Berlin.

Cem Özdemir trägt einen dunkelblauen Anzug. Und sagt: „Umwelt können wir am besten, da macht uns keiner was vor.“ Katrin Göring-Eckardt trägt einen hellroten Hosenanzug mit Sneakern von „New Balance“. Und sagt: „Ohne Grün ist alles nichts.“ Neben ihnen stehen junge Menschen, die vor Kurzem der Partei beigetreten sind. Hinter ihnen auf einer Leinwand groß der Titel des Wahlprogramms: „Zukunft wird aus Mut gemacht.“

Das Café Tor Eins im Park am Gleisdreieck – hier ist es so locker, hip, Kreuzberg. So wollen auch die Spitzenkandidaten der Öko-Partei wirken, die hier das Wahlprogramm vorstellen. Einen „neuen Sound“ haben sie versprochen. Das klingt, als wolle eine erfolgreiche Band sich in einem neuen Album noch mal selbst übertreffen. Doch der Titel des Wahlprogramms erinnert an „Liebe wird aus Mut gemacht“, einer Zeile aus Nenas „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“. Die erste Assoziation mit dem Programm für die Wahl 2017 ist also ein Ohrwurm, der mehr als 30 Jahre alt ist. Zurück in die Zukunft bei den Grünen – reicht das, um die Partei aus der Krise zu holen?

Den Grünen geht es nicht gut. Es geht ihnen sogar ziemlich schlecht. Die Partei wirkt nicht frisch und frech, sondern verunsichert und gelähmt. Der Hype um den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz hat die Sonnenblumen-Partei unvorbereitet getroffen. Vor ein paar Monaten sah es noch so aus, als würden die Grünen bei der Bundestagswahl im September locker ein zweistelliges Ergebnis einfahren. Jetzt nimmt Schulz ihnen die Wähler weg. In den Umfragen liegen sie zwischen 6,5 und acht Prozent. Die Grünen nähern sich der Fünf-Prozent-Hürde. Dabei wollten sie nach der Urwahl, aus der Göring-Eckardt und Özdemir als Spitzenkandidaten hervorgingen, durchstarten – und bei der Wahl ein deutlich zweistelliges Ergebnis holen.

Göring-Eckardt sagt oft das Schulz-Wort „Gerechtigkeit“

Das vorläufige Wahlprogramm, das im Juni vom Parteitag beschlossen werden soll, ist in vier Kapitel unterteilt: „Umwelt im Kopf“, „Welt im Blick“, „Freiheit im Herzen“ und „Gerechtigkeit im Sinn“. Unter diesen Titeln, die auch aus einem Lifestyle-Magazin stammen könnten, werden diese Ziele formuliert: ein schneller Kohleausstieg, das Ende des Verbrennungsmotors im Jahr 2030, eine Vermögenssteuer für Superreiche, mehr Geld für Alleinerziehende, Förderung von Familien, Abschaffung der industriellen Massentierhaltung und die Schaffung eines Integrationsministeriums. Die Grünen stehen Zuwanderung und Asylbewerbern so offen gegenüber wie keine andere Partei. „Wir wollen die Fluchtursachen bekämpfen, nicht die Flüchtlinge“, sagt Göring-Eckardt.

So weit, so bekannt. Keine einzige Überraschung dabei. Erwartbar auch, dass die Grünen sich auf ihr Kernthema Umwelt konzentrieren. Das Wahlprogramm ist eher vage gehalten. Eine Lehre aus dem Wahlkampf 2013, als Verbotsideen („Veggie-Day“) und ein bis aufs Komma ausgerechnetes Steuerkonzept die Partei lähmte – und am Ende nur 8,4 Prozent einbrachte.

Erkennbar ist jetzt die Arbeitsteilung des Spitzenduos. Özdemir eher bürgerlich, Göring-Eckardt eher links. Sie nimmt auffallend oft das Schulz-Wort „Gerechtigkeit“ in den Mund. Doch den beiden fehlt, was Schulz hat: Siegesgewissheit. Göring-Eckardt wirkt müde. Özdemir spricht dagegen kämpferisch. Doch beide wirken verunsichert. Ob das reicht, um die Wähler zu überzeugen? Oder die Grünen so zu berauschen wie Schulz die SPD? So heiß aufs Regieren wie der Mann aus Würselen wirkt Özdemir jedenfalls nicht.

Hinzu kommt ein strategisches Problem: Grün ist eine Wundertüte. Die Partei geht ohne Koalitionsaussage ins Rennen. Wer die FDP wählt, bekommt Merkel als Kanzlerin, wer für die Linke stimmt im Zweifel Schulz. Die Grünen jedoch bekennen sich nicht zu Schwarz-Grün oder Rot-Rot-Grün, sondern halten an ihrer Strategie der Eigenständigkeit fest. Immer wieder heißt es bei den Grünen: Wer keine Lust mehr auf die große Koalition hat, muss für uns stimmen. Doch kommt so eine komplizierte Überlegung am Ende beim Wähler an?

Gefährlich wird es für die Grünen auch, wenn sich am Ende des Wahlkampfs alles auf die Frage Angela Merkel oder Martin Schulz verengt – Bundestagswahlen sind auch immer Kanzlerwahlen. Kleine Parteien werden da schon mal an den Rand gedrängt. Und so ist ein bisschen Abrücken von der Eigenständigkeit erkennbar: Die Grünen betonen verstärkt ihre Verbundenheit mit der SPD. „Das ist einfach in der DNA der Parteien drin“, sagt etwa Özdemir. Doch in den Umfragen ist Rot-Grün weit von einer Mehrheit entfernt.

Also versucht Cem Özdemir, es sportlich zu nehmen. „Wenn man beim Fußball zurückliegt, muss man sich zurückkämpfen“, sagt er. Da hat er Recht: Für die Grünen wird es ein hartes Jahr. Doch jeder Politiker weiß auch: Eine Stimmung zu drehen ist verdammt schwierig.