Berlin.

Es ist 16.00 Uhr an einer Grundschule: Die Kinder der ersten und zweiten Klasse werden aus dem Hort abgeholt. Vor allem Mütter und Omas sammeln Kinder und Enkel ein, suchen Turnbeutel, sprechen mit den Erziehern. Nur vereinzelt gibt es Väter, die sich um diese Uhrzeit ebenfalls um den Nachwuchs kümmern.

Diese Alltagsbeobachtung ist nun wissenschaftlich gedeckt: Frauen leisten täglich 52 Prozent mehr unbezahlte Tätigkeit für andere Menschen als Männer, also mehr Erziehung von Kindern, mehr Pflege von Angehörigen, mehr Hausarbeit und mehr Ehrenämter.

In konkrete Zeitangaben umgerechnet liest sich das so: Frauen wenden täglich vier Stunden und 13 Minuten für die Sorgearbeit auf, Männer zwei Stunden und 46 Minuten. Ein Unterschied von 87 Minuten pro Tag. Ein einprägsames Ergebnis des zweiten Gleichstellungsberichts der Bundesregierung, den Bundesfrauenministerin Manuela Schwesig (SPD) am Dienstag präsentierte. Die neue Kennzahl, etwas sperrig Sorgearbeitslücke oder Gender Care Gap genannt, liegt danach bei 52,4 Prozent zu Lasten der Frauen.

„Die Verwirklichungschance hängt nach wie vor stark vom Geschlecht ab. Wir müssen dafür sorgen, dass die Care-Arbeit nicht zum großen Teil allein von Frauen erbracht wird“, betont Schwesig, selbst zweifache Mutter.

Was folgert man aus so einer Zahl? Nach Ansicht der Sachverständigen zeigen diese Berechnungen, dass das Ziel der Gleichstellung von Männern und Frauen in Deutschland noch lange nicht erreicht ist. Die Zahlen belegten, dass Frauen pro Stunde und somit auch über den Lebensverlauf hinweg weniger Einkommen erzielen als Männer – eben weil sie so viel mehr unbezahlte Arbeit leisten, die der gesamten Gesellschaft zugutekommt.

Aktuelle Daten des Statistischen Bundesamtes untermauern diese Gedanken: Danach hatten im Jahr 2015 rund 83 Prozent der Väter in einer Familie mit Kindern unter drei Jahren eine Vollzeitbeschäftigung. Doch nur zehn Prozent der Mütter verfügten über einen Vollzeitvertrag.

Das Gutachten durchzieht der rote Faden, dass die Arbeit in einem Beruf zum Gelderwerb und die Sorgearbeit, also die in Familie und Haushalt, besser verknüpft werden müssen, wenn Gleichstellung tatsächlich erreicht werden soll. „Alle Menschen sollen jederzeit und unabhängig von ihrem Geschlecht die Möglichkeit haben, private Sorgearbeit zusammen mit Erwerbsarbeit zu leben. Professionelle Sorgearbeit muss aufgewertet, besser anerkannt und entlohnt werden“, betont etwa die Vorsitzende der Sachverständigenkommission, Eva Kocher.

Als wichtige Schritte zu Reduzierung dieser „Sorgearbeitslücke“ nannte Schwesig unter anderem die von der großen Koalition noch nicht umgesetzten Vorhaben des Pflegeberufsgesetzes, des Gesetzes für mehr Lohngerechtigkeit und das geplante Familiengeld. Notwendig sei auch mehr Ganztagsbetreuung für Kleinkinder und Grundschüler. Die SPD-Ministerin sieht hier vor allem Versäumnisse der Union.

Opposition kritisiert die Gleichstellungspolitik

Die gemeinsam von ihr und Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) vorgelegte Reform der Pflegeberufe etwa hinge seit einem Jahr im Bundestag und werde von der CDU/CSU blockiert. Darin ist vorgesehen, künftig Altenpflege und Krankenpflege gleichzustellen und gleich zu bezahlen. Dies würde eine Aufwertung der Altenpflege bedeuten, in der besonders viele Frauen tätig sind.

Die Opposition hält die Schwesig-Ideen für unzureichend. Die grüne Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt fordert von der Bundesregierung einen „großen Wurf für gerechte Verhältnisse“ zwischen Männern und Frauen. „Die große Koalition backt beim Thema Gleichstellungspolitik nur kleine Brötchen“, sagt Göring-Eckardt dieser Zeitung. „Die Maßnahmen greifen zu kurz, die Gerechtigkeit bleibt auf der Strecke.“ Die grüne Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl kritisiert etwa, dass die Frauenquote nur für 101 Unternehmen gelte. Andere Baustellen, wie das Ehegattensplitting, Mitversicherung oder Minijobs blieben gänzlich unberührt, so Göring-Eckardt.

Ein Antrag der Grünen, der dieser Zeitung vorliegt, fordert von der Bundesregierung unter anderem „die Hürden für die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen abzubauen“ und „die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer zu erleichtern“. Über den Antrag wird am Donnerstag im Bundestag debattiert und abgestimmt.