Düsseldorf. In Südwestfalen, im Münsterland und Teilen des Niederrheins herrscht nahezu Vollbeschäftigung, doch die SPD-Hochburg Ruhrgebiet kommt nicht wirklich voran

Es gab in den vergangenen Wochen kaum eine Wahlkampfrede von Armin Laschet, in der Nordrhein-Westfalens CDU-Spitzenkandidat nicht irgendwann das Publikum in besorgt-entrüstetem Tonfall gefragt hätte: „Warum müssen wir eigentlich immer Letzter sein?“ FDP-Chef Christian Lindner beleuchtete die behaupteten oder tatsächlichen Schwächen des Landes mit einer Art Guerilla-Wahlkampfkampagne. Vor Geburtskliniken ließ er Plakatwagen parken mit der Aufschrift: „Glückwunsch zum Baby! Sorgen Sie am 14. Mai dafür, dass es in sechs Jahren gute Schulen gibt.“ Oder vor Ikea-Märkten: „Wenn ein Möbelhaus unsere Kinder bis 20 Uhr betreuen kann, wieso können die Kitas in NRW das nicht?“

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hat das „Schlusslicht-Gequatsche der Opposition“ lange nicht ernst genommen. Sie zeichnete vielmehr das krasse Gegenbild eines liebenswürdigen Landes, das viel in Bildung und soziale Gerechtigkeit investiert habe und sich seine Erfolge nicht schlechtreden lassen dürfe. Es tobte über Wochen eine Zahlenschlacht über positive oder negative Statistiken. Mit dem Ergebnis, dass erstmals seit langer Zeit in NRW eine Landtagswahl wieder rein über Landesthemen entschieden werden dürfte. Ist das bevölkerungsreichste Bundesland also „Das deutsche Griechenland“ oder „Das verlorene Land“, wie Überschriften vieler Zeitungen nahelegen?

Der genauere Blick zeigt: NRW ist ein zerrissenes Land. Eigentlich steht der Arbeitsmarkt insgesamt so gut da wie seit 1993 nicht mehr. Doch: Im Bundesländervergleich ist NRW abgerutscht, inzwischen stehen auch Thüringen und Sachsen besser da. Die Arbeitslosenquote im Ruhrgebiet wirkt wie betoniert zweistellig. Das NRW-Wirtschaftswachstum lag zuletzt mit 1,8 Prozent nur noch 0,1 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt. Doch während in Südwestfalen, im Münsterland und Teilen des Niederrheins nahezu Vollbeschäftigung herrscht, kommt die SPD-Hochburg Ruhrgebiet nicht wirklich voran.

Kraft rühmt sich, dass jeder dritte Euro des Landeshaushalts in Kinder, Bildung und Familien investiert werde. Die Bilanz aber ist ernüchternd: Die Kinderarmut stieg von 2010 bis 2015 von 20,9 Prozent auf 22,9 Prozent. Und die Ausgaben pro Schüler liegen in NRW unter dem Bundesdurchschnitt. Während deutschlandweit 2014 pro Schüler 6700 Euro ausgegeben werden, sind es in NRW 800 Euro weniger. Die rot-grüne Landesregierung hat zwar in den vergangenen Jahren zahlreiche Kita-Plätze für U3-Kinder geschaffen, bei der Versorgungsquote blieb man dennoch Schlusslicht aller Bundesländer. Kraft verwies im Wahlkampf stets darauf, dass jeder benötigte Platz auch finanziert werde und die prognostizierte Klagewelle ausgeblieben sei. Doch aus Großstädten wie Essen kommen Meldungen über Hunderte unversorgte Kinder.

Die Achillesferse der Landesregierung ist die innere Sicherheit: Die Zahl der Straftaten liegt zwar seit Jahren ziemlich konstant bei etwa 1,5 Millionen. Die Aufklärungsquote beträgt aber gerade einmal 50 Prozent, in Bayern sind es 65,9 Prozent. Rot-Grün hat die Neueinstellungen bei der Polizei unter Druck hoher Einbruchszahlen und bundesweit beachteter Ereignisse wie der Kölner Silvesternacht auf jährlich 2000 fast verdoppelt. Künftig sollen die maximalen Ausbildungskapazitäten von 2300 Polizeianwärtern ausgereizt werden. Die Bürger-Polizei-Relation bleibt in Bayern dennoch deutlich besser.

Umfragen belegen, dass die Verkehrspolitik zu den wichtigsten Themen des Wahlkampfes gehörte. Der ADAC hat errechnet, dass sich die Staus in NRW 2016 zu einer Strecke addieren ließen, die zehnmal um die Erde reicht. Seit Amtsantritt der Regierung Kraft hat sich deren Länge verdreifacht, was sich jedoch allenfalls an einem Punkt in einen Sachzusammenhang bringen lässt: Wegen einer angeblich schwindenden Aussicht auf Bundesmittel hatte sich die Landesregierung auf Druck der Grünen 2011 darauf verständigt, nur noch „besonders wichtige und einigermaßen reibungslos zu realisierende Projekte“ weiterzuplanen. Ein Irrtum. Als später unerwartet viel Geld aus Berlin kam, fehlten zeitweilig die Pläne in der Schublade.