Berlin.

Hallo Nürnberg? Per Videoschalte sucht Emily Haber am Freitagnachmittag Anschluss zum Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (BAMF). Es soll erklären, was die Innen-Staatssekretärin sich selbst und dem Bundestag nicht erklären kann. Wie konnte sich ein 28-jähriger Bundeswehr-Offizier als syrischer Flüchtling ausgeben, damit durchkommen, mutmaßlich um einen Anschlag zu verüben und falsche Spuren zu legen? Man werde „jetzt jeden Stein umdrehen, bis wir wissen, wie es dazu kommen konnte“, heißt es im Innenministerium. Eine Spurensuche.

Über den Asylantrag von Franco A. wird Ende 2016 entschieden, ihm wird vorübergehender Schutz zuerkannt. Der Zeitpunkt ist wichtig. Er führt viele Erklärmuster ad absurdum: Nein, damals herrschte keine Ausnahmesituation mehr vor. Nein, es war längst auch eine Einzelfall-Prüfung vorgesehen und der behördliche „Ankunftsnachweis“ hätte jeden Missbrauch ausschließen müssen; gerade wenn jemand wie Franco A. nebst Sold noch Sozialhilfe kassiert.

Entscheider und Dolmetscher werden nachträglich überprüft

Burkhard Lischka tobt. Der SPD-Innenpolitiker fühlt sich „verschaukelt“. Die Frage sei, ob „ein Totalversagen im Einzelfall“ oder „strukturelle Mängel“ vorlägen. Was ist schlimmer? Das eine schließt das andere nicht aus.

Eigentlich will die Koalition die nächste Gesetzesverschärfung durchwinken, eine Ermächtigung, um Handys auszulesen, um Flüchtlinge mit falschen Identitäten aufzuspüren. Dabei ist das BAMF keineswegs schlecht gerüstet, es fotografiert jeden Asylbewerber, nimmt ihm Fingerabdrücke ab, gleicht seine Daten ab, Experten führen Sprach-und Textanalysen durch, stellen Detailfragen zu Orten, Sitten, Bräuchen, um Schwindler zu überführen. Pässe werden gescannt, und wenn eine Fälschung nicht mit bloßem Auge erkennbar ist, kommt sie in den 80.000 Euro teuren Video-Spektral-Komparator im Urkundenlabor in Nürnberg – und die Wahrheit ans Licht. So viel High-Tech. Aber was ist mit dem Faktor Mensch?

Dass Franco A. einen „subsidiären Schutz“ bekommen konnte, ist am ehesten damit erklärbar, dass Entscheider und Dolmetscher versagt haben. „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir aufgrund des laufenden Ermittlungsverfahrens derzeit zu dem Fall keine Angaben machen können“, teilt das BAMF mit. Der parlamentarische Innen-Staatssekretär Ole Schröder (CDU) macht klar, wo die Fehlersuche läuft. Alle Fälle des Dolmetschers und des BAMF-Mitarbeiters, die über den Asylantrag von Franco A. entschieden haben, „werden neu überprüft“, sagt Schröder.

Es ist ein Ablauf wie aus der Tri­logie des Krimiautors Stieg Larsson, auf die „Verblendung“ beim BAMF folgt die „Verdammung“. Die „Vergebung“ steht indes aus. Die SPD wirft den CDU-Ministern Ursula von der Leyen und Thomas de Maizière Versagen vor. Sie hätten „ihre Läden nicht im Griff“, schimpft Generalsekretärin Katarina Barley. Der Verteidigungsministerin lastet sie an, dass der Militärische Abschirmdienst (MAD) dem Soldaten mit einem mutmaßlich rechtsextremen Hintergrund nicht auf die Spur kam – und dem Innenminister die Narretei. De Maizière gerät doppelt unter Druck. Er muss den Skandal aufklären. Und sein bayerischer Kollege Joachim Herrmann (CSU) setzt ihn unter Zugzwang. Er nimmt den Fall zum Anlass, verschärfte Identitätsüberprüfungen zu fordern.

Es ist ein offenes Geheimnis und delikat, dass er nach dem Willen der CSU de Maizière nach der nächsten Wahl ablösen soll. Und es ist „ausgesprochen perfide“, so die Linken-Politikerin Ulla Jelpke, dass er die Verfehlungen eines offenbar rechtsextremen Soldaten auch noch gegen die Geflüchteten einsetzt. Nicht ein Flüchtling, sondern ein deutscher Offizier hat betrogen.

Franco A. meldet sich am 30. Dezember 2015 in Gießen als Flüchtling – Aliasname: David Benjamin – und kommt in die Erstaufnahmeeinrichtung Zirndorf. Noch ist die Flüchtlingsflut nicht abgeebbt. Ob des Ansturms müssen Schutzsuchende oft nur Fragebögen ausfüllen. Es ist plausibel, dass Franco A. sich im Allgemeinen staatlichen Kon­trollverlust durchmogeln kann. Er gibt an, ein syrischer Christ und verfolgt zu sein. Dass er sich rudimentär auf Französisch verständigen kann – er leistet in der deutsch-französischen Brigade seinen Dienst –, das wird womöglich sogar zu seinen Gunsten ausgelegt, als Auskunftsbereitschaft.

Spätestens im Mai 2016, als er den Asylantrag stellt und im November bei der Anhörung hätten seine Lügen auffallen müssen. Auf ihn werden die Sicherheitsbehörden nur aufmerksam, als er im Wiener Flughafen eine Waffe versteckt. Am vergangenen Mittwoch ist der Terrorverdacht so groß, dass sie ihn in der Kaserne in Hammelburg (Bayern) bei der Einzelkämpfer-Übung festnehmen; Franco A. sitzt im Erdloch, als die Polizei anrückt. Hätte er stillgehalten, würde er heute noch 400 Euro Stütze bekommen. Sein Fall wirft die Frage auf, wie viele Flüchtlinge unter falscher Identität hier leben und das Sozialsystem ausnutzen. Die Antwort wird man nie erfahren, das Innenministerium hat bereits mitgeteilt, dass es für eine „anlasslose Überprüfung aller Asylbescheide“ keine rechtliche Grundlage gebe.

In diesem Asylsystem hat Franco A. leichtes Spiel

Schon der Attentäter Anis Amri konnte Mehrfach-Identitäten annehmen. Die Flüchtlingskrise ist auch eine Chronik des Missbrauchs. Für Schlagzeilen sorgt im Herbst 2015 ein Dolmetscher aus Marokko. Er gibt an, ein Viertel der Menschen, für die er am Wiener Westbahnhof übersetzt habe, hätten aus Algerien, Ägypten, Marokko gestammt und gäben sich nur als Syrer aus; dann ist die Anerkennungschance groß. Wer keine Papiere hat, ist nicht chancenlos oder wird aus dem Verfahren ausgeschlossen. Über die Antragsteller ohne Pass führt das BAMF nicht mal Buch. In dem System hatte es Franco A. leicht.