Berlin. Bei der Landtagswahl am nächsten Sonntag drohen unklare Koalitions-Verhältnisse. Die FDP ist dort das Zünglein an der Waage

Wat mutt, dat mutt. Regieren zum Beispiel. Christian Lindner richtet sich darauf ein, dass es auf die Liberalen ankommen wird, in Nordrhein-Westfalen mehr noch als in Schleswig-Holstein. Am nächsten Sonntag wird in NRW abgestimmt, und zu den wenigen Gewissheiten gehört, dass die Liberalen nicht um den erneuten Einzug in den Landtag bangen müssen, womöglich zum Zünglein an der Waage werden. Wenn der Ernstfall eintritt, will Parteichef Lindner die FDP-Mitglieder befragen, mit wem sie regieren wollen.

Für die Berliner Parteien ist der 14. Mai wichtiger als die Wahl im Norden, denn an Rhein und Ruhr leben 17,6 Millionen Menschen, mehr als jeder fünfte Bundesbürger. Es ist nicht übertrieben, von einem Stimmungstest für den Bund zu reden. Psychologisch kommt hinzu, dass SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz aus dem Land kommt. Der CDU bietet sich die Chance, dem Herausforderer von Angela Merkel eine Heimniederlage zu bereiten. Die Kanzlerin tritt in den nächsten Tagen drei Mal in NRW auf, zuletzt am Sonnabend in Aachen. Das ist die Stadt von CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet und zugleich die Heimatregion von Martin Schulz.

Anders als in Schleswig-Holstein wird an Rhein und Ruhr ein knapper Ausgang erwartet. Umfragen zufolge schwindet der Vorsprung der SPD. Die Schleswig-Holstein-Wahl brachte keinen Rückenwind für Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD). In Umfragen nähern sich CDU und SPD der 32 Prozent-Marke, die Genossen von oben (bisher 39,1 Prozent), die Christdemokraten von unten (bisher 26,3 Prozent). Die CDU war vor fünf Jahren unter ihren Möglichkeiten geblieben. Sie hat das größte Aufholpotenzial. Wie in Schleswig-Holstein regiert die SPD bisher mit den Grünen. An Rhein und Ruhr sind sie, anders als ihre Kollegen in Kiel, aber geschwächt. In Düsseldorf rechnet denn auch niemand mit einer Fortsetzung des Bündnisses.

SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat nach der nordrhein-westälischen Verfassung eine komfortable Position. Sie darf so lange im Amt bleiben- zur Not an der Spitze einer Minderheitenregierung -, bis eine neue Mehrheit steht. Die SPD wird versuchen, die FDP ins Boot zu holen -- eine „Ampel“-Koalition nach dem Vorbild von Rheinland-Pfalz? , oder aber mit Laschet ins Geschäft zu kommen. Der FDP, die vor fünf Jahren 8,6 Prozent der Stimmen holte, wird ein zweistelliges Ergebnis vorausgesagt. Die Frage ist, wie geschickt Lindner seine Karten ausspielt. Kann eine FDP glaubwürdig bleiben, die rechts blinkt und links fährt? Oder ist es umgekehrt? Wieviel Beliebigkeit ist nötig, wieviel Beliebigkeit ist möglich? Linke und AfD würden vermutlich gern mit der FDP tauschen. Ihnen droht eine Zitterpartie. Wobei die Fünf-Prozent-Hürde den Linken mehr als der AfD zu schaffen machen dürfte.

Zahlen, Daten und Fakten sind nicht schlecht. In NRW geht die Arbeitslosigkeit zurück, und im vergangenen Jahr hat die Regierung eine finanzielle Trendwende eingeleitet: Erstmals gab es keine neuen Schulden. NRW ist auf vielen Feldern statistisch Mittelmaß, neutraler ausgedrückt: es bestimmt aufgrund seiner Größe den Durchschnitt.

CDU-Kandidat Laschet ist sich im Wahlkampf treu geblieben

In Umfragen wird die Arbeit von Rot-Grün bei den Themen Armutsbekämpfung, Innere Sicherheit, Bildung und Verkehr negativ bewertet. Für Ministerpräsidentin Kraft ist Innenminister Ralf Jäger (SPD), der mal ein Aktivposten war, längst zum Problembär im Kabinett geworden. Die Stichworte dazu lauten: Kölner Silvesternacht, Terrorfall Anis Amri und Einbruchskriminalität.

Vor fünf Jahren hatte Kraft bei den Wählern unter anderem mit dem Versprechen gepunktet, kein Kind zurückzulassen. In Wahrheit ist die Quote der Kinder, die in Armut leben, während ihrer Regierungszeit sogar noch leicht gestiegen, sie liegt nunmehr bei knapp 23 Prozent. Lange Zeit sah es für Laschet nicht mal schlecht aus. Nachdem die Bundes-SPD Schulz auf den Schild hob, drehte sich die Stimmung. Eine der Fragen des 14. Mai wird sein, ob und wie stark der Schulz-Effekt schon wieder verpufft ist.

„Die Menschen sind vielleicht nicht mit allem einverstanden, aber sie merken, dass ich das mit Herzblut mache“, glaubt Kraft, die damit zwei Stimmungslagen durchaus zutreffend wiedergibt. Zum einen kann von einer Wechselstimmung keine Rede mehr sein. Zum anderen ist die 55-jährige Ministerpräsidentin beliebt. Krafts Faszination ist ihre Leidenschaft, ihr Machzentrum das Ruhrgebiet. Je mehr ihr CDU-Herausforderer das Land schlecht redet – schlicht Defizite benennt –, desto größer der Rückhalt für Kraft im Revier.

Kraft genießt größere Sympathien als Laschet, der obendrein auch in der eigenen Partei nicht unumstritten ist. Er gilt in der CDU eher als moderarer Politiker und als strammer Unterstützer Merkels, auch und gerade ihrer Flüchtlingspolitik. In den konservativen Hochburgen im Münsterland oder im Sauerland ist es eher ein Makel; dort hätte man sich auch einen angriffsfreudigeren, kernigen Kandidaten gewünscht. Aber Laschet ist im Wahlkampf sich selbst – und Merkel – treu geblieben. Vielleicht zahlt sich das am Ende doch aus. Auch das wäre eine Erkenntnis.