Berlin.

Die Erwartungen der Bürger in einem Wahljahr sind das, was die Parteien naturgemäß am meisten interessiert. Eine Emnid-Umfrage zu der derzeitigen politischen Stimmung im Land, die dieser Redaktion vorliegt, zeigt, dass die Menschen in Deutschland mit der eigenen wirtschaftlichen Situation und der des Landes im Großen und Ganzen zufrieden sind. Was sie eher umtreibt, ist die Frage der Gerechtigkeit, vor allem die der Chancengleichheit.

Das Kantar-Emnid-Institut hat in seiner Untersuchung im Auftrag der arbeitgebernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) 1044 Bundesbürger ab 18 Jahren telefonisch befragt. Zeitraum der Erhebung war von Mitte März bis Mitte April 2017.

„Im Wahljahr bricht, wenn man den Szenarien der Parteien Glauben schenkt, ja immer das ganze Land zusammen. Aber das stimmt nicht. Uns geht es in Deutschland wirklich gut. Und das wird auch von den Bürgern so wahrgenommen“, sagt Emnid-Meinungsforscher Oliver Krieg dieser Redaktion. Die Bürger empfänden die derzeitige Höhe von Steuern und Sozialabgaben nicht als grundsätzlich unangemessen. Vielmehr sollte an einzelnen Stellschrauben gezielt gedreht werden – „vor allem bei der Chancengleichheit. Das ist den Menschen wichtiger als die Frage der Verteilung“, so der Forscher. Das sind die Ergebnisse im Einzelnen:


Wirtschaftliche LageDie Mehrheit der Deutschen schätzt ihre eigene wirtschaftliche Lage positiv ein. Elf Prozent halten ihre Situation für sehr gut, 49 Prozent für gut und 26 Prozent für eher gut. Als sehr schlecht empfinden sie nur zwei Prozent. Auch die Erwartungen sind positiv: 76 Prozent gehen davon aus, dass sich ihre Finanzen in den nächsten zwölf Monaten nicht großartig verändern, 16 Prozent der Menschen rechnen sogar mit einer Verbesserung. Die meisten der Befragten bezeichnen Deutschland als sehr wohlhabendes Land, nur ein Prozent hält den Wohlstand hierzulande für sehr niedrig.

Gerechtigkeit
Das Thema Gerechtigkeit aber treibt viele um. Dabei geht es den meisten Menschen um die Chancengerechtigkeit, die unabhängig von der Herkunft sein sollte. Was in Deutschland allerdings bislang nicht der Fall ist. So werden etwa die Bildungschancen von Kinder von 71 Prozent als abhängig von der sozialen Herkunft empfunden. Nur zehn Prozent vertreten die Ansicht, dass die Bildungschancen weitgehend unabhängig vom Elternhaus sind. Als zweitwichtigstes Gerechtigkeitsthema wird die Leistungsgerechtigkeit, noch vor der Generationen- und Verteilungsgerechtigkeit empfunden. Die soziale Marktwirtschaft trägt nach 59 Prozent der Bürger zur sozialen Gerechtigkeit in Deutschland bei. Im Bundestagswahljahr 2013 waren nur 43 Prozent dieser Auffassung.
Haushaltsüberschüsse
Wie sollte der Staat seine Mehreinnahmen verwenden? Dabei tritt ein interessantes Bild zutage: 40 Prozent der Umfrageteilnehmer sind der Meinung, der Staat sollte Mehreinnahmen in die In­frastruktur stecken, also etwa in Schulen, Straßen, den Digitalausbau. 33 Prozent der Bürger wollen dagegen, dass der Staat den Bürgern die Mehreinnahmen zurückgibt. Und 27 Prozent sind der Auffassung, dass die Staatsverschuldung abgebaut werden sollte. Eine überwiegende Mehrheit, satte 82 Prozent, befürwortet sogar einen detaillierten Schuldenabbauplan für den Bund.

Rente
Interessant sind die Meinungen zum Thema Rente, deren Erhöhung das Kabinett am Mittwoch beschloss. Danach steigen zum 1. Juli die Renten im Westen um 1,9 Prozent, in Ostdeutschland um 3,59 Prozent. 69 Prozent der von Emnid interviewten Menschen sind der Auffassung, dass die Politik zu wenig tut, um ältere Arbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. 67 Prozent der Befragten finden, dass der jetzige Beitragszahler stärker belastet werde als früher die heutigen Rentner. 41 Prozent sagen darüber hinaus, dass die stärkere Belastung der Jüngeren „nicht gerecht ist“. Nur zehn Prozent glauben dagegen, die Belastung des heutigen Beitragszahlers falle schwächer aus. „Der Anteil der Älteren bei dieser Frage ist sehr hoch. Viele der heutigen Rentner sind nämlich in erster Linie Eltern und Großeltern, die sehr wohl sehen, für was die jüngere Generation aufkommen muss. Die Rentner sehen das durchaus differenziert“, sagt der Forscher.


Steuer
Die Deutschen unterscheiden stark zwischen der Einkommensteuer und dem Solidaritätszuschlag. Während gut die Hälfte der Befragten sagte, die Einkommensteuer sollte beibehalten werden und sich nur 34 Prozent für eine Senkung aussprachen, sind 63 Prozent der Meinung, der Solidaritätszuschlag sollte prinzipiell gesenkt werden. 30 Prozent wollen ihn beibehalten. „Die Mehrheit empfindet die Sonderabgabe als Luxussteuer, die als überholt gilt“, erklärt Experte Krieg. Allerdings treten bei dem Solidarzuschlag noch Unterschiede zwischen West und Ost zutage: Während die Beibehaltung der Abgabe nur 26 Prozent im Westen befürworten, sind es im Osten 51 Prozent. Gut die Hälfte der Befragten sprach sich außerdem dafür aus, dass die Steuertarife jedes Jahr an die Inflation angepasst werden. Diesen Wunsch hegen auch viele Politiker, aber die Abschaffung der sogenannten kalten Progression würde den Staat einige Steuermilliarden kosten.

Arbeitslosigkeit
Das Institut fragt auch nach den Per­spektiven für ältere Arbeitslose und danach, wie der Staat ihnen helfen kann. Ergebnis: Eine Mehrheit von 60 Prozent findet, dass sich die Politik verstärkt für diese Gruppe einsetzen sollte und ihnen bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz besonders unter die Arme greifen sollte. Die Zustimmung hierfür ist besonders unter den Bürgern ab 40 Jahren sehr groß. 33 Prozent wollen dagegen, dass die Frühverrentungsmöglichkeiten ausgeweitet werden.

„Wahlgeschenke zulasten der Beschäftigten oder Frühverrentungsprogramme werden mehrheitlich abgelehnt“, betont INSM-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr. Für ihn zeigt die Umfrage vor allem, dass die Wähler klar aufgestellt sind: Sie sähen, dass vor dem Verteilen von Geschenken im Wahljahr „das Verdienen kommt“.