Washington. In einem historischen Votum stimmt das US-Repräsentantenhaus für den Rückbau der Krankenversicherung. Nächste Hürde ist der Senat

Es stand nicht weniger als die Regierungsfähigkeit der Republikaner auf dem Prüfstand. Und die ihres Präsidenten. Sechs Wochen nach dem gescheiterten Versuch, die staatlich gelenkte Krankenversicherung von Vorgänger Obama im Sinne von weniger Staat und geringere Beiträge zu reformieren, hat das konservativ beherrschte Repräsentantenhaus im US-Kongress gestern mit hauchdünner Mehrheit von 217:213-Stimmen doch noch ein entsprechendes Gesetz angeschoben.

Gegen den Widerstand der Demokraten, die von einem „bürokratischen Monster“ sprechen, das Millionen Amerikaner im Krankheitsfall in Existenznöte führen werde, bescherten die Republikaner Präsident Trump damit einen ersten parlamentarischen Teilerfolg. 216 Stimmen waren nötig. Dabei haben die „Reps“ 238 Mandate. Die Demokraten kommen auf 193. Knapp 20 Konservative waren also abtrünnig.

Trump hatte die Abschaffung von „Obamacare“ im Wahlkampf zur obersten Priorität erklärt. Die gestrige Entscheidung für den von ihm mitgetragenen „American Health Care Act“ ist aber nur ein erster Schritt. Im Senat, der zweiten Kongresskammer, so kündigte der einflussreiche Republikaner Bob Corker an, werde „sicher nachgebessert“. Entscheidend sei, dass das Gesetz für eine Mehrheit der Amerikaner „gut funktioniere“.

Daran gibt es erhebliche Zweifel. Der ehemalige demokratische Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders fasste die Liste mit Einwendungen so zusammen: „Ältere Menschen und Patienten mit Vorerkrankungen werden schlechter gestellt sein.“ Zumal im staatlichen Schutzprogramm für Arbeitslose und Langzeitkranke („Medicaid“) knapp 900 Millionen Dollar gekürzt werden sollen. Sanders rief Trump auf, das Gesetz abzulehnen – „oder öffentlich eine Lüge einzugestehen“. Trump hatte bis zuletzt gegen die Einschätzung von parteiunabhängigen Experten behauptet, dass „Obamacare“ finanziell „explodieren“ wird. „Und dann kommen wir alle zusammen und basteln uns einen großartigen Gesundheitsplan.“ Wie der aussehen wird, ist bisher unbekannt. Trumps Druck im Nacken spürend, haben die Republikaner ihr Rohkonzept ohne die maßgeblichen Zahlenkalkulationen des Rechnungshofes (Congressional Budget Office) verabschiedet. Das CBO hatte zuletzt errechnet, dass unter „Trumpcare“ bis zum Jahr 2026 rund 24 Millionen Amerikaner weniger versichert sein würden als unter Obama. Um Kritikern in den eigenen Reihen Beruhigungspillen zu verabreichen, gab Trump vor wenigen Tagen inoffiziell einem zusätzlichen Jahresbudget von rund acht Milliarden Dollar seinen Segen, mit dem Versicherte abgefedert werden sollen, die kostenintensive Vorerkrankungen haben.

Demokraten wie etlichen Lobbyverbänden ist das „entschieden zu wenig“. Sie wollen nun Sturm laufen gegen die Regierung. In Washington wird mit Protestmärschen gerechnet. „Es ist noch längst nicht ausgemacht, ob Trump sich mit der übereilt gestrickten Reform seiner Reform einen Gefallen getan hat“, sagte ein Analyst dem Sender MSNBC, „im Senat ist die Mehrheit der Republikaner nur hauchdünn.“ Eine erneute Bauchlandung im parlamentarischen Verfahren würde Trumps Selbstbeschreibung als Top-Verhandler („Die Kunst des Deals“) nachhaltig schädigen. Noch hatte der Präsident in den ersten dreieinhalb Monaten seiner Amtszeit kein einziges großes Gesetzesvorhaben unter Dach und Fach gebracht.

Welche Nachhaltigkeit das Votum entfalten wird, steht dahin. In ihren Wahlkreisen bekamen etliche republikanische Abgeordnete zuletzt massiven Ärger. Auch Trump-Wähler wollen die sozialen Errungenschaften, die ihnen „Obamacare“ beschert hat, nicht missen. Sollte „Trumpcare“, wie Experten befürchten, mit finanziellen Nachteilen für die breite Mehrheit einhergehen, könnte sich das im Herbst 2018 auf das Mehrheitsverhältnis im Kongress auswirken. Ein Drittel der 100 Senatoren und das komplette Repräsentantenhaus stehen dann zur Zwischenwahl an.