Berlin.

Sie reden nicht miteinander. Bloß übereinander. Über die Medien. „So kann es nicht weitergehen“, sagt der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu. Da stimmt sein deutscher Kollege Sigmar Gabriel (SPD) mit ihm überein. Schon am nächsten Mittwoch will er Cavusoglu treffen. Es ist ein Schritt zur Deeskalation. Ein Plan B ist in Berlin nicht erkennbar, wohl aber: viel Ratlosigkeit.

Mit der Inhaftierung des Journalisten Deniz Yücel hatte die Woche begonnen. Es folgten Auftrittsverbote in Köln und Gaggenau für türkische Minister. Justizminister Bekir Bozdag tritt erbost die Rückreise an und lässt ein Gespräch mit seinem deutschen Kollegen Heiko Maas (SPD) platzen. Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci, in Köln unerwünscht, will es am Wochenende in Frechen und Leverkusen versuchen und für das Referendum über eine Verfassungsänderung in der Türkei werben. In Frechen aber stellt der Betreiber die vorgesehene Halle nicht zur Verfügung. In Gaggenau gab es eine Bombendrohung, das Rathaus musste geräumt werden. Nun endet die Woche am Freitagabend mit der Behauptung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, Yücel sei ein „deutscher Agent“. „Als ein Vertreter der PKK, als ein deutscher Agent hat sich diese Person einen Monat lang im deutschen Konsulat versteckt“, sagt Erdogan nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Erdogan kritisiert zudem, dass geplante Wahlkampfauftritte von türkischen Ministern untersagt worden seien. Über die Verantwortlichen sagt er: „Man sollte sie wegen Beihilfe zum Terrorismus verklagen.“

Mit jedem weiteren Tag wird der Fall Yücel schwieriger

Die Verbote in Köln und Gaggenau wurden zuvor mit Sicherheitsbedenken aufgrund des Besucherandrangs begründet. Die Entscheidung liege „auf der kommunalen Ebene und nicht bei der Bundesregierung“, sagt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag am Rande eines Besuchs in Tunesien. Merkel lässt offen, ob ihr das Ergebnis gefällt, und wäscht ihre Hände in Unschuld. Das Bestreben ihrer Regierung ist es, beide Sachverhalte – Yücels Haft und die Redeauftritte in Deutschland – sauber zu trennen.

In der Türkei schlagen die Wellen hoch. In Ankara wird die Absage als grobe Unhöflichkeit empfunden. Bozdag spricht von einem „faschistischen Vorgehen“. Außenminister Cavusoglu sagt: „Wenn Sie mit uns arbeiten wollen, müssen Sie lernen, wie Sie sich uns gegenüber zu benehmen haben.“ Die vorläufige Bilanz dieser Woche: Das Verhältnis ist angespannt, in Ankara wird der deutsche Botschafter Martin Erdmann einbestellt. Auf die Bitte, Yücel konsularisch betreuen zu dürfen – so wie jeden der 2500 Deutschen, die im Ausland im Gefängnis sitzen –, gibt es nach Angaben des Auswärtigen Amts bisher gar keine Antwort. Yücel hat auch die türkische Nationalität.

Aus der Sicht der Bundesregierung ist die Untersuchungshaft für den „Welt“-Korrespondenten „unverhältnismäßig“. Sein Fall kann sich lange hinziehen. Erinnerungen an Marco Weiss werden wach. 2008 war der Gymnasiast aus Uelzen 247 Tage lang in der Türkei in Untersuchungshaft, bis der Vorwurf der Vergewaltigung fallen gelassen wurde. Auch damals gab es Kritik aus Deutschland, auch damals verbat sich die Türkei Belehrungen. Heute sagt Minister Cavusoglu: „Die Türkei untersteht Ihnen nicht, Sie sind nicht erste Klasse und die Türkei zweite Klasse“.

In Deutschland ist die Empörung groß. Maas schreibt wegen des Falles Yücel einen Brandbrief an seinen türkischen Amtskollegen. Und Bundespräsident Joachim Gauck wirft im „Spiegel“ sogar die Frage auf, „ob die Türkei überhaupt noch den Anspruch hat, eine Demokratie und ein Rechtsstaat zu sein“.

Die Frage ist nur, welche Reaktionsmittel der Bundesregierung zur Verfügung stehen. Ein Abzug der Bundeswehr aus dem türkischen Incirlik kommt nicht infrage. Damit würde man sich selbst genauso schaden wie der Türkei. Der Einsatz dient dem Kampf gegen die Terrororganisation IS, so das Auswärtige Amt. Über einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen wird diskutiert. Aber der Schritt würde die Türkei kaum noch treffen. Die sogenannte Venedig-Kommission überprüft die geplanten Verfassungsänderungen. Was bisher bekannt ist, lässt eine Rüge der Türkei erwarten. Und schließlich lehnt die Bundesregierung ein Einreiseverbot für türkische Politiker ebenso ab wie Wirtschaftssanktionen. Sie würden speziell die Tourismusindustrie der Türkei treffen.

Derweil ist nicht ausgeschlossen, dass Präsident Recep Tayyip Erdogan in den nächsten Wochen sogar selbst nach Deutschland kommen wird, um für sein Präsidialsystem zu werben. Umfragen in der Türkei lassen ein knappes Ergebnis bei dem Referendum erwarten. Umso wichtiger sind für Erdogan die Stimmen der in Deutschland lebenden Türken. Denn unter ihnen hat er besonders viele Anhänger. Bei der Präsidentenwahl 2014 erhielt Erdogan in Deutschland immerhin fast 69 Prozent der Stimmen, gegenüber 52,2 Prozent im eigenen Land.

Die Türkei hat offiziell um Unterstützung gebeten, damit sich ihre 1,4 Millionen wahlberechtigten Staatsbürger in Deutschland am 16. April am Referendum beteiligen können. Die Türken sollen mit möglichst kurzen Wegen an möglichst vielen Orten zur Wahl gehen können. Das Auswärtige Amt bespricht längst mit den Bundesländern, „in welcher Weise man dem Anliegen nähertreten kann“, im Klartext: unterstützen. Das ist vielen, auch in der großen Koalition, nicht bewusst. „Wir wollen keine türkische Innenpolitik auf deutschem Boden“, sagt CSU-Generalsekretär An­dreas Scheuer der „Welt“. „Feinde der Demokratie wollen unsere Offenheit ausnutzen und für die Einführung der Todesstrafe in der Türkei werben.“

Die Grünen reden von einer „Spirale der Erniedrigung“

Schon die vergangenen Monate waren konfliktträchtig. Da war der Fall Böhmermann, der Spionagevorwurf gegen Ditib-Geistliche, Differenzen über den Umgang mit Putschisten aus der Türkei, die in Deutschland um Asyl bitten. Aus Sicht der Opposition betreibt die Bundesregierung Beschwichtigungspolitik. „Merkel und Gabriel lassen sich von Erdogan mittlerweile täglich am Nasenring durch die Manege führen“, sagt Grünen-Chef Cem Özdemir unserer Zeitung. „Das ist würdelos und muss aufhören.“

Die Regierung will unverändert Yücels Freilassung anmahnen, aber kein Öl ins Feuer gießen. Sie will den EU-Türkei-Flüchtlingsdeal nicht gefährden: Seit einem Jahr fungiert die Türkei – gegen Milliardenzahlungen aus Brüssel – als Auffangbecken. Sie bekämpft Schleuser, nimmt Migranten auf, versorgt sie, fördert deren Integration auf dem Arbeitsmarkt. Der Deal ging auf Merkel zurück. Aus ihrer Sicht ging die Rechnung auf, für die Opposition nicht. „Was mit der Erpressbarkeit durch den Flüchtlingsdeal begann“, sagt Özdemir, „ist zu einer Spirale der Erniedrigung geworden.“