DortmunD.

Selten war nach einem Spiel so kurz vor dem Spiel. Es ist der Tag nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund und vor der verschobenen Begegnung zwischen Borussia Dortmund und dem AS Monaco. 22 Stunden sind vergangen, in denen erste Anflüge von Angst geschrumpft sind zu leichten Sorgen. Aus Erleichterung ist Trotz geworden und manchmal auch Wut. „Jetzt erst recht“, sagen sie am Nachmittag beim ersten Bier in der Stadt. Und dass sie sich nicht unterkriegen lassen.

„You’ll never walk alone“, haben Fans auf Plakate geschrieben, die sie am frühen Abend vor das Stadion tragen. „Wir lassen den BVB nie im Stich“, sagt zum Beispiel Martin Weber, der zu dem Champions-League-Spiel gegen den AS Monaco aus Ennepetal angereist ist. „Egal was passiert.“

Am Tatort im Dortmunder Stadtteil Höchsten haben sie längst aufgeräumt. „Der Bus ist schon lange weg“, sagt ein Polizist, der mit geschulterter Maschinenpistole an der letzten von vier verbliebenen Absperrungen steht. Großräumig ist der Bereich an der Wittbräucker Straße abgesperrt, an dem am Dienstagabend die drei Sprengsätze hochgingen. In den Bereich kommen am Mittwoch nur Anwohner und Gäste des Hotels, in dem die Mannschaft des BVB sich normalerweise vor ihrem nächsten Spiel trifft, um gemeinsam mit dem Bus zum Stadion zu fahren. Aber normal ist nichts an diesem Tag.

Die Nachbarn des Hotels sind geschockt

An der Zufahrt zum Hotelparkplatz, wo die Sprengsätze in der Hecke versteckt waren, sind Ermittler in weißen Schutzanzügen am Nachmittag noch mit der Spurensicherung beschäftigt. Was sie bisher gefunden haben, lässt die Nachbarn der Luxusherberge nachträglich erbleichen.

Auf einen schweren Unfall hatten sie getippt, manche auf eine Gasexplosion, als sie am Dienstagabend einen „unglaublich lauten Knall“ hörten. Nun wissen sie, dass es Sprengsätze waren, sehr gefährliche. „Nagelbomben“, erzählt ein älterer Mann und seine Frau schüttelt den Kopf. Eine Stunde vor dem Anschlag sei sie mit ihrem Hund an der Einfahrt vorbeigegangen. „60 Minuten später und ich wäre tot gewesen“, sagt sie. „Wer macht so etwas?“

Das fragen sich die Fans in der Innenstadt auch. „Verstehen kann man das nicht“, sagen etwa Timo und René, zwei Fans aus Hamburg und Lübeck, die nun einen Tag länger in Dortmund bleiben als geplant. „Eigentlich wollte ich direkt nach dem Spiel in den Osterurlaub fahren, sagt René. „Aber ich pfeif’ drauf. Natürlich gehen wir ins Stadion!“ Haben sie Angst? „Wahrscheinlich gibt es zur Zeit keinen sichereren Platz als das Dortmunder Stadion“, meint Timo.

Polizeipräsident Gregor Lange hatte bereits am Dienstagabend versprochen, für das nachgeholte Spiel am Mittwoch „alles zu geben, was wir haben“. Selbstverständlich bereite man einen Großeinsatz vor. „Wir ergreifen Schutzmaßnahmen für Spieler beider Mannschaften.“

Tatsächlich werden beide Teams den ganzen Tag über von der Polizei geschützt. Schon am Trainingsgelände der Borussia stehen am Mittwochmorgen zahlreiche Einsatzwagen. Am Stadion patrouillieren teils schwer bewaffnete Polizisten, auch Panzerfahrzeuge sind dort aufgefahren. Inoffiziell ist von rund 4000 Einsatzkräften die Rede. Bereits Stunden vor Spielbeginn durchsucht die Polizei das Stadion und zwar „so gründlich wie möglich“, so ein Sprecher. Bilder zeigen, wie Spürhunde sogar an der Trainerbank nach möglichem Sprengstoff schnüffeln.

„Wir tun unseren Teil, um ein sicheres Fußballereignis zu ermöglichen“, sagt Polizeisprecherin Nina Vogt. Mit Fotos von freundlichen Beamten versucht die Polizei die Fans per Twitter zu beruhigen, ihnen ein Gefühl der Sicherheit zu geben. Das aber sei „schwierig“, so Vogt: „Hundertprozentige Sicherheit können auch wir nicht versprechen.“ Die Fans sind aufgerufen, wegen der erhöhten Sicherheitsstufe möglichst früh zum Stadion zu kommen. Große Taschen und Rucksäcke dürfen nicht mitgebracht werden, die Abgabestellen für Gepäck bleiben an diesem Tag geschlossen.

Die französischen Fans zeigen sich unbesorgt

„Das einzige, was zählt im Leben, ist der Fußball, ist unser Verein“, sagt ein Fan am Nachmittag in der Stadt. Die Umstehenden nicken, kurz wird angesungen: „Ole, hier kommt der BVB ...“ Ein paar Meter weiter sitzen Bernd und Anja und finden, dass es „etwas ruhiger ist als sonst“ ist in der Stadt, jedenfalls vor so einem wichtigen Spiel. „Aber das wird sich ändern“, meint Bernd und glaubt an eine „fantastische Stimmung“ und an einen Sieg seiner Mannschaft.

Überhaupt ist der Optimismus groß. „Die Jungs stecken das weg“, glaubt auch Martin. „Die spielen für den Bartra“ – den beim Anschlag verletzten Spieler des BVB. Sein Begleiter Frank will „noch schnell einen Schal kaufen“, denn der werde „eine Rarität“, weil er das falsche Spieldatum trägt. Noch unbesorgter als die deutschen Fans feiern die französischen – zumindest, wenn sie noch einen Tag länger bleiben können als geplant. „Alles tolle Leute hier“, sagt etwa Dominique und schwärmt vom Dortmunder Bier. „Très bon“ – sehr gut. Beunruhigt sind er und sein Kumpel nicht. „In Frankreich haben wir schon Schlimmeres erlebt“, sagen sie.

Am späten Nachmittag streben die Fans von allen Seiten zum Stadion. Als das BVB-Team kurz nach halb sechs
mit dem zweiten Bus des Vereins vorfährt, gibt es Applaus. Auch die Polizei ist erleichtert: „Herzlich willkommen“, sagen die Beamten, als die Sportler aussteigen.