Berlin. Anhänger einer Linksregierung nach der Bundestagswahl lassen nach der Enttäuschung im Saarland nicht locker. Ermutigung holen sie sich in Thüringen und Berlin

Die Befürworter einer rot-rot-grünen Koalition auf Bundesebene haben schon bessere Zeiten erlebt. Seit der Landtagswahl im Saarland Ende März, als die Wähler Plänen für ein rot-rotes Regierungsbündnis auf Landesebene eine Absage erteilten und der SPD den sicher geglaubten Wahlsieg verwehrten, zeigen vor allem die Sozialdemokraten öffentlich deutlich weniger Sympathie für eine Links-Koalition. Doch die Vordenker von Rot-Rot-Grün wollen sich nicht entmutigen lassen – sie loten weiter die Chancen für einen umfassenden Regierungswechsel aus.

Für den 25. April haben führende Abgeordnete von SPD, Grünen und Linke zu einem Treffen im Bundestag eingeladen, um über rot-rot-grüne Perspektiven zu beraten, wie der stellvertretende SPD-Fraktionschef Axel Schäfer als einer der Organisatoren dieser Zeitung bestätigte.

Zur Ermutigung der Runde sind prominente Gäste geladen: Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sollen über die Erfahrungen mit den von ihnen geführten rot-rot-grünen Landesregierungen berichten; die thüringische Vize-Regierungschefin Anja Siegesmund und ihre Berliner Kollegin Ramona Pop (beide Grüne) sollen ergänzen.

Das Dilemma desSPD-Kanzlerkandidaten Schulz

Schäfer sagt: „Wir wollen unabhängig von Wahlterminen nach inhaltlichen Übereinstimmungen suchen und persönliches Vertrauen aufbauen.“ Die bisherigen Gespräche seien „ermutigend“ gewesen, inhaltlich und im Umgang. Schäfer betont, es gehe bei den Treffen nicht um eine Koalitionsdiskussion. Der SPD-Politiker zeigt sich mit Blick auf ein Linksbündnis aber zuversichtlich: „Ich schätze die Chancen für Rot-Rot-Grün nach der Bundestagswahl auf 50 zu 50. Zum ersten Mal haben wir eine völlig offene Situation.“ Nicht alle in der SPD wollen aktuell so viel Zuversicht verbreiten. Zwar hat sich Kanzlerkandidat Schulz schon mit führenden Linkspolitikern getroffen, auch die Generalsekretäre der drei Parteien saßen vor ein paar Wochen zusammen. Doch Schulz musste bei der Saarland-Wahl Ende März erkennen, dass die Aussicht auf Rot-Rot konservative Wähler mobilisierte und am Ende die CDU stärkte.

Nach Umfragen befürwortet auch im Bund nur jeder vierte Wähler Rot-Rot-Grün, es ist das unbeliebteste Bündnis überhaupt. Der Kanzlerkandidat im Dilemma: Schulz braucht die Aussicht auf eine rot-rot-grüne Koalition als Machtperspektive, darüber reden will er aber erst mal nicht mehr. Stattdessen umwerben er und seine Genossen zum Ärger des linken Parteiflügels jetzt die FDP, während Altkanzler Schröder Rot-Rot-Grün eine harsche Abfuhr erteilt. Solange „die Familie Lafontaine in der Linkspartei tonangebend ist“, werde man kaum eine rot-rot-grüne Bundesregierung hinbekommen, ätzt Schröder.

Das Verdikt mag man mit der alten Männerfeindschaft zwischen ihm und Lafontaine erklären, aber es illustriert auch den Zick-Zack-Kurs der SPD. Denn es ist gerade ein halbes Jahr her, dass Schröder vor 200 Genossen beim SPD-Wirtschaftsforum rot-rot-grüne Planspiele ausdrücklich verteidigte. Die SPD sollte sich diese Option offenhalten, mahnt der Altkanzler. Seine Partei sei klug beraten, mit allen derzeit im Bundestag vertretenen Parteien koalitionsfähig zu sein. Hü und Hott, damit steht Schröder nicht allein.

Als sich Schäfer und rund hundert weitere Abgeordnete von SPD, Linke und Grünen im vergangenen November vor laufenden Kameras zum rot-rot-grünen „Trialog“ trafen, schaute sogar der damalige SPD-Chef Sigmar Gabriel in Begleitung von Generalsekretärin Katarina Barley vorbei. Ein gezieltes Signal der SPD-Spitze, um das Verhältnis zur Linkspartei zu entkrampfen. Hinterher sprach mancher von einem „historischen Treffen“ und freute sich auf eine „progressive Regierung“ ab dem Herbst.

Die Vorkämpfer von Rot-Rot-Grün sehen die strategische Kurvenfahrt mit gemischten Gefühlen. Einerseits bleibt ein Linksbündnis ja weiter eine Option. Das Ergebnis der Landtagswahl im Saarland ändere daran nichts, betont Schäfer. Dort hätten mit Annette Kramp-Karrenbauer (CDU) eine populäre Ministerpräsidentin und mit Oskar Lafontaine ein polarisierender Politiker der Linken kandidiert. „Außerdem wurde im Saarland über Rot-Rot diskutiert, uns geht es aber um Rot-Rot-Grün“, sagt der SPD-Fraktionsvize. Doch wie mit der neuen Lage jetzt umzugehen ist, darüber herrscht auch im linken Lager Uneinigkeit. In Hinterzimmern feilen Bundestagsabgeordnete an gemeinsamen Programmen, beschwören Gemeinsamkeiten in der Sozialpolitik, beim Klimaschutz oder der Einwanderungspolitik – doch zu einem öffentlichen Schulterschluss kommt es nicht. Der Alt-Grüne Hans-Christian Ströbele fordert jetzt von den Parteien ein „entschiedenes Eintreten für Rot-Rot-Grün“. Auch Linke-Chefin Katja Kipping verlangt von der SPD ein klares Bekenntnis zu Rot-Rot-Grün.

Ähnliche Töne sind von Bodo Ramelow zu erwarten, wenn er nächste Woche in Berlin auftritt. „Rot-Rot-Grün in Thüringen zeigt, dass ein solches Bündnis funktioniert“, sagt der Linke-Ministerpräsident. Es sei aber wichtig, dass sich die Partner frühzeitig zusammensetzten, um die Voraussetzungen für ein Bündnis im Bund zu diskutieren und zu definieren.

Trialog-Organisator Schäfer betont indes die Übereinkunft in seiner Gruppe, dass es einen Lagerwahlkampf von Rot-Rot-Grün nicht geben werde. Doch auch Gerhard Schröder habe als Kanzlerkandidat 1998 keinen Wahlkampf für Rot-Grün gemacht - dennoch sei es zu dieser Koalition gekommen, sie habe erfolgreich gearbeitet.