Washington.

Er wollte ein Ausrufezeichen setzen und hat jede Menge Fragezeichen produziert. Nach dem Bombenangriff auf eine Luftwaffenbasis des syrischen Diktators Baschar al-Assad ist das parteiübergreifende Lob für Donald Trump in Amerika bereits verflogen. Stattdessen gerät der Präsident in Erklärungsnot. War sein Befehl ein einmaliger Akt; ausgelöst durch die emotionale Wucht der Bilder von Giftgasopfern im Kindesalter? Oder sind die abgefeuerten 59 Marschflugkörper Vorboten für einen außenpolitischen Strategiewechsel, der die von Trump versprochene militärische Zurückhaltung beendet und die USA in die Rolle des Weltpolizisten zurückbringt?

Weder Trump noch sein Kabinett haben bisher den Versuch unternommen, die Abkehr der im Wahlkampf verkündeten „America first“-Strategie zu erklären und die Folgen zu beschreiben. Dabei sind sich US-Beobachter in Politik, Medien und Wissenschaft weitgehend einig, dass Trump mit dem eng begrenzten Angriff weder bei Assad noch den ihn stützenden Mächten Iran und Russland „eine Verhaltensänderung herbeigebombt hat“.

Vorfestlegungen sind demUS-Präsidenten suspekt

Stellvertretend sagt der konservative Politikwissenschaftler Walter Russell Mead: „Herr Trump hat seinen ersten Test bestanden, aber viel schwierigere kommen erst noch.“ Der naheliegendste: Wie reagiert der US-Präsident, wenn Assad wieder zu Chemiewaffen greift oder den Krieg gegen das eigene Volk einfach mit konventionellen Waffen intensiviert? Nichteinmischung, sagen Republikaner im Kongress, würde den Bombenangriff vom vergangenen Donnerstag als „politische Aktionskunst entwerten“. Militärisch noch stärker zu antworten, berge hingegen die Gefahr, dass Amerika „in die Eskalationsspirale des Bürgerkriegs gezogen wird“.

Trump bleibt aber seinem Motto treu: „Ich will unberechenbar und flexibel bleiben.“ Vorfestlegungen oder die Definition eines Ziels sind ihm suspekt. Wolkig darum die Äußerungen seines Spitzenpersonals. Als UN-Botschafterin Nikki Haley gestern gefragt wurde, was Assad bei Zuwiderhandlung droht, flüchtete sie sich in Allgemeinplätze: „Wir sind bereit, mehr zu tun.“ Was? Wann? Warum? Wie? Kein Kommentar. Mit widersprüchlichen Signalen die Öffentlichkeit wie auch die ausländischen Partner (und Gegner) zu bedienen, darf nicht zur „Dauereinrichtung“ werden, kommentierten US-Medien. Zu groß sei das Risiko eines folgenschweren Missverständnisses.

Beispiel Nordkorea: Aus der Verlegung des Marineverbands um den Flugzeugträger „USS Carl Vinson“ vor die koreanische Halbinsel wurde am Sonntag bereits die nächste Stufe einer Militarisierung herausgelesen. Das Atomprogramm des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un macht Anrainern wie Amerikanern zunehmend Sorgen. Nach dem Syrien-Angriff von Trump ließ Pjöngjang rhetorisch die Muskeln spielen und bezeichnete Washington als Aggressor. Trumps Antwort: eine Machtdemonstration der Navy. Aber viel mehr auch nicht. Zum einen wurde die schwimmende Kriegsplattform bereits Anfang Januar aus dem Heimathafen San Diego in Richtung Asien in Marsch gesetzt, um gemeinsam mit Japan und Südkorea verstärkt Manöver durchzuführen. Zum anderen haben sich Trump und Chinas Präsident Xi Jinping bei ihrem Kennenlernen am Freitag in Mar-a-Largo darauf verständigt, den Atomkonflikt mit Nordkorea gemeinsam nach Möglichkeit auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Pjöngjang soll „mit friedlichen Mitteln“ davon überzeugt werden, dass es besser sei, dass Atomprogramm einzustellen, so Regierungssprecher Spicer. Aber die Optik ist klar: Trump zeigt Nordkorea mit seinen Kriegsschiffen die gelbe Karte.

Für James Rubin, Vizeaußenminister in der Regierung Bill Clinton, sind diese Nadelstiche zwiespältig – solange ein Konzept fehlt. Der erfahrene Diplomat sieht in der Handhabung der Causa Syrien in den vergangenen 96 Stunden ein gutes Beispiel, warum Trumps Regierungshandeln wankelmütig und risikoreich ist. Seine von vielen geteilte These: Mit Rex Tillerson (Auswärtiges) und Nikki Haley (Vereinte Nationen) haben ausgerechnet die sichtbarsten Top-Vertreter der amerikanischen Außenpolitik Assad indirekt zu den Giftgasattacken von Chan Scheichun animiert. Wie? Tillerson wie Haley plädierten vor nicht einmal einer Woche dafür, die Realitäten in Syrien anzuerkennen (sprich: Assad ist und bleibt Präsident). Sie ließen verlauten, dass Amerika nicht an seinem Stuhl rütteln und sich ganz auf die Bekämpfung des Terrornetzwerks „Islamischer Staat“ (IS) beschränken wird.

Nach dem Giftgasanschlag mit fast 90 Toten, den Washington definitiv Assad ankreidet, vollzogen sowohl der ehemalige Ölmanager als auch die frühere Regionalpolitikerin abrupte Positionswechsel. Es seien Schritte eingeleitet worden, die Assads Präsidentschaft beenden werden, erklärte Tillerson unmittelbar vor dem Abschuss der Marschflugkörper auf die Luftwaffenbasis Al-Schayrat. Haley sagte, dass es mit Assad definitiv keinen Frieden in Syrien geben kann. Also doch „regime change“, doch der von außen herbeigeführte Wechsel an der Spitze des Bürgerkriegslandes?

Kehrtwende könnte vor allem innenpolitisch motiviert sein

Niemand in der Regierung Trump gibt dazu eindeutig Auskunft. Trump scheint den Schwebezustand zu wollen. Tillerson und Haley für die Außendarstellung, aus der sich jeder das herauspicken kann, was er hören will. Hinter der Fassade die Profis: Verteidigungsminister James Mattis, der Trumps uneingeschränkten Respekt genießt, und der aus dem Machtkampf mit dem in Ungnade gefallene Einflüsterer Stephen Bannon als klarer Sieger hervorgegangene Nationale Sicherheitsberater Herbert Raymond McMaster. Was die Generäle denken und planen, welche Szenarien sie dem Präsidenten kurzfristig für Syrien und Nordkorea vorschlagen, entzieht sich jedoch der öffentlichen Bewertung.

Auch darum eine Spekulation, die gestern in Washington die Runde machte: Trumps Kehrtwende in Syrien könnte vor allem eine innenpolitisch motivierte Momentaufnahme gewesen sein. Der Präsident fiel zuletzt in Umfragen auf historische Tiefstände. Seine Regierungsagenda (Einreisebann, Gesundheitsreform etc.) ist von Flops geprägt. Der Luftschlag in Syrien „hat Trump über Nacht in den grünen Bereich gebracht und nebenbei die Spekulation um seine bereits erkaltete Russland-Putin-Liebe vollends beerdigt“, sagte ein Analyst der Denkfabrik Cato. Über die Frage, was danach kommt, wie man in Syrien eine weitere Eskalation verhindert, mache sich Donald Trump dann Gedanken, „wenn es so weit ist“.