Gesetz gegen Hasskommentare im Internet. „Das sollte Ihnen eigentlich zu denken geben“, ruft ihm die Grünen-Politikerin Renate Künast am Freitag bei der ersten Lesung des Paragrafenwerks im Bundestag zu.

Der Vorwurf der Kritiker: Das Gesetz, das Facebook und Co. mit Millionenstrafen droht, wenn sie strafbare Beiträge nicht löschen, sei ein politischer Schnellschuss, nicht praxistauglich und gefährde am Ende die Meinungsfreiheit im Internet. Auch die Justizminister der Länder hätten „zahlreiche Bedenken und Änderungswünsche“, sagte der Vorsitzende der Justizministerkonferenz, Herbert Mertin (FDP), dem Hamburger Abendblatt. Das „Facebook-Gesetz“ macht Maas zur Zielscheibe.

Was regelt das neue Gesetz?

Schwere Beleidigung, Bedrohung oder Volksverhetzung: Bereits heute müssen Facebook, Twitter und Co. Kommentare mit strafbarem Inhalt von ihren Seiten löschen. Doch weil das in vielen Fällen nicht oder zu spät passiert, macht die Bundesregierung nun per Gesetz Druck. Am Freitag befasste sich der Bundestag in erster Lesung mit dem Entwurf des Justizministers. Sein Vorschlag sieht vor, dass soziale Netzwerke ihr Beschwerdewesen so organisieren, dass offensichtlich strafbare Inhalte binnen 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde gelöscht werden, kompliziertere Fälle nach sieben Tagen. Zudem müssen die Unternehmen künftig einen Ansprechpartner in Deutschland benennen, an den sich Bürger und Behörden richten können. Bei Verstößen drohen Bußgelder von bis zu 50 Millionen Euro. Nach einigen Änderungen ist jetzt klargestellt, dass das Gesetz nicht auf Maildienste wie GMX und Web.de, auf Netzwerke wie LinkedIn und Xing und auf Dienste wie WhatsApp anwendbar ist.

Wieso fürchten Kritiker
um die Meinungsfreiheit?

Weil das Gesetz dazu führt, dass private Unternehmen – und nicht öffentliche Gerichte – darüber entscheiden sollen, ob ein Beitrag strafbar ist oder nicht. Wirtschaftsverbände, Netzaktivisten, Journalisten, Juristen und selbst Koalitionspolitiker warnen deswegen vor einer Privatisierung der Rechtsdurchsetzung. „Ich kann nicht erkennen, was beispielsweise Facebook dafür qualifiziert, Inhalte daraufhin zu überprüfen, ob sie rechtswidrig sind“, sagt Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU). Viele fürchten, dass aufgrund der knappen Fristen und hohen Strafen Inhalte vorschnell entfernt werden, Facebook, Twitter und Co. könnten in Zukunft also viel mehr löschen als juristisch nötig. In der Folge hieße das: Scharfe Kritik oder auch beißende Satire könnte ohne Not in vorauseilender Vorsicht gelöscht werden. „Wir müssen die großen Anbieter hart in die Pflicht nehmen, dürfen sie aber nicht in eine Richterrolle pressen“, sagt der Grünen-Fraktionsvize, Konstantin von Notz. Die Justizminister der Länder bemängeln zudem, dass Nutzer, deren rechtmäßige Inhalte aufgrund des Gesetzes gelöscht werden, keine Möglichkeit hätten, hiergegen vorzugehen. Minister Maas aber verteidigt sein Gesetz: „Hass im Netz ist der wahre Feind der Meinungsfreiheit“, so der SPD-Politiker im Bundestag. „Die gängige Praxis zeigt, es wird nicht zu viel gelöscht, sondern leider viel zu wenig gelöscht.“

Wie solide ist das Gesetz gemacht?

Zu den inhaltlichen Vorbehalten kommt Stilkritik hinzu, etwa, dass der Entwurf „mit heißer Nadel“ (Petra Sitte, Linke) gestrickt worden sei und der Minister damit kurz vor Ende der Legislaturperiode „um die Ecke kommt“, wie der Grüne von Notz beklagt. Maas hat lange Zeit auf die Einsicht der Betreiber der sozialen Netzwerke gesetzt. Als ihm dann der Geduldsfaden riss, war die Legislaturperiode fast zu Ende. Am „Schnellschuss“ (Dorothee Bär, CSU), der dann folgte, stören sich Politiker deshalb, weil der Entwurf „stark nachgebessert“ werden müsse, wie CDU-Rechtsexperte Patrick Sensburg bemängelt. Es bleibe zu wenig Zeit zur Beratung.

Im Bundestag stehen nur noch drei Sitzungswochen an, spätestens am 30. Juni muss das Gesetz verabschiedet werden. Hinzu kommt, dass die Brüsseler Kommission prüft, ob die Regelung mit EU-Recht vereinbar ist. Sollte sie Korrekturen fordern, wird es noch enger. Unzufrieden sind auch die Bundesländer, weil der Aufwand sehr groß ist, „da wir insgesamt eine hohe Zahl an Bußgeld- und in der Folge an Gerichtsverfahren erwarten“, wie der Mainzer Justizminister Mertin sagt.

Warum steht Maas auch
persönlich in der Kritik?

In den ersten Jahren der großen Koalition galt der Sozialdemokrat als Aktivposten im Kabinett: Strafrechtsreform, Mietpreisbremse, Frauenquote, klare Kante gegen Pegida. Der Neuling in der Bundespolitik verhandelte mit CDU-Innenminister Thomas de Maizière auf Augenhöhe und galt bald als Hoffnungsträger der SPD. Bis heute engagiert er sich auf vielen Feldern, etwa im Fall des in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel. Aber im Sommer 2015 kippte die Stimmung. Missfallen erregte die Ablösung von Generalbundesanwalt Harald Range, der gegen eine Blogger-Gruppe wegen Landesverrats ermittelt hatte. Range behauptete, der Minister habe ihn angewiesen, ein belastendes Gutachten zu stoppen. Maas widersprach dem.

Einmischung – zumindest indirekt – wurde ihm auch im Herbst 2016 vorgeworfen, als er parallel zu den Ermittlungen im Fall Gina-Lisa Lohfink sein Plädoyer für ein härteres Sexualstrafrecht bekräftigte. Lohfink hatte zwei Bekannte angezeigt, weil sie sie angeblich vergewaltigt hatten. Sie bekam aber vor Gericht kein Recht. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) soll damals gesagt haben, „ein anständiger Minister müsste da zurücktreten“.

Inzwischen gilt Maas vielen in der Koalition nur noch als „Ankündigungsminister“. Das Urteil des CDU-Politikers Sensburg fällt vernichtend aus: „Den Ankündigungen von Justizminister Maas sind nur in wenigen Fällen brauchbare Gesetzgebungsverfahren gefolgt“, sagt er dieser Zeitung. Grünen-Politiker von Notz wirft dem SPD-Minister vor, er würde zu häufig in TV-Talkshows auftreten, aber in seinem Amt zu viele Themen aussitzen.