Washington.

Heute beginnt auch in Amerika die Fastenzeit. Nach der unerwartet staatsmännischen Rede, mit der Donald Trump viele Kritiker vorübergehend entwaffnet hat, stellen sich viele die Frage: Welches Laster gibt der amerikanische Präsident in den nächsten 40 Tagen vorübergehend auf? „Eine Twitter-Diät“, sagen republikanische Strategen, „wäre schon ein Gewinn.“ Ohne den Verzicht darauf, fortlaufend polemische Botschaften in die Welt zu senden, „könnte der Bonus schnell aufgezehrt werden, den sich Trump mit seiner diszipliniert vorgetragenen Ansprache im Kongress erworben hat“.

Laut ersten Blitzumfragen sind an die 70 Prozent mit dem Auftritt zufrieden. Die meisten Leitmedien würdigten, dass sich Trump von seinem aggressiven Grundton der vergangenen 20 Monate abgesetzt und seine Prioritäten diszipliniert vorgetragen hat; auch wenn inhaltlich viele Fragezeichen blieben. Allein der Einstieg – Trump wandte sich gegen grassierenden Antisemitismus und einen fremdenfeindlich motivierten Mord in Kansas – wurde ihm hoch angerechnet. Der besänftigende Einfluss seiner Tochter Ivanka, die am Feinschliff der Rede beteiligt war, kam hier zum Ausdruck. Fazit von Ex-Obama-Berater Van Jones, bisher einer der härtesten Trump-Kritiker: „Donald Trump ist heute Präsident der Vereinigten Staaten geworden. Wenn er das verstetigt, bleibt er für acht Jahre im Amt.“

Das Haushaltsrecht liegtbeim Kongress

Warum zeigte sich Trump von einer anderen Seite? Sechs Wochen nach Amtsantritt plagen den 70-Jährigen schlechte Umfragewerte. Über die Hälfte des Landes hat die Flut von Sonder-Erlassen und das oft widersprüchliche Gegen-den-Strich-Regieren, das wie beim Einreise-Bann für Muslime vor Gericht scheiterte, nicht beeindruckt. Sondern zusätzlich verunsichert. Das bekamen zuletzt viele republikanische Abgeordnete in ihren Wahlkreisen brutal zu spüren. Trump braucht die Parlamentarier aber an seiner Seite, um seine ehrgeizige und kostspielige Agenda umzusetzen. Das Haushaltsrecht liegt beim Kongress. Trump hat das Washingtoner „Establishment“, das sein Chef-Berater Stephen Bannon zerstören will, öffentlich gestärkt. Republikanischen Entscheidungsträgern wie Paul Ryan und Mitch McConnell war die Erleichterung anzusehen. „Beste Rede, die ich hier je gehört habe“, sagten beide unisono. Die Demokraten, denen Trump erste Olivenzweige hinhielt und Zusammenarbeit anbot, schmollten.

Die apokalyptischen Töne vom „Gemetzel“ in den Innenstädten und den industriellen Friedhofslandschaften, die Trump zur Amtseinführung anstimmte, fehlten. Auch außenpolitische Kampfansagen wie „Wir müssen wieder Kriege gewinnen“ blieben aus. Stattdessen hieß es: „Wir wollen Harmonie und Stabilität, nicht Krieg und Konflikt.“ Der Präsident bemühte sich trotz aller Kritik am Ist-Zustand um Zuversicht und Optimismus: „Nun beginnt ein neues Kapitel amerikanischer Größe.“ Sein Tribut an die Witwe eines kürzlich bei einem Anti-Terror-Einsatz im Jemen ums Leben gekommenen Elite-Soldaten war der Gänsehaut-Moment des Abends. Unter Tränen nahm die in einer Loge sitzende Carryn Owens den von Trump mit starken Worten ausgelösten Applaus des ganzen Saales entgegen.

„Eine wirkliche und positive Einwanderungsreform ist möglich.“ Dieser Satz klang überraschend und völlig neu. Trump denkt nicht nur über die Mauer zu Mexiko nach. Sondern auch über eine tief greifende Reform der Einwanderungsgesetze. Nach dem Vorbild Kanadas soll die berufliche Qualifikation künftig zum Kriterium für die Aufnahme werden. Ein nachträglich zugestandenes Aufenthaltsrecht für die geschätzt zehn Millionen nicht straffällig gewordenen Illegalen im Land hatte Trump in der Rede zwar nicht erwähnt – aber vorher im Gespräch mit Medienvertretern. Im Kontrast dazu steht, dass im Heimatschutzministerium eine Stabsstelle eingerichtet wird, die sich ausschließlich mit Gewalttaten von illegalen Einwanderern beschäftigen soll.

Auf fast allen „Baustellen“ sind Umrisse zu erkennen, wo der gelernte Immobilien-Entwickler Trump hin will. Aber wie die Projekte durchfinanziert und schlüsselreif werden sollen, ist weiter ungewiss. Handelsabkommen, Steuer-Senkungen für die Mittelschicht, das eine Billion Dollar teure Infrastruktur-Programm, die Reform der Krankenversicherung „Obamacare“ – überall fehlen belastbare Details. Im Kongress erwarten Trump harte Verteilungskämpfe. Dreistellige Milliardenbeträge fürs Militär und die Modernisierung von Straßen, Brücken und Flughäfen ausgeben zu wollen und gleichzeitig massiv die Steuern zu senken, das widerstrebt der republikanischen Partei-Orthodoxie. Trump wird Konzessionen machen müssen. Kann er das? Selbst Trump-Befürworter raten zur Vorsicht. „Bis zum Sommer wird man besser einschätzen können, wessen Triumph diese Rede war“, sagte ein republikanischer Anwalt in Washington dieser Zeitung, „Trumps. Oder der seines Teleprompters.“