Düsseldorf.

Zu nett, zu friedfertig, zu wenig Biss: Kaum einer konnte sich vorstellen, dass Armin Laschet gegen Hannelore Kraft die Wahl in NRW gewinnen könnte. Und nun das: Der 56-jährige CDU-Spitzenkandidat besiegt die Frau, die lange als unschlagbare Landesmutter galt, als scheinbar unbesiegbare Regierungschefin. Es ist eine politische Sensation – und das sieht man Laschet an, als er am Sonntagabend kurz nach den ersten Hochrechnungen vor seine Mitstreiter tritt. „Wir haben zwei Wahlziele gehabt“, sagt er etwas atemlos und immer wieder von Jubel unterbrochen. „Wir wollten Rot-Grün beenden und stärkste Partei in NRW werden. Beides ist gelungen.“ Es sei das Ende von „sieben Jahren schlechter Politik“. NRW solle wieder „Aufsteigerland“ werden.

Die CDU feiert „zu Hause“, wie sie hier sagen, wenige Gehminuten vom Landtag am Rhein entfernt, in der Parteizentrale. Hier mussten sie ihre herbe Niederlage vor fünf Jahren verkraften, als die Christdemokraten auf ihr schlechtestes Ergebnis in NRW gestürzt waren, hier feiern sie an diesem Sonntag die Rückkehr an die Macht. Sie liegen sich in den Armen, sie sind alle ein bisschen fassungslos darüber, wie klar der Sieg ausgefallen ist – und sie jubeln: „Armin, Armin, Armin, Armin!“

Bei der SPD dagegen, die an diesem historischen Abend in einer Disco in der Düsseldorfer Altstadt feiern wollte, ist die Stimmung im Keller. Es herrscht Grabesstille, Tränen fließen. Es ist das 0:3 für die SPD. Zum dritten Mal innerhalb weniger Wochen hat die CDU den SPD-Kandidaten geschlagen. Das 1:0 im Saarland, das 2:0 in Schleswig-Holstein – und jetzt auch noch der Wahlsieg in NRW. Es ist ein Albtraum für die Genossen.

Für die SPD ist ein Albtraum wahr geworden

Bereits wenige Minuten nach 18 Uhr tritt Hannelore Kraft vor ihre Anhänger und erklärt ihren Rücktritt – als SPD-Chefin in NRW und als Vize von Parteichef Martin Schulz. „Wir haben das Vertrauen nicht mehr gewinnen können“, sagt Kraft. Ihre Stimme ist rauer als sonst. Sie trete zurück, „damit die NRW-SPD eine Chance auf einen Neuanfang hat“. Der Auftritt dauert keine drei Minuten, dann verlässt sie Hand in Hand mit ihrem Mann Udo den Saal. Die 55-Jährige mit dem Image der „Kümmerin“ hat ausgerechnet am Muttertag die herbste Schlappe ihres politischen Lebens bekommen. Es dürfte das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der NRW-SPD sein.

Selten war eine Wahl auf den letzten Metern so spannend: Die Demoskopen versprachen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Kraft und Laschet, zwei Tage vor der Wahl überholte die CDU die SPD dann in den Umfragen. Doch beide, Verteidigerin und Angreifer, hielten sich im Land mit den meisten Bundesligavereinen bis zuletzt an den Fußballphilosophen Günter Netzer: „Denk’ erst an die Kabine, wenn du drin bist.“ Also kämpfen bis zum Abpfiff: Die eigenen Leute mobilisieren, die große Zahl der unentschlossenen Wähler überzeugen – Kraft und Laschet wussten, dass es am Ende um wenige Stimmen gehen könnte. Hinzu kam: Spätestens die Wahl in Schleswig-Holstein hatte gezeigt, dass niemand auf scheinbare Gewissheiten bauen kann. Amtsbonus? Bekanntheitsgrad? Alles wichtig, aber nicht allein wahlentscheidend.

Laschet half, dass die Unzufriedenheit mit der Landesregierung zuletzt groß war und die Bilanz der rot-grünen Koalition allenfalls durchwachsen. An Rhein und Ruhr gibt es mehr Arbeitslose und mehr armutsgefährdete Kinder als im Bundesdurchschnitt, mehr Staus auf den Autobahnen, mehr unaufgeklärte Straftaten. Bei den Ausgaben für Schulen und Hochschulen liegt NRW bei vielen Statistiken unter dem Bundesschnitt. Am Ende, so scheint es, zog die gefühlige SPD-Strategie mit ihrem Slogan „#NRWir“ weniger gut als die Taktik der CDU, das Land als Hort von Verbrechen, Staus und bürokratischer Fesseln zu geißeln.

Doch was kommt nun? Viele Möglichkeiten gibt es nicht. Der Spielraum für Regierungsbündnisse war schon vor der Wahl eng, die fortschreitende „Ausschließeritis“ hatte dazu geführt, dass weder eine Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen möglich erschien, noch eine Jamaika-Koalition mit CDU, FDP und Grünen. Am Wahlabend dann rückte durch die Stärke der FDP und die Zitterpartie der Linkspartei neben einer großen Koalition auch ein schwarz-gelbes Bündnis in Reichweite. Schwarz-gelb wurde das Land zwischen 2005 und 2010 regiert – eine große Koalition dagegen wäre das erste schwarz-rote Bündnis in NRW. Armin Laschet hatte sich ursprünglich schon auf die Rolle des Juniorpartners eingestellt: Er ging im Wahlkampf sanft mit der Regierungschefin um, was auch daran liegt, dass Laschet kein Mann für die Abteilung Attacke ist. Sein Image: Der freundliche, differenziert argumentierende Rheinländer, ein Brückenbauer. Jetzt, wo er im bevölkerungsreichsten Land die „kleine Bundestagswahl“ gewonnen hat und die SPD angesichts der starken Liberalen möglicherweise nicht mal braucht, ist Laschet stärker denn je.

Die SPD aber hat das Wahlergebnis kalt erwischt. Über einen Plan B für die Zeit nach Kraft hat bislang niemand offen geredet, ein geborener Kraft-Nachfolger existiert nicht. Auch deshalb nicht, weil sich Kraft bis vor wenigen Tagen noch relativ sicher sein konnte, am Ende dann doch für weitere fünf Jahre bestätigt zu werden. Noch am letzten Wochenende wünschten sich 51 Prozent Kraft als Ministerpräsidentin, 33 Prozent Laschet. Doch in der Politik, das wissen sie hier seit Sonntag einmal mehr, gilt eben die Maxime von Revier-Fußballlegende Adi Preißler: „Entscheidend is’ auf’m Platz.“