London.

Jenny Bremerich ist seit sieben Monaten in London. Die 20-jährige Deutsche wollte weg aus ihrer Heimat, einer Kleinstadt bei Dortmund. Jetzt lebt sie mitten in der britischen Hauptstadt, im Stadtteil Battersea, und betreut als Au-Pair die drei kleinen Kinder ihrer Gasteltern. Fünf, acht und neun Jahre sind sie alt. Am Wochenende sitzt die Deutsche mit ihrer besten Freundin oft in der Nähe eines der Wahrzeichen der Stadt, im Schatten von Big Ben, dem Glockenturm des britischen Parlaments. Das berühmte Läuten, die Themse, das Riesenrad auf der anderen Flussseite und die roten Doppeldeckerbusse – mehr London-Feeling geht eigentlich nicht.

Am Donnerstag sind die beiden Deutschen wieder an ihren Lieblingsplatz gekommen, aber alles ist anders. Das alte London-Gefühl ist weg. Es ist keine 24 Stunden her, dass der Attentäter Khalid Masood an dieser Stelle der Stadt vier Menschen umgebracht hat. Jenny hat für vier Pfund einen Strauß gelber Rosen gekauft und ihn auf einen Mauervorsprung in der Nähe des Tatorts gelegt. Direkt neben einen Zettel mit dem Spruch: „Wir haben keine Angst.“

Jenny Bremerich findet, das passt zu dem Gefühl, das sie trotz des Anschlags hat. Und ihre Freundin Charlotte Lenuweit sagt nur einen Satz: „Ich bin in Ansbach geboren.“ Dann macht sie eine Pause. Auch der Name der bayerischen Kleinstadt steht für einen Terroranschlag, wie er inzwischen fast überall passieren kann. Einige von Charlottes besten Freunden waren auf dem Konzert in Ansbach, vor dessen Eingang im Juli 2016 eine Bombe explodierte. „Ich weiß schon, wie sich das anfühlt, nirgendwo richtig sicher zu sein“, sagt Charlotte.

Keine Angst haben. Das Leben geht weiter. Das ist es, was die Londoner, aber auch die Touristen rund um den noch immer abgesperrten Big Ben berichten. Sie sagen den Satz, der millionenfach auf Souvenirs gedruckt wird: „Keep calm and carry on.“ Soll heißen: Ruhe bewahren, weitermachen. Tatsächlich laufen die Londoner nicht plötzlich langsamer oder bleiben auf den Rolltreppen in den U-Bahn-Stationen stehen. Und doch ist natürlich einiges anders an diesem Tag. Überall steht Polizei in gelben Signaluniformen. Dort, wo eine Fahne hängt, ist sie auf Halbmast gesetzt. Und alle Passanten müssen lauter reden, weil über dem Regierungsviertel den ganzen Tag Helikopter kreisen.

Einer dieser Londoner, die einfach weitermachen, ist John C. Seinen ganzen Namen will er nicht nennen, weil er für die britische Regierung arbeitet. Heute hat er frei, wie viele Mitarbeiter in der Gegend um den Tatort. John, 38 Jahre alt und mit Hund Toni unterwegs, fühlt sich noch immer sicher. Er weiß auch noch, wie schlimm das Londoner Attentat auf die Busse und U-Bahn vor zwölf Jahren war. „Damals war ich neu in der Stadt“, sagt er. „Mich hat gewundert, wie die Leute hier einfach weitermachen.“ Heute geht es ihm selbst so. Bisher wisse man ja auch nur, wie der Täter heiße und dass er einen britischen Pass habe. Trotzdem geht John der Anschlag nahe und zwar nicht nur, weil er in seiner Stadt geschehen ist. „Ich empfinde nicht nur Mitleid mit den Opfern, weil sie wenige 100 Meter von hier gestorben sind.“ Die Opfer ähnlicher Anschläge in Paris, Brüssel, Nizza und Berlin gingen ihm genauso nahe.

Ob Touristen, Regierungsmitarbeiter oder Anwohner, sie wissen, dass sie alle das Ziel dieses Terrorattentats waren. Der „Guardian“ fasst es auf dem Titel zusammen: „Westminster ist nicht mehr nur der Name des Regierungsviertels, es steht jetzt für ein Attentat.“

Nur Mike und Lisa Porter, ein Pärchen aus Manchester, wirkt etwas unsicher, als sie in der Innenstadt herumlaufen. Sie sagen, ihnen sei der Urlaub grundlegend verdorben worden. „Ich bin gestern 50 Jahre alt geworden“, sagt Mike. „Wir wollten das feiern mit einem Spaziergang durch London.“ Den haben sie dann abgesagt und statt Glückwünschen nur sorgenvolle Anrufe aus der Heimat beantwortet. Um ein Haar wären sie unter den Opfern gewesen. Sie haben fast alles über das Attentat gelesen. Sie wissen, dass eine Frau in Panik von der Westminster Bridge in die Themse sprang. Oder dass der Wagen des Attentäters in eine französische Schulklasse hineinfuhr. Mikes Frau Lisa sagt nur einen Satz: „Ich glaube nicht, dass irgendjemand sich irgendwo in Europa noch sicher fühlen kann.“

Am Donnerstagnachmittag dann wird die Westminster-Brücke wieder für den Verkehr freigegeben, die roten Busse stauen sich wie immer. Im nahen St.-Thomas-Hospital, wo die meisten Verletzten des Attentats liegen, hat sich die Lage beruhigt. Jeder Polizist, so steht es auf einem Schild am Eingang, bekommt hier einen Kaffee kostenlos. Die Stadt hält zusammen – das soll vor allem am Abend deutlich werden, als sich Tausende am Trafalgar Square zu einer Gedenkfeier versammeln wollen.

Die beiden deutschen Au-Pair-Mädchen Jenny und Charlotte wollen da nicht hingehen. Sie müssen auf die Kinder aufpassen. Das Leben muss weitergehen. Bald werden sie vielleicht wieder am Big Ben sitzen und London genießen. Sie wollen zwei Jahre bleiben, sagen sie. Trotz allem.