Berlin.

Der politische Aschermittwoch ist auch Unterhaltung, im Idealfall Hollywood-like. Höchste Zeit, Preise zu verteilen. Wer hält die beste Rede? Wer heizt dem Gegner am intelligentesten ein? Das Publikum lässt am Aschermittwoch den Alphatieren vieles durchgehen, was an normalen Tagen unter „politisch unkorrekt“ abgebucht würde. „La La Land“ hat die meisten Auszeichnungen bei den Oscars abgeräumt: Wer hatte im „Bla Bla Land“ des politischen Aschermittwochs die Nase vorn? Eine nicht ganz ernst gemeinte Preisverleihung.

Bester Film

Passau, Dreiländerhalle: Eine riesige blaue Videowand haben sie aufgebaut, zwischen den Kraftsprüchen der Redner flimmern die Werbefilme der CSU. Vorne auf der Bühne ein bayerischer Löwe aus Styropor, zwei Pulte: ein großes für den Redner, ein kleines als Podest für einen Maßkrug.

Zum bayerischen Defiliermarsch zieht Parteichef Horst Seehofer in die Halle ein, fast allein im Scheinwerferlicht. Generalsekretär Andreas Scheuer darf ihn begleiten und Ehefrau Karin sogar mit auf die Bühne kommen und winken. Eine Seehofer-Rede ist wie ein Filmtrailer: packend, atemlos, ein Höhepunkt folgt auf den nächsten, Cliffhanger inklusive: Wie, fragt man sich, wie nur kriegt der Mann die Kurve, wie wird er seiner Partei erklären, warum Angela Merkel, die viel geschmähte CDU-Kanzlerin, doch die Richtige ist?

Erst einmal führt sich der Held selbst ein: „Meine Agenda heißt: Jobs, Jobs, Jobs“, ruft der bayerische Ministerpräsident aus. Oder auch: „Bits, Bytes, Bayern“. Seine Devise: Bavaria first. „Ich kann auch nichts dafür, dass amerikanische Präsidenten unser Programm abschreiben.“ Schöner Gag. Da jubeln sie. Seehofer weiß genau, was das Format ihm abverlangt: Den SPD-Kanzlerkandidaten nennt er „Martin, den Schummler“, mit Zahlen nehme der es nicht so genau. Auch für seine Definition von Parteifreunden hat er die Lacher auf seiner Seite: „Freund ist jemand, den man mag, obwohl man ihn kennt.“ Markus Söder, sein Finanzminister und Möchtegernnachfolger, ist damit nicht gemeint. Er betont, dass es in der CSU viele gebe, die eines Tages seine Verantwortung übernehmen könnten: „Ich betone: eines Tages.“ Da lacht der Saal.

Ein preisgekrönter Film braucht auch ernsthafte Momente: Seehofer verspricht mit inzwischen heiserer Stimme Steuersenkungen und ein Ende für den Soli. Für eine Obergrenze für Flüchtlinge will er so lange kämpfen, bis sie durchgesetzt ist: „Wir haben es noch immer geschafft – mit unserem bayerischen Dickschädel.“ Großes Drama für die CDU-Kanzlerin, aber dann das Happy End: „Wer kann uns führen? Wer hat außenpolitisch das Gewicht, um unsere Interessen einzubringen?“, ruft Seehofer aus, eine rhetorische Frage, denn die Antwort steht selbstredend fest: „Liebe Freunde, ich als jemand, der auch streiten kann, sage: Ich kenne niemand außer Angela Merkel, der Deutschland in dieser Lage führen kann.“ Auf die Bavaria-Studios ist Verlaß.

Bester Hauptdarsteller

Martin Schulz zog alle Register: Etwas Drama, eine Prise Emotion und in manchen Szenen viel Nachdenklichkeit prägten den Auftritt des SPD-Kanzlerkandidaten im niederbayerischen Vilshofen. Wie einst Robin Williams als Lehrer John Keating im „Club der toten Dichter“ seine Schüler für angelsächsische Literatur erwärmte, versteht er es, das staunende Publikum für sperrige Texte aus Parteitagslyrik und Programmprosa zu begeistern. Kämpferische Siegesparolen und leise Töne über Gerechtigkeitslücken in Deutschland oder seine Lebenskrise vor vier Jahrzehnten – alles in perfektem Timing vorgetragen. Die Fans danken mit „Martin, Martin“-Sprechchören für den SPD-Hoffnungsträger.

Der will seine Figur noch weiterentwickeln: Die CSU nehme für sich in Anspruch, bei ihrer Kundgebung in Passau die „gefühlte Mehrheit“ der Zuhörer zu versammeln: „Aber hier sitzt die reale Mehrheit“, rief Schulz. So soll es auch bald im Bundestag sein. Die SPD trete an, um die stärkste politische Kraft in Deutschland zu werden. „Und ich trete an, um Bundeskanzler zu werden“, rief er. Die Wunschrolle seines Lebens!

Um auch die ausfüllen zu können, verteidigte er schon mal die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und kündigte einen entschlossenen Kampf gegen Rassismus und Ausgrenzung an. Er attackierte keinen Geringeren als US-Präsident Donald Trump wegen seiner Medienpolitik oder des geplanten Mauerbaus und kritisierte auch CSU-Chef Horst Seehofer, der Trumps „Tatkraft“ gelobt hatte. Um zum zentralen Thema seines großen Monologs zu kommen: der Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit und einer Reform der Agenda 2010. Die Wettbewerbsfähigkeit des Landes stehe nicht auf dem Spiel, wenn ein Betroffener ein Jahr länger Arbeitslosengeld erhalte und in dieser Zeit weiterqualifiziert werde.

Schulz verriet am Ende auch, dass Freunde ihm den Spitznamen „Schulle“ gegeben hätten. Vor ihm hatte der österreichische Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) gesprochen, der den Genossen Mut machte: Nach der Bundestagswahl werde auch Deutschland „einen roten Bundeskanzler haben“. Blende. Roter Sonnenaufgang.

Bester fremdsprachiger Film

„Des isch wichdig“, sagt Winfried Kretschmann. Heißt auf Hochdeutsch: Das ist wichtig. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg und bundesweit populäre Grüne versteckt seinen Dialekt am Aschermittwoch nicht. Warum sollte er auch? Die Schwaben sind stolz und selbstbewusst. Eine Werbekampagne für den Südwesten geht so: „Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“ Also verspricht der Ministerpräsident in der Stadthalle Biberach, dass er „so schwätzt, dass es alle verstehen“.

Und typisch bester fremdsprachiger Film: Es wird philosophisch. Kretschmann fackelt keinen platten Blockbuster mit teuren Spezialeffekten ab. Seine Rede kommt vielmehr mit viel Theorie daher. Und wirkt langatmig, umständlich. Professor Kretschmann, der nach etwas mehr als der Hälfte sein Sakko auszieht, spricht etwa über den Verbrennungsmotor und Immanuel Kant, die Verrohung der Sprache im Netz und Karl Popper. Immer wieder sagt er Sätze wie: „Alle Politik beginnt mit Reden und hört auch damit auf.“ Das ist natürlich alles eine Kampfansage an die AfD und ihre Anhänger, aber Kretschmann macht das alles sehr dezent. Er drischt nicht auf den politischen Gegner ein, sondern geht auf die Metaebene.

So blitzt auch nur ab und an seine Lust am Streit mit Teilen seiner Partei durch. Etwa wenn er die Idee des Bundestagsabgeordneten Stephan Kühn für ein „Autofasten“ bis Ostern abtut: „Weiß auch nicht, wer die Idee schon wieder hatte.“ Kretschmann lobt immer wieder Lothar Späth (CDU), den vergangenes Jahr verstorbenen ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Und macht einen Witz zulasten der Grammatik und eines anderen Vorgängers im Amt: „Ich kann Englisch noch schlechter wie der Oettinger.“

Beste Nebenrolle

Nominiert sind Katja Kipping, Frauke Petry und Christian Lindner. Und der Gewinner ist: Christian Lindner. Der FDP-Chef spricht in Dingolfing frei, kämpferisch und macht den ein oder anderen guten Spruch. Etwa: „Wahlkampf ist doch keine Weiterbildungsreise.“ So kommentiert Lindner, dass Martin Schulz beim Thema befristete Verträge mit falschen Zahlen operierte. Das musste gesagt werden. Katja Kipping trägt zwar passend zu Karneval große Ohrringe wie Seeräuber Jenny, ansonsten bleibt die Linke-Chefin allerdings harmlos. Von ihrer Rede in Passau bleibt nur in Erinnerung, dass sie Albträume hat, in denen der CSU-Generalsekretär auftaucht.

Am schwersten tut sich Frauke Petry in Osterhofen. Die AfD-Chefin arbeitet sich mühsam durch ihr Manuskript, das sich wiederum mühsam an Angela Merkel und Martin Schulz abarbeitet.

Bester Dokumentarfilm

1000 Menschen drängen sich in der Tennis- und Squashhalle am Stadtrand von Demmin, 600 Kilometer von Passau entfernt, Mecklenburg, Merkel-Land, Hering statt Schweinshaxe. „Zeit für deutliche Worte“ lautet das Motto. Angela Merkel kommt gleich zur Sache: „Wir verstehen Sicherheit und Freiheit immer als zwei Seiten derselben Medaille.“ Sie redet über Sicherheit, den Ausbau der Infrastruktur, ausgeglichene Staatskassen, Integration, die Türkei. „Wo steht Deutschland in der Mitte des nächsten Jahrhunderts?“, fragt sie. Schwere Kost. Kein böses Wort über Schulz. Eine keimfreie Rede, Fakten statt Gags, eher Dokumentarfilm als Fiktion. Humor ist, wenn man trotzdem lacht.