Illkirch.

Die Wagenkolonne stoppt, der Leibwächter öffnet die Wagentür, und dann steht sie da: strahlendes Gesicht, durchgedrückter Rücken. Der rosafarbene Blazer passt genau zum Frühlingswetter. Der Heeresinspekteur und die örtlichen Kommandeure bilden das Empfangskomitee, sie strecken Ursula von der Leyen (CDU) die Hand entgegen. Die Bundesverteidigungsministerin ist zu Besuch im französischen Illkirch, am Stadtrand von Straßburg. Sie will den Ort eines Skandals besichtigen, der sie das Amt kosten könnte. Hier, bei der deutsch-französischen Brigade in der Leclerc-Kaserne, war Oberleutnant Franco A. stationiert – der Soldat, der sich als syrischer Flüchtling ausgab, der eine Pistole auf dem Wiener Flughafen versteckte und der, wie man heute weiß, in Illkirch eine Abschlussarbeit schrieb, die rechtsextremes Gedankengut enthielt. Vermutlich plante A. auch einen terroristischen Anschlag. Nun sitzt er in Untersuchungshaft.

Für die Verteidigungsministerin, das sagt sie jedenfalls in Illkirch, geht es nun darum, warum dieser Soldat ungestört weiter Karriere machen konnte. Welche Befehlsketten haben versagt? Es geht ihr auch um den Wertekompass der Bundeswehr: Wie rechts kann und darf ein Soldat sein? Ein möglicher dritter Punkt wäre, dass von der Leyen selbst etwas falsch gemacht hat in ihrer Kommunikation. Am Sonntagabend gab sie ein Fernsehinterview, in dem sie der Bundeswehr ein „Haltungsproblem“ und ein „Problem der Führung“ attestierte. Dafür erntete sie massive Kritik. Aber darum soll es angeblich gar nicht gehen.

Tatsächlich aber geht es nur darum. Die Reise nach Illkirch dient allein dem Zweck, den Schaden zu begrenzen, den das Interview vor allem in der Bundeswehr angerichtet hat. Dass die Ministerin sich nach dreieinhalb Jahren im Amt von den eigenen Leuten distanziert und ihnen ein Führungsproblem attestiert, kam nicht gut an. Von der Leyen dürfte sich selbst am meisten darüber ärgern. Die Ministerin gilt als Perfektionistin. Sie beherrscht die politische Klaviatur meisterhaft und weiß genau, wie man die Medien nutzt, um Botschaften zu senden. Und dann verpatzt sie ein Interview, indem sie zu scharf formuliert.

Über Konsequenzen mag sie nicht spekulieren

Also zieht die Ministerin die Notbremse. Sie sagt eine Reise in die USA ab und lässt das Regierungsflugzeug, das ja ohnehin gebucht war, nach Frankreich umlenken. Flughafen Straßburg und dann noch einmal zwanzig Minuten Fahrt mit dem Bus, dann ist sie auf dem Kasernengelände der deutsch-französischen Brigade. In die Jahre gekommene Plattenbauten stehen hier, der Putz bröckelt überall. Hier hat Franco A. seine 140-seitige Arbeit geschrieben, in der ein Gutachter Anfang 2014 „einen radikalnationalistischen, rassistischen Appell“ erkannt hat. Hier sollen sich auch Devotionalien der Wehrmacht finden. Auf dem Lauf einer Waffe soll ein eingeritztes Hakenkreuz gefunden worden sein. Die Presseabteilung der Bundeswehr hat ein Programm vorbereitet, das gute Bilder liefert: Nach ihrem Gespräch mit den Verantwortlichen geht von der Leyen quer über das Kasernengelände, ach was: Sie schreitet, dieses Mal mit ernster Miene. Neben ihr der Generalinspekteur der Bundeswehr und der Inspekteur des Heeres. Die Botschaft: Hier wird aufgeklärt. Später wird von der Leyen gefragt, ob sie an diesem Tag und bei diesem Besuch irgendetwas erfahren habe, das sie vorher nicht gewusst habe. Die Antwort fällt sparsam aus. Es sei gut gewesen, noch einmal mit den zuständigen Vorgesetzten gesprochen zu haben. Tatsächlich hat die Ministerin über das Wochenende von Berlin aus die Aufklärung in die Hand genommen. Sie kennt alle Details. Sie selbst hatte am Vorabend den Verteidigungsausschuss informiert. Ausschuss-Vorsitzender Wolfgang Hellmich (SPD) findet es zwar richtig, dass sie den Standort besucht und die Soldaten befragt, „aber das macht man unter acht oder zehn Augen und nicht mit einem gewaltigen Pressetross“, sagt er unserer Redaktion. „Das ist eine Inszenierung.“

Im Gebäude Nummer zehn schaut sich von der Leyen den „Bunker“ an, einen Aufenthaltsraum mit einer Bar im Stil eines Luftschutzraums. An den Wänden Zeichnungen mit schwarzer Farbe auf Raufasertapete. Sie zeigen die Soldaten. Die Helme und die Uniformen erinnern an die Wehrmacht. Ein Bild mit einem Spruch aus einem Kriegsgefangenen-Lager in Sibirien aus dem Jahr 1945 hängt dort, alte Helme liegen herum. Ein Schild an der Tür verkündet: „Dieser Raum ist versiegelt. Öffnen verboten!“ Das soll die Keimzelle eines rechten Netzwerks sein? Die Frage, die sich hier aufdrängt: Warum ist nicht schon vorher jemand stutzig geworden? Von der Leyen betont dann, dass alles aufgeklärt werde: der Werdegang des Soldaten A. und seine Kontakte. Aber auch, warum der Chef des Streitkräfteamts die Abschlussarbeit verschwinden ließ. Über personelle Konsequenzen mag sie nicht spekulieren. Über eine spöttische Journalistenfrage, ob es sie beunruhige, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ihr die „volle Unterstützung“ zugesagt habe, lächelt sie hinweg.

Ihre eigentliche Botschaft ist eine andere. „Die allergrößte Mehrheit der Soldaten macht einen tadellosen Job“, sagt von der Leyen gleich mehrfach. Auch vor Pauschalurteilen warnt sie. Die Wehrmacht sei nicht traditionsstiftend für die Bundeswehr. Und dass sie gekommen sei, „um den Soldaten den Rücken zu stärken“. Kurzum: Sie sammelt alle Scherben zusammen, die durch ihr Interview entstanden sind. Angriff, weiß Ursula von der Leyen, war noch immer die beste Verteidigung.