Berlin.

Es kommt selten vor, dass ein langjähriger Diplomat wie Wolfgang Ischinger den Teufel an die Wand malt. Gestern war so ein Tag. Sollte US-Präsident Donald Trump seine ersten Interview-Äußerungen wahr machen und auf den Zerfall der EU setzen, dann wäre dies „der GAU in den transatlantischen Beziehungen“, beschrieb Ischinger sein Worst-Case-Szenario. „Das wäre – ohne Waffen – eine Kriegserklärung.“ Der 70-Jährige, der unter anderem als Staatssekretär im Außenministerium und als Botschafter in Washington gedient hatte, ist Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Von Freitag bis Sonntag wird die bayerische Landeshauptstadt wieder zum Tummelplatz für das „Who’s Who“ der globalen Sicherheitspolitik.

Am Nachmittag hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert seine Kritik an Trump verschärft. Der Chef des Weißen Hauses wirke auf ihn wie ein „wandelndes Gegenmodell“ zur westlichen Werteordnung, sagte der CDU-Politiker auf einer Vorab-Veranstaltung zur Sicherheitskonferenz. So spannend wie dieses Jahr war es in München noch nie. Im Zentrum des Interesses: Welche Konturen wird die US-amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik annehmen? Die Signale sind durchaus gemischt. Trump hat sich mit Blick auf Nato und EU abfällig geäußert – sein Vize Mike Pence, Außenminister Rex Tillerson sowie Verteidigungsminister James Mattis haben hingegen versöhnliche Töne angeschlagen. In München hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erstmals die Chance, mit Pence zu reden und die verbindliche US-Linie auszuloten – wenn es sie denn gibt. Die US-amerikanische Delegation wird durch Pentagonchef Mattis, Heimatschutzminister John Kelly und den nationalen Sicherheitsberater Michael Flynn komplettiert. An der Spitze des russischen Teams steht Außenminister Sergej Lawrow.

„Krise“ und „Unsicherheit“ sind die Schlüsselwörter, die dieses Jahr durch die Gänge des Tagungshotels „Bayerischer Hof“ wabern dürften. Der Münchner Sicherheitsreport, der gestern vorgestellt wurde, verweist auf die größten politischen Risiken für 2017: Nach einem Bericht der US-Denkfabrik Eurasia Group sind dies die politische und wirtschaftliche Unberechenbarkeit der USA, eine Überreaktion Chinas und eine Schwächung von Kanzlerin Merkel.

Zwar ist Amerika derzeit Deutschlands wichtigster Exportmarkt. Doch selbst, wenn Trump Freihandelsabkommen wie TTIP oder TPP vom Tisch wischen sollte, würde hierzulande keine Katastrophen-Stimmung ausbrechen. „Dann muss und wird die deutsche Wirtschaft verstärkt Handel mit China und Asien treiben“, sagte Stefan Schaible, Deutschlandchef der Unternehmensberatung Roland Berger, dieser Redaktion. Das Wachstumspotenzial in China und Asien allgemein betrage für die deutsche Export-Wirtschaft in den kommenden fünf Jahren rund 40 bis 50 Milliarden Euro. Richtung USA könne man lediglich mit einem Plus von zehn Milliarde Euro rechnen.

Darüber hinaus verfüge die EU laut Schaible durchaus über Sanktions­möglichkeiten. „Im Falle von US-Importzöllen sollten die Europäer als erstes mit einem einheitlichen europäischen Digitalen Binnenmarkt gegenhalten.“ Die EU verhalte sich gegenüber den großen amerikanischen Digital-Unternehmen relativ freizügig, quasi im Gegenzug für den freien Warenverkehr bei Autos und Maschinen. Schaible: „Wird das aufgekündigt, wird Brüssel auf mehr Wettbewerb drängen.“

Westliche Gesellschaften sind laut Sicherheitsreport vor allem durch den Aufschwung populistischer Bewegungen bedroht, die an liberalen Grundwerten wie Meinungsfreiheit oder Rechtsstaatlichkeit rütteln. Ein Grund hierfür: Ein Großteil der Haushaltseinkommen in industrialisierten Staaten sei von 2005 bis 2014 gleich geblieben oder sogar gesunken, heißt es in dem Bericht.

Trotz der eher düsteren Aussichten hat sich Konferenz-Chef Ischinger einen Funken Rest-Optimismus bewahrt. Er hofft, dass sein Worst-Case-Szenario nicht eintrifft und er am Sonntag Bilanz ziehen kann: „Die Befürchtungen waren groß – sie sind jetzt ein kleines bisschen kleiner.“