Kiel. Lange wurde der 43-jährige CDU-Spitzenkandidat unterschätzt. Doch er verkörpert den Charme des Neuen und setzt auf populäre Themen

und Christian Unger

Schon den ganzen Tag über war die Stimmung bei der CDU gut. Gegen Mittag postete ein völlig losgelöster Anhänger auf Facebook den Spruch „Die Sonne scheint, der Himmel lacht. Das hat die CDU gemacht.“ Der Spitzenkandidat Daniel Günther fand sogar die Zeit, das gut zu finden.

Um 18 Uhr wurde dann klar, dass die CDU noch viel mehr als das gemacht hat: nämlich einen krachenden Wahlsieg. Als die erste Prognose über die Bildschirme in der Seebar an der Kieler Förde flackert, sind die Besucher der CDU-Wahlparty außer Rand und Band. „Daniel Günther Ministerpräsident“, rufen sie. Die CDU ist bei der Landtagswahl klar stärkste Partei geworden. Ihr Spitzenkandidat ist der Überraschungssieger dieses Wahlabends.

Kurz darauf kommt er in der Seebar an und schreitet über den Holzsteg, junge Männer und Frauen mit CDU-Schildern in den Händen folgen ihm. Günther, den bis vor wenigen Monaten kaum jemand kannte, läuft zu seiner Partei wie ein Boxer in den Ring. Nur, dass er den Kampf schon gewonnen hat. Der Bass wummert aus Boxen über die Bucht vor Kiel. „Die Menschen haben gegen die Koalition des Stillstands und für den Aufbruch gestimmt“, ruft Günther seinen Anhängern zu. „Die Regierung von Torsten Albig ist abgewählt.“ Und an diesem Abend schwebt eine Frage über das Wasser: Wie ist ihm das gelungen?

Die Startbedingungen waren alles andere als günstig. Erst vor einem halben Jahr war Günther eingesprungen, als der eigentliche Spitzenkandidat Ingbert­ Liebing hingeworfen hatte – dieser war zu unbekannt, zu schlecht seine Umfragewerte. Irgendjemand stach die schlechten Werte an die Presse durch, da hatte der Bundestagsabgeordnete Liebing keine Lust mehr.

Also musste Günther ran, auch nicht gerade der Bekannteste im Land. Eine Wechselstimmung wollte bis wenige Wochen vor der Wahl nicht aufkommen. Noch im März lagen Günther und die CDU in Umfragen hoffnungslos zurück: 27 Prozent CDU, 33 Prozent SPD.

Bei den Sozialdemokraten sah man sich bestätigt. Günther, so hatte es dort schon früh geheißen, sei im Vergleich zum Bundestagsabgeordneten Liebing ein leichterer Gegner. Der deutlich jüngere Günther sei ein unerfahrener Politiker, das könne man gut herausarbeiten, indem man Albig einfach als Ministerpräsidenten weitermachen lasse: gewissermaßen über dem Wahlkampf schwebend. Das schien zu klappen. In den Wochen vor der Wahl hatte sich eine satte Mehrheit der Menschen in dem Bundesland zufrieden mit Albig und dessen Regierung gezeigt – 61 Prozent. Ohnehin: Bundesweit gelten die Schleswig-Holsteiner in Umfragen als die „glücklichsten Deutschen“.

Und doch: Günther zog an Albig vorbei. Er kippte die Stimmung. Vielleicht hat ihm sogar geholfen, dass ihn keiner so richtig kennt. Er hat den Charme des Neuen. Und er ist enorm fleißig. Er eilt von Wahlkampfstand zu Wahlkampfstand, wirkt trotzdem locker und entspannt.

Als eine von der CDU beauftragte Meinungsumfrage im Januar ergibt, dass die meisten Wähler wieder zum Langsam-Abi an Gymnasien zurückkehren wollen, verordnete Günther genau dies seiner Partei. Das war populistisch. Im April zauberte er dann den Kieler Agrarwissenschaftler Friedhelm Taube aus dem Hut. Das war mutig. Taube soll in einer CDU-geführten Regierung Landwirtschaftsminister werden. Er steht für eine ökologische Landwirtschaft, die auch ökonomisch erfolgreich sein muss. Der Mann ist eine Reizfigur für konservative Bauern, aber Günther will seine Partei in diesem Bereich neu aufstellen. Langsam werden die Zahlen besser.

Dann patzte die Konkurrenz. Albig und seine neue Lebensgefährtin Bärbel Boy gaben dem Magazin „Bunte“ ein Interview, und Albig sprach in einer Weise über seine gescheiterte Ehe, die vielen Frauen missfallen dürfte.

Was tat Günther? Er tat nichts. Keine Storys in Hochglanzmagazinen. Der Kandidat hielt seine Frau und seine kleine Tochter konsequent aus dem Wahlkampf heraus. Plötzlich wirkte Günther erwachsen – und Albig kindisch. Auch im TV-Duell im NDR Fernsehen, dem einzigen Duell in diesem Wahlkampf, schnitt der CDU-Kandidat besser ab. Es war ein Auftritt mit viel Chuzpe: Günther versprach einfach, alles besser zu machen. Frech. Albig, immer noch im Ministerpräsidenten-Modus, konnte nichts dagegensetzen.

Analyse zeigt: Daniel Günther punktete bei Älteren

Die designierte Bildungsministerin Karin Prien (CDU) aus Hamburg glaubt, Günther verkörpere „den modernen Typus eines CDU-Politikers: wertkonservativ, aber offen“. Der CDU-Landtagspräsident Klaus Schlie sagt am Wahlabend, dass Daniel Günther mit „Fachkompetenz, Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit“ überzeugt habe. „Die Menschen wollen keine arrogante Politik.“ Klar sei nur: „Wir sind stärkste Kraft im Landtag, wir bestimmen die Inhalte einer Koalition.“

Forscher analysieren am Sonntagabend, der Sieg der CDU gehe stark auf eine hohe Zustimmung bei älteren Wählern und ein positives Image von Günther zurück. Bei den über 60-Jährigen holte die CDU überdurchschnittliche 42 Prozent, wie die Forschungsgruppe Wahlen herausfand. Für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe es „sehr gute Noten“ gegeben, ihr Herausforderer Martin Schulz habe seiner Nord-SPD dagegen „kaum zusätzlichen Auftrieb“ verschafft.

Absehbar ist bereits, dass es die neue Regierung zumindest in puncto Finanzen nicht so einfach haben wird wie die Küstenkoalition. Die war eigentlich als Sparregierung gestartet – und konnte sich dann über steigende Steuereinnahmen und sinkende Zinsausgaben freuen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich das in den kommenden Jahren so fortsetzen wird. Zudem darf das Land von 2020 an keine neuen Schulden mehr aufnehmen. So steht es in der Landesverfassung. Und dann ist da noch die HSH Nordbank. Sie wird im kommenden Jahr verkauft oder abgewickelt. Beides wird dem Land Schleswig-Holstein hohe Verluste bescheren, die Rede ist von bis zu acht Milliarden Euro.

Wer auch immer die neue Landesregierung bildet: Es wird nicht einfach werden. Dringende Fragen müssen beantwortet werden: Wie geht es mit der Windenergie weiter? Wird der Ausbau gedrosselt? Werden die Kita-Gebühren sinken? Schafft es die neue Koalition, den kommunalen Finanzausgleich so zu organisieren, dass Städte, Kreise und Gemeinden einverstanden sind?

Am Dienstag, 6. Juni, werden wir mehr wissen. Dann wird im Kieler Landtag der neue Ministerpräsident gewählt.