London.

Es ist ein Duell der starken Frauen. Die eine sieht aus, als käme sie gerade vom königlichen Pferderennen in Ascot – elegantes Kostüm, Hut und gelegentlich schon mal Schuhe mit Leopardenmuster. Die andere trägt eher einen rustikalen Chic. Die britische Premierministerin Theresa May kämpft für die Einheit Großbritanniens und die Abspaltung von der EU. Die Ministerpräsidentin der schottischen Regionalregierung, Nicola Sturgeon, streitet für die Unabhängigkeit des nördlichen Drittels der Insel und die Anbindung an die EU. Der Konflikt könnte das Vereinigte Königreich am Ende zu einem Klein-Britannien schrumpfen lassen.

Die beiden gehen mit kühlem Kopf ans Werk. Es dreht sich um Taktik, Winkelzüge und die Mobilisierung der öffentlichen Meinung zum richtigen Zeitpunkt. Beobachter vergleichen die politische Schlacht bereits mit dem archaischen Zweikampf zwischen der schottischen Königin Maria Stuart und der englischen Königin Elisabeth I. im 16. Jahrhundert. An dessen Ende wurde Maria Stuart auf Geheiß von Elisabeth hingerichtet.

Im Moment scheint es, dass Theresa May die Oberhand hat. Die Premierministerin verfügt nun über die Vollmacht, den britischen Austritt aus der Europäischen Union einzuleiten. Das Oberhaus hat ein entsprechendes Gesetz ohne jede Änderung passieren lassen. Zuvor hatte die Adelskammer noch versucht, Änderungen durchzuboxen: die Garantie der Rechte der EU-Bürger im Land sowie ein Mitspracherecht des Parlaments bei den Brexit-Verhandlungen. Doch nachdem das Unterhaus diese Änderungen abgelehnt hatte, lenkten die Lords ein: Sie akzeptierten, dass man sich als ungewählte Kammer nicht gegen den Willen der Volksvertreter stellen kann. Genau das, was May wollte. Ohne Gesetzeszusätze hat sie eine freie Hand bei den kommenden Verhandlungen mit den EU-Partnern.

Allerdings hält Nicola Sturgeon dagegen. Sie hat mit ihrer Ankündigung, ein neues Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands ansetzen zu wollen, einen politischen Sturm ausgelöst. Ein von May gewollter harter Brexit mache es unumgänglich, dass Schottland selbst über seine Zukunft entscheiden müsse. Immerhin hatten fast zwei Drittel der Schotten gegen den Brexit gestimmt. Sturgeon will ihr Fürsprecher sein und profiliert sich jetzt als die große Gegenspielerin von May. Angesichts einer Labour-Partei, die hoffnungslos zerstritten und ist und kaum eine Rolle spielt, wird Sturgeon zum
Gesicht der Brexit-Opposition. Die Powerfrau aus dem Norden stellt sich gegen die Powerfrau in London. Ein Tweet der Schottin am Dienstagmorgen brachte es auf den Punkt: „Ich bin zur Ersten Ministerin mit einem klaren Mandat für ein Unabhängigkeitsreferendum gewählt worden“, erklärte Sturgeon. „Die Premierministerin ist bisher von niemandem gewählt worden.“

Da hat sie recht. May kam durch Akklamation ins Amt, nachdem alle anderen Kandidaten im Rennen um den Parteivorsitz ausgeschieden waren. Für ihren kompromisslosen Kurs in Sachen Brexit, der auf einen Abschied vom Binnenmarkt und den Austritt aus der Zollunion abzielt, hat die Premierministerin kein Mandat. Sie beruft sich immer wieder auf die Referendumsentscheidung der Briten, aber die bedeutete lediglich einen Austritt aus der EU. Man habe nicht für einen Wirtschaftsschock gestimmt, argumentiert Sturgeon. Sie drängt May, zumindest Schottland im Binnenmarkt zu belassen. Bisher vergeblich. Es sieht nicht danach aus, dass die Premierministerin ihre Meinung ändern wird. Das machte Theresa May am Dienstag mit einer Erklärung im Unterhaus deutlich. Das Brexit-Gesetz stelle einen entscheidenden Moment dar, sagte sie. Aus den Verhandlungen werde „ein starkes, autonomes und globales Großbritannien hervorgehen.“ Damit bleibt es wohl beim harten Brexit, so sehr sich Sturgeon oder andere Oppositionspolitiker dagegen sträuben mögen. Allerdings dürfte Sturgeon ihrer Gegenspielerin zumindest bei der Terminplanung Schwierigkeiten gemacht haben. Ursprünglich war eine Erklärung von May, den Artikel 50 auslösen zu wollen, für den gestrigen Dienstag geplant gewesen. Sturgeon hatte jedoch tags zuvor mit dem Paukenschlag des angekündigten Referendums May den Wind aus den Segeln genommen. Jetzt wird die Premierministerin noch eine Weile warten müssen. Die offizielle Ankündigung des Austrittswunsches wird erst für die Zeit nach dem 25. März, wenn die EU in Rom ihren 60. Geburtstag feiert, erwartet.

Um rechtlich bindend zu sein, muss das schottische Unabhängigkeitsreferendum vom britischen Parlament erlaubt werden. Zwar wird sich May kaum grundsätzlich dagegen stemmen können, aber sie hat ihre eigenen Terminvorstellungen. Sturgeon möchte die Volksabstimmung schon ab Herbst nächsten Jahres abhalten. Für May ist das viel zu früh. Sie will die Befragung erst nach dem erfolgten Brexit zulassen. Über die nächsten Wochen dürfte es bei diesem Thema ein spannendes Pokerspiel geben.

Als Sturgeon 2014 zur Parteivorsitzenden der „Scottish National Party“ (SNP) gewählt wurde, hatte sie die konservative Presse in England zur „gefährlichsten Frau Großbritanniens“ ausgerufen. Tatsächlich erwies sich die nur 163 Zentimeter kleine Schottin schnell als taktisch versierte und strategisch gewitzte Politikerin. Sie wird weiterhin unangenehme Fragen stellen. Im Kampf der Powerfrauen geht es für May um nichts weniger als ihre historische Rolle. Sollte Sturgeon das Unabhängigkeitsreferendum gewinnen, wird May als diejenige Premierministerin in die Geschichtsbücher eingehen, die Schottland verloren und aus Großbritannien ein Klein-England gemacht hat. Es wäre so etwas wie Maria Stuarts Rache.