Berlin.

Neulich, erzählt Christian Lindner, hat ihm eine junge Frau ein Kompliment gemacht: „Sie sehen heute viel besser aus als früher, so verlebt.“ Der 38-Jährige schickt ein schiefes Grinsen vom Rednerpult herunter zu den rund 660 Delegierten des FDP-Bundesparteitags, die an diesem Freitag nach Berlin gekommen sind.

Es stimmt: Die Ringe unter den Augen, die Furchen um den Mund – in Lindners Gesicht hat sich der Kampf der letzten vier Jahre eingeschrieben. Doch der Furor, mit dem Lindner seine Partei in den folgenden Minuten auf die letzte Strecke im Bundestagswahlkampf schickt, zeigt: Der Mann ist nicht verlebt, er ist kaum zu bremsen. Und genau das ist das Gefühl, das er seinen Leuten an diesem Wochenende mitgeben will. Sie danken es ihm und bestätigen Lindner mit 91 Prozent der Stimmen im Amt des Parteichefs, fast so eindeutig wie beim letzten Mal.

Lindner lässt Aussage zu Koalitionen offen

„Ich hatte recht“, sagt Lindner zu Anfang seiner Rede am Freitagmittag im Kongresszentrum „Station“ in Berlin-Kreuzberg. Zum vierten Mal sind die Liberalen hier. Ende 2013, wenige Wochen nach dem Rauswurf der FDP aus dem Bundestag, wählte die Partei Lindner hier zum neuen Parteichef. Damals hätten die anderen Parteien die Liberalen als „stinkende Leiche“ betrachtet, sagt Lindner. Er habe recht gehabt, weil er seiner Partei damals einen „langen, schwierigen, steinigen Weg“ prophezeite. Jetzt, nach 1315 Tagen in der außerparlamentarischen Opposition, seien sie „eine wettergegerbte“ Partei. Soll heißen: Mein Gesicht passt zu meiner Aufgabe.

Dazu gehört auch, die Seele der Partei zu streicheln – und das bedeutet in diesen Tagen, die Einigkeit zu beschwören. „Es gibt in der FDP keine Flügel“, behauptet Lindner. „Es gibt keinen Liberalismus als Spartenprogramm.“ Das sind die Sätze, für die ihn die Partei liebt. Deshalb darf er auch sagen: „Das Comeback ist noch längst nicht erreicht.“ Stabile Werte über fünf Prozent sind zwar ein vitales Lebenszeichen für eine ehemalige Leiche. Aber, das weiß Lindner, wer jetzt zu siegessicher klingt, riskiert den sicher geglaubten Erfolg: Weil am Ende dann keiner die FDP wählt, weil alle denken, die schaffen es ja sowieso.

Mitte September, eine Woche vor der Bundestagswahl, wollen die Liberalen ein Zehn-Punkte-Programm beschließen, mit Kernforderungen für eine mögliche Regierungsbeteiligung. Mehr nicht, keine Heiratsanträge an die CDU, keine Flirts mit der SPD: Lindner will die Freien Demokraten ohne Koalitionsaussage in die Bundestagswahl schicken. „Wir werden die Chance auf ein Comeback nicht verspielen, indem wir uns zu nützlichen Idioten für irgendwelche Mehrheiten machen lassen“, ruft er unter dem Jubel der Delegierten. Er sei umgekehrt aber auch dagegen, im Bund „alles auszuschließen“. Heißt: Die FDP hält sich alle Optionen offen, sucht ihr Heil vorläufig in der Eigenständigkeit, will nicht wieder in der demütigenden Rolle als Mehrheitsbeschaffer dastehen.

Um erst gar keinen Zweifel aufkommen zu lassen, dass das auch für die CDU gilt, attackiert Lindner den ehemaligen Wunschpartner besonders heftig: Von Finanzminister Wolfgang Schäuble, der angesichts sprudelnder Steuereinnahmen die Bundesbürger nicht sofort entlaste, sondern immer wieder vertröste, sei auch in Zukunft nichts zu erwarten: „Die Union hat jede Glaubwürdigkeit in der Steuerpolitik verloren.“ Auch Armin Laschet, CDU-Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen, kommt bei Lindner nicht gut weg. Er habe gelesen, dass Laschet bei Fußballwetten gerne auf ein „Unentschieden“ setze, spottet Lindner, „stärker kann man mangelnden Siegeswillen doch gar nicht dokumentieren“. Bundeskanzlerin Angela Merkel wirft er vor, sich nicht klar genug gegenüber der Türkei zu positionieren. Wenn es in der Türkei ein Referendum für die Todesstrafe gebe, müsse die Kanzlerin die Stimmabgabe dafür in Deutschland untersagen. Und dann ist da noch die Sache mit Mesut Özil.

Unmittelbar vor dem Parteitag hatte Lindner in einem Interview mit dem Stern auf die Frage, ob Fußballnationalspieler Mesut Özil vor Länderspielen die Nationalhymne mitsingen solle, mit „Ja“ geantwortet. Schnell verbreitete sich die Meldung: Linder will, das Özil die Hymne singt. In der FDP fanden das manche erklärungsbedürftig. Lindner versuchte, via Twitter die Sache klarzustellen: „Will keine Hymnen-Polizei.“ Ob ein Fußballer mitsinge, sei seine Sache.

Er habe nur seine Meinung geäußert, mehr nicht. Bei seiner Rede vor den Delegierten greift der Parteichef das Thema noch einmal auf, auch weil ihn der Gauland-Vorwurf getroffen hat. „Özil-Gate“ nennt er die Sache und rechtfertigt sich: Die Nationalhymne sei ein Symbol des Grundgesetzes, sie zu singen, sei gelebter Verfassungspa­triotismus. „Ich wünschte, wir wären so weit, dass es auch die Nationalspieler könnten.“