Kiel. Torsten Albig wird in der eigenen Partei hart kritisiert. Besonders das Interview über sein Privatleben wird ihm vorgeworfen

Matthias Popien

Noch-Ministerpräsident Torsten Albig verzog keine Miene. Schleswig-Holsteins SPD-Landeschef Ralf Stegner trat am Sonntag um kurz nach 18.30 Uhr im dritten Stock des schleswig-holsteinischen Landeshauses an das Mikrofon und sagte zu den enttäuschten Parteianhängern: „Die Ursachen für die Wahlniederlage liegen bei uns in Schleswig-Holstein.“ Kein negativer Bundestrend. Keine Wechselstimmung. Es habe auch nicht an den SPD-Mitgliedern im Land gelegen, die bei „Scheißwetter“ bis zuletzt aufopferungsvoll gekämpft hätten.

Und so fragten sich viele der Anwesenden: Wer trägt dann die Verantwortung dafür, dass die schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten gestern eine schwere Niederlage einfuhren und gegenüber der Wahl vor fünf Jahren rund vier Prozentpunkte verloren? Was waren die Gründe, dass die Stimmung unter den Wählern innerhalb von nur vier Wochen kippte? Vor gut einem Monat sah die SPD nämlich noch wie der sichere Sieger der Landtagswahl aus.

Bei der Suche nach einer Antwort richteten sich die Augen bereits gestern auf Torsten Albig. Der räumte in seiner Rede vor den Genossen zwar ein, er trage die Verantwortung für die Regierungspolitik und den Wahlkampf und damit auch für die Wahlniederlage. Aber Selbstzweifel ließ der Regierungschef nicht durchblicken. Stattdessen meinte er, man habe wohl einige Dinge falsch gemacht. Allerdings könne er noch nicht sagen, worin die Fehler gelegen hätten. Bei einigen Sozialdemokraten war indes schnell klar, dass es der Ministerpräsident selbst verbockt hat.

Wer mit ihm länger spricht, dem bleibt seine Selbstsicherheit nicht verborgen. Albig gilt gemeinhin als kühl, unnahbar und unpersönlich. Umso verwunderlicher war es, dass der Ministerpräsident vor gut drei Wochen der
Illustrierten „Bunten“ ein Interview gab, in dem er despektierlich über seine frühere Ehefrau sprach. So erklärte der Politiker, er und seine Frau hätten sich zuletzt kaum noch auf Augenhöhe ausgetauscht. „Ich war beruflich ständig unterwegs, meine Frau war in der Rolle der Mutter und Managerin unseres Haushaltes gefangen.“

Das Interview kam im Lande gar nicht gut an. Vor allem weibliche Wähler warfen dem Regierungschef ein überkommenes Frauenbild vor. Sein bisheriger Koalitionspartner, Schleswig-Holsteins grüner Umweltminister und Vize-Regierungschef Robert Habeck, warf Albig sogar Überheblichkeit vor. Die wichtigen Themen bei den Bürgern seien weniger inhaltliche als vielmehr persönliche, sagte Habeck dem Podcast-Journalisten Tilo Jung. „Es gibt ein Interview des Ministerpräsidenten, wo er seine Trennungsgeschichte von seiner Familie breitgetreten hat – das haben viele Leute nicht als besonders klug empfunden.“

Ähnlich sahen es in einer ersten Reaktion am Wahlabend einige SPD-Anhänger. „Das geht gar nicht“, sagte ein Genosse, der seit mehr als 40 Jahren der Partei angehört. „Streit zwischen Eheleuten gibt es immer mal wieder. Aber den klärt man im Privaten und nicht öffentlich.“ Das Interview, so glaubt er, habe der Partei vier bis fünf Prozent der Stimmen gekostet.

Auch eine enttäuschte Genossin schüttelte nur verärgert den Kopf. „Bis vor drei Wochen waren die Umfragen perfekt – und dann kam das Interview mit der ,Bunten‘.“ Das habe die Partei Stimmen gekostet – und offenbar auch die Unterstützung von Wahlkampfhelferinnen. So seien in den letzten Wochen vor dem Wahltag deutlich weniger Frauen für die SPD unterwegs gewesen als vorher, hieß es Sonntagabend.

Aus Berlin kommt eine klare Schuldzuweisung nach Kiel

Dem bisherigen Kieler Wirtschaftsminister Reinhard Meyer stand die Enttäuschung über die Wahlniederlage ins Gesicht geschrieben. „Wir müssen jetzt darüber nachdenken, ob unsere Wahl­- kampfstrategie richtig war.“ Meyer hat vor allem ausgemacht, dass seine SPD „im Endspurt den Kontakt zu den Wählern verloren“ habe. Zum Interview sagte Meyer: „So ein Interview wäre nicht mein Ding gewesen.“

Es wäre aber wohl zu einfach, die schwere Wahlniederlage der SPD jetzt allein an dem „Bunte“-Interview von Albig festzumachen. Schleswig-Holstein gilt als ein konservatives, von ländlichen Regionen geprägtes Land. Seit dem Zweiten Weltkrieg wurde es von neun christdemokratischen Ministerpräsidenten regiert – und nur von fünf sozialdemokratischen.

Zudem leben inzwischen 30 Prozent der schleswig-holsteinischen Wähler im Hamburger Umland. Die interessieren sich oft mehr für die Politik, die im Hamburger Rathaus gemacht wird als im (fernen) Kiel. Nicht zuletzt fragen sich inzwischen viele Politikexperten – und das nicht nur in Schleswig-Holstein –, woran es liegt, dass die Stimmung unter den Wählern innerhalb so kurzer Zeit so stark schwankt.

Allerdings hatte sich das Tief der SPD zuletzt bereits angekündigt. Symbolisch dafür war ein Bild, das im sogenannten Schulz-Zug aufgenommen wurde. Der SPD-Chef Martin Schulz, der in dem Zug am Donnerstag zu Wahlkampfauftritten gefahren wird, blickt dabei deprimiert aus dem Fenster. Albig neben ihm wendet sich ab, und Stegner starrt nachdenklich ins Leere.

Aus Berlin kam am Wahlabend eine klare Schuldzuweisung: „Das ist eine schwere Niederlage für die SPD in Schleswig-Holstein. Offensichtlich hat die SPD die Wahl in den letzten zwei, drei Wochen verloren. Erst in dieser Zeit ist der Trend für die Landes-SPD nach unten gegangen, während er auf Bundesebene einigermaßen stabil geblieben ist. Die Fehler, die in Schleswig-Holstein gemacht wurden, müssen jetzt schnell analysiert werden“, sagte der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, dem Abendblatt.