Berlin.

Die SPD kann ihr Glück kaum fassen: Die Umfragen gehen durch die Decke und die Welle von Neueintritten nach der Nominierung von Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten beflügelt die Genossen. Innerhalb der ersten fünf Wochen seit der Benennung von Schulz am 24. Januar habe die SPD über 10.000 Neumitglieder gewonnen, sagte ein Parteisprecher dieser Zeitung.

Mit zuletzt rund 439.000 Mitgliedern ist die SPD jetzt mit deutlichem Vorsprung mitgliederstärkste Partei vor der CDU. Rund 40 Prozent der Neu-Mitglieder sind nach Parteiangaben jünger als 35 Jahre. SPD-Generalsekretärin Katarina Barley sagte dieser Zeitung, der Zuspruch von Neu-Mitgliedern sei für die SPD noch wichtiger als die guten Umfragewerte. „Die vielen Neuen in unserer Partei bringen die SPD im ganzen Land mit Elan und Energie richtig in Schwung.“ Sie sei daher optimistisch, dass es der SPD gelingen werde, bei der Bundestagswahl stärkste politische Kraft in Deutschland zu werden.

Die Union dagegen muss derzeit um ihre Position als stärkste Kraft bangen, auch die kleinen Parteien bekommen den Schulz-Effekt zu spüren: Grüne, Linke und AfD sind in den Umfragen eingeknickt, nur die FDP stemmt sich erfolgreich gegen den neuen Sog Richtung SPD.

Grünen

Der Schulz-Hype hat die Grünen überrascht. Viele Institute sehen die Partei nur noch bei sieben bis acht Prozent – dabei lagen die Umfragewerte vergangenes Jahr meist stabil zwischen elf und 13 Prozent. Nun kehren Wähler aus dem rot-grünen Milieu zur SPD zurück. Ein schlechter Start ins Wahljahr. Und das trotz der langen und aufwendigen Urwahl, aus der Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir als Sieger hervorgingen. Statt im Rampenlicht stehen die Spitzenkandidaten jetzt im Abseits. Das tut weh.

Doch die Grünen halten an ihrem Ziel fest: Das Ergebnis bei der Bundestagswahl soll deutlich zweistellig werden. Sie wollen nach zwölf Jahren Opposition im Bund wieder mitregieren. Auch an der Strategie der Eigenständigkeit – also die Nichtfestlegung auf eine Koalition – soll festgehalten werden. Denkbar sind immer noch eine schwarz-grüne und eine rot-rot-grüne Koalition. Der grüne Bundesgeschäftsführer Michael Kellner will seine Partei wieder mehr in Richtung Sozialdemokratie ausrichten. „Wir haben inhaltlich eine größere Nähe zur SPD als zur Union“, sagte Kellner dieser Zeitung. „Das kann niemanden überraschen.“ Kellner findet es spannend, dass durch Schulz „zum ersten Mal seit Langem wieder eine Regierung ohne Angela Merkel an der Spitze denkbar“ sei.

In den nächsten Wochen wollen die Grünen ihren „Markenkern“ herausarbeiten: Ökologie, Weltoffenheit und Gerechtigkeit. Wobei die Grünen versuchen, die Gerechtigkeit umfassender als die SPD zu definieren, also nicht nur ökonomisch. „Wir haben noch einiges im Köcher“, sagt Parteichef und Spitzenkandidat Özdemir. Seine Co-Spitzenkandidatin Göring-Eckardt verkleidete sich im Kölner Karneval übrigens als Martin Schulz mit grüner Pappnase: „Der Martin Schulz doch Grüner?“, fragte sie auf Twitter.

Die Linke

Auch die Linke leidet unter Schulz. Der Mann aus Würselen hat der Partei ebenso wie den Grünen eine Umfragedelle beschert. Aktuell steht die Linke in den meisten Umfragen bei sieben bis acht Prozent. Und doch bleibt die streitlustige Partei ungewöhnlich entspannt. Man kann dem Schulz-Effekt etwas Positives abgewinnen: Rechnerisch ist nun eine rot-rot-grüne Koalition in manchen Umfragen möglich. Und Schulz stellt das Thema Gerechtigkeit in den Mittelpunkt seiner Auftritte – diese Diskussion über den Sozialstaat kommt der Linken gelegen, da sie hier ihre Kernkompetenz sieht. „Wenn Schulz die SPD mehr nach links rückt, dann birgt das natürlich auch für uns zunächst die Gefahr, dass unzufriedene SPD-Wähler sich überlegen, ob sie ihrer Ex-Partei ein letztes Mal einen Vertrauensvorschuss geben“, sagte etwa Linke-Chef Bernd Riexinger. „Auf Dauer sind wir aber die glaubwürdigere Option, das wissen die Menschen.“

Sollte sich der Schulz-Hype zu einer echten Wechselstimmung gegen Angela Merkel auswachsen, hofft die Linke, mittelfristig ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Die Blaupause dafür ist die Wahl 1998: Damals gab es eine Wechselstimmung gegen Helmut Kohl – und davon profitierten nicht nur SPD und Grünen, die dann die Regierung bildeten, sondern auch die Linke-Vorgängerpartei PDS, die erstmals die Fünf-Prozent-Hürde übersprang.

AfD

Lange Zeit lag die AfD in den Umfragen deutlich über zehn Prozent. Der Spitzenwert waren 16 Prozent im Herbst des vergangenen Jahres. Inzwischen ist das Interesse an der AfD spürbar geringer geworden, einige Umfrageinstitute sehen sie nur noch bei acht oder neun Prozent. Für die junge Partei ist das eine ungewohnte Situation. In der AfD-Spitze gibt es geteilte Ansichten darüber, ob und wie stark dieser Trend anhalten wird. Dass er mit dem fulminanten Start des SPD-Kanzlerkandidaten Schulz zusammenhängt, glaubt man aber nicht: „Schulz ist für die AfD-Wähler keine Alternative“, sagt beispielsweise Parteivize Alexander Gauland. Seine Europapolitik lehne die AfD komplett ab. Der „Sozialpopulismus“ des SPD-Chefs „könnte uns zwar schaden und einige Stimmen kosten“, meint Gauland. Dieser Effekt sei aber „weniger stark als bei anderen Parteien“.

Der eigentliche Grund für die derzeitige Umfrageschwäche, so glaubt der Parteivize, seien deshalb die internen Querelen, von denen die AfD nach wie vor erschüttert wird. Machtkämpfe und die Diskussion um den Parteiausschluss des Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke prägen seit Wochen die Schlagzeilen über die Partei. „Die sinkende Zustimmung der AfD liegt eher an der Beschäftigung mit uns selbst als an Schulz“, meint Gauland. Aber auch das werde in der nächsten Zeit wieder vorbeigehen.

FDP

Für die Liberalen ist Schulz ein Glücksfall. In den Umfragen hat die FDP als einzige der kleinen Parteien keine Wähler verloren. Im Gegenteil, es deutet sich sogar ein leichter Gewinn an: Während alle anderen Federn lassen, liegen die Freien Demokraten stabil bei rund sechs Prozent, zuletzt waren es sogar mal wieder sieben. Auch bei den Parteieintritten läuft es für die Liberalen gut: Im Januar und Februar kamen insgesamt 2091 neue Mitglieder dazu. „Es ist ein Schulz- und ein Trump-Effekt“, heißt es in der Parteizentrale. Die Menschen wollen sich wieder mehr für Politik engagieren – gleichzeitig liefert Schulz eine Steilvorlage: Wer sich so offensichtlich als Anwalt von Menschen anbietet, die mehr Sozialstaat, mehr Gerechtigkeit, mehr Hilfe vom Gemeinwesen verlangen, ist ein dankbares Feindbild für das wirtschaftsgläubige liberale Milieu.

„Wir wollen den Menschen Mut machen“, sagte FDP-Parteichef Christian Lindner dieser Zeitung, „Martin Schulz bestätigt nur Ängste, die er dann mit uralten linken Rezepten lindern will.“ Aus Sicht der FDP hießen die Gerechtigkeitsfragen der Zukunft „Bildung, wirtschaftliches Vorankommen der Mitte und Fairness gegenüber der Generation der Enkel“. Mit Schulz würden die Unterschiede deutlicher – und das Profil der FDP sichtbarer.