Hamburg. Außenminister Sigmar Gabriel fordert in einer Rede vor dem Ostasiatischen Verein in Hamburg einen neuen Blick Europas auf Asien

Gestern Abend war Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) zu Gast beim 97. Liebesmahl des Ostasiatischen Vereins. Er forderte dabei eine Neuausrichtung der deutschen Asienpolitik. Wir dokumentieren die Rede des Ministers in Auszügen:

„Wenn wir nach Asien schauen, tut sich eine Welt der Superlative auf. Asien ist die Heimat der weltgrößten Wirtschaften, der am schnellsten wachsenden Märkte. In Asien leben 4,5 Milliarden Menschen. Damit ist Asien die bevölkerungsreichste Region der Welt. In Asien wird die Hälfte aller Güter, die weltweit verschifft werden, be- oder entladen. Neun der zehn größten Containerhäfen liegen in Asien. Erst in den Top 20 tauchen europäische Häfen auf – Hamburg ist natürlich mit dabei.

Diese Zahlen sind eindrücklich. Und sie sind Ausdruck dessen, dass eine Neuvermessung der Welt im Gange ist. Das wirtschaftliche Gravitätszentrum verlagert sich nach Asien. Aber die Zahlen dürfen uns nicht dazu verleiten, ein vereinfachtes Bild dieser Region zu zeichnen. Sie, meine Damen und Herren, als Asienkenner wissen es: Die asiatisch-pazifischen Region ist eben nicht homogen. Sondern voller Dynamik und Diversität. Das macht sie aus (...).

Meine Damen und Herren, unser Blick auf Asien muss geschärft und verfeinert werden, damit wir diese Komplexität und Vielfalt besser erkennen und verstehen. Dafür müssen wir an einigen Stellen gründlich nachjustieren, uns von einigen der vertrauten Asienbilder verabschieden. Das gilt ganz sicher auf der wirtschaftlichen Ebene.

Über Jahrzehnte hinweg haben wir Asien, allen voran China, als Absatzmarkt für unsere Waren verstanden, als preiswerte Produktionsstätten. Das ist nicht grundlegend verkehrt – Volkswagen verkauft zum Beispiel mittlerweile 40 Prozent seiner Autos allein in China. Aber China ist längst auf dem Weg zum Technologieexporteur. Andere asiatische Staaten ebenso. Sie sind Partner und eben auch Wettbewerber. Das gilt auch auf der politischen Ebene. Lange Zeit haben wir besonders stark auf China geschaut – ohne Frage ein zentraler Akteur.

Aber auch hier gilt: Wir müssen uns der großen Bandbreite in Asien stärker bewusst werden und sie in unsere Politik einbinden. Denn in Asien liegt auch: die größte Demokratie der Welt, nämlich Indien; die größte muslimische Demokratie der Welt, Indonesien. In der Asien-Pazifik-Region werden wir Zeugen von Aufbrüchen in Richtung Demokratie, aber auch von fragilen Transitionsprozessen und manchmal auch Rückschritten (...).

„Wir wollen uns einbringen, mitgestalten“

Für uns bedeutet das: Asien ist eine Schlüsselregion für unsere Zukunft hier in Europa. Denn die Wege zur Lösung unserer globalen Herausforderungen verlaufen durch Asien. Deshalb, meine Damen und Herren, bin ich überzeugt: Wir brauchen eine strategische Neuorientierung unserer Asienpolitik. Denn wir wollen und können den Entwicklungen in Asien nicht zusehen und uns einfach darauf verlassen, dass wir – wie schon so lange in der Vergangenheit – automatisch davon profitieren werden. Das ist keine Politik! Wir wollen uns einbringen, mitgestalten und es nicht den anderen überlassen, wie sich das beginnende asiatische Jahrhundert entwickelt.

Diese notwendige Neuorientierung kann angesichts der eben skizzierten Dynamiken, Unwägbarkeiten und Vielschichtigkeiten Asiens kein starres Korsett sein. Sie muss flexibel sein. Und dennoch entlang klarer Orientierungslinien geschehen – basierend auf unseren Interessen und auf unseren Werten (...).

Meine Damen und Herren, regelbasierter Handel, friedlicher Interessensausgleich, Stärkung regionaler Integration, mehr asiatische globale Verantwortung und ein Eintreten für universelle Werte – das sind die Leitmotive einer Neuausrichtung einer deutschen, einer europäischen Asienpolitik.“